Jan Marot hat im Sultanat Oman zwischen Prachtbauten nach Regimekritik gesucht

Opulenz und Ohnmacht

Das Sultanat Oman wird seit 1970 vom Alleinherrscher Qabus ibn Said regiert. Trotz einer enormen wirtschaftlichen Entwicklung in den vergangenen Jahrzehnten gibt es immer wieder Proteste wegen hoher Jugendarbeitslosigkeit und Lebenshaltungskosten. Öffentlich geübte Kritik am Regime wird streng verfolgt.
Von

Die Fassade ist auf Hochglanz poliert. Im Sultanat Oman begegnet einem orientalisch-moderne Pracht schon bei der Ankunft im palastgleichen Terminal des internationalen Flughafens von Maskat. Über allem wacht das Porträt des 78jährigen Sultans Qabus ibn Said. Seit 1970 regiert er den Oman als Alleinherrscher und ist damit das am längsten regierende Staatsoberhaupt im Nahen Osten und der arabischen Welt. Sultan Qabus bekleidet so gut wie alle wichtigen Ämter, er ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte, Präsident der Nationalbank und Außen-, Finanz- und Verteidigungsminister. Zudem ist er die oberste juristische Instanz, steht dem Sicherheits- und Geheimdienst vor und wacht über die beiden Kammern des Parlaments. Die Omanis dürfen nur die Abgeordneten der sogenannten Beratenden Versammlung, die dem Unterhaus entspricht, aus einer vom Sultan genehmigten Liste auswählen, während der Monarch die Abgeordneten des Staatsrats, dem Oberhaus, gleich selbst ernennt. Wahlberechtigt sind Omanis ab 21 Jahren, Frauen dürfen erst seit 2003 wählen.

Hissah, eine verschleierte Frau um die 40, freut sich über des Sultans »Geschenke an das Volk«: riesige Moscheen, die allesamt des Herrschers Namen tragen.

Mit einer Palastrevolte stürzte Qabus 1970 seinen Vater Said ibn Taimur al-Said. Dank der Erdöl- und Erdgasvorkommen, die mittlerweile allerdings zur Neige gehen, transformierte Qabus in nur fünf Jahrzehnten den rückständigen Oman. Gleich 1970 schaffte er die Sklaverei ab, er öffnete das zuvor isolierte Sultanat, modernisierte es mit Infrastruktur- und Straßenbauprojekten, förderte die Industrialisierung und baute ein Bildungssystem auf, das heutzutage zu den besten der arabischen Welt zählt – in den Siebzigern war die Mehrheit der Bevölkerung noch analphabetisch.
Derzeit rangiert der Oman auf Rang 47 des Indexes der menschlichen Entwicklung. Die Uno konstatierte, dass das Sultanat zu den Staaten gehöre, die sich binnen der vergangenen vier Dekaden wirtschaftlich und sozial am stärksten entwickelt hätten. Doch der Reichtum – 84 Prozent der Staatseinnahmen beruhen auf der Erdölförderung – ist sehr ungleich verteilt, der überwiegende Teil fließt wohl in die Taschen und in die Vorhaben von Qabus und seiner Klientel. Der Sultan nennt zwei der fünf größten Yachten der Welt sein Eigen, sie ankern im Hafen von Matrah. Investiert wird vor allem in den Bau von Autobahnen mit flächendeckender Beleuchtung und Radarüberwachung, von Kasernen (der Anteil der Rüstungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt beträgt fast 14 Prozent), öffentlichen Gebäuden wie Gerichten, Palästen für den Sultan, monumentalen Moscheen und in die Instandhaltung historischer Festungen.

Kurzer Frühling

Kritik von Untertanen am Sultan wird rigoros verfolgt, auch ist es verboten, »das Image des Sultanats zu beschmutzen«, für beide Delikte können hohe Gefängnisstrafen verhängt werden. Kaum jemand wagt es, auch nur andeutungsweise Zweifel am Sultan zu äußern. Auf Qabus angesprochen, antworten viele Omanis meist mit Schweigen und einem Lächeln. Die Bildungsinitiativen seien gut, sagt Hazeem, ein junger Omani um die 30, der Ingenieurswesen studiert hat, am Busbahnhof von Salala und verweist auf die riesigen Universitätskomplexe. Hissah, eine verschleierte Frau um die 40 mit ihrer Tochter an der Hand, freut sich am Ausgang der Frauenabteilung der Großen Sultan-Qabus-Moschee von Maskat über des Sultans »Geschenke an das Volk«: riesige Moscheen, die allesamt den Namen des Herrschers tragen, wie diese Moschee in Maskat, die Platz für 20 000 Gläubige bietet.

 

Der Islam ist Staatsreligion, insgesamt sind über 85 Prozent der Bevölkerung muslimisch. Omanische Staatsbürger machen aber nur 60 Prozent der fast fünf Millionen Einwohner aus; von ihnen sind rund 95 Prozent muslimisch. Knapp 45 Prozent der Muslime sind Ibaditen, die einer eigenständigen Rechtsschule folgen; fast ebenso viele sind Sunniten, insbesondere im Süden; Schiiten stellen nur etwa fünf Prozent. Ibaditen sind global gesehen eine muslimische Minderheit, die Offenheit ­gegenüber Andersgläubigen und Toleranz übt.

Doch es regt sich Unmut im Oman, vor allem wegen der hohen Arbeitslosigkeit unter den jungen, gut ausgebildeten Omanis und den hohen Lebenshaltungskosten, die – Treibstoff ausgenommen – oft denen in Westeuropa gleichen oder diese gar übersteigen.

Im Zuge des »arabischen Frühlings« kam es im Februar 2011 zu Massenprotesten im Land, an denen sich Zehntausende beteiligten – ein ungewohntes Bild im Oman. Öffentliche Versammlungen sind de facto untersagt, die Presse- und Meinungsfreiheit ist stark eingeschränkt. Die Demonstrierenden forderten Demokratie und das Ende der Erbmonarchie. Nach dem Tod zweier Demonstranten Ende Februar protestierten sie auch gegen den Sultan selbst und dessen als korrupt angesehenes Kabinett. Hunderte Demonstrierende wurden 2011 inhaftiert, ein Teil von ihnen nach dem Abflauen der Proteste von Qabus begnadigt. Der Sultan kam manchen Forderungen entgegen, etwa mit subventionierten Grundnahrungsmitteln, versprach die Schaffung von 50 000 neuen Arbeitsplätzen und tauschte sein Kabinett aus. Mehr Demokratie wurde jedoch nicht gewährt. Führungspersonen der Proteste wurden verfolgt und verhaftet, viele mussten ins Exil fliehen oder sind nach wie vor hinter Gittern. Haft ohne Anklage oder Gerichtsverfahren ist laut Amnesty International keine Ausnahme. Die Todesstrafe wird selten verhängt und noch seltener vollstreckt. Homosexualität wird im Oman mit bis zu drei Jahren Haft bestraft.

Opposition gesucht

Im Januar wagten vor allem Gruppen junger Omanis neuerliche Proteste, auch diesmal ging es um die hohe Arbeitslosigkeit, deren Quote Schätzungen zufolge über 16 Prozent beträgt, und den Mangel an Perspektiven im Sultanat. Zwei Radiojournalisten, die für Hala FM tätig waren, wurden verhaftet, weil sie über die Demonstrationen berichtet hatten, und einige Wochen festgehalten. Auch wenn es private Fernseh- und Radiosender gibt, sind die Medien des Sultanats de facto gleichgeschaltet. Auslandssender aus Saudi-Arabien oder dem Iran werden zwar empfangen, doch auch diese berichten nicht unabhängig. Viele Medienschaffende üben sich wegen der staatlichen Kontrolle in Selbstzensur.
Eine Stimme für die Verfolgten und Unterdrückten ist das Omani Centre for Human Rights (OMCR), das von London aus Aktionen und Kampagnen koordiniert. Langjährige Forderungen des OMCR sind die Zulassung von Op­positionsparteien und Vereinen sowie die Gewährung von Versammlungs- und Meinungsfreiheit. Derzeit setzt sich das Centre für eine Gruppe von sechs Menschenrechtlern aus der Provinz Musandam ein, die 2015 wegen Bürgerrechtsprotesten verhaftet und im vergangenen Jahr zu teils lebenslangen Haftstrafen verurteilt wurden. Amnesty International zufolge wird in Gefängnissen im Oman häufig gefoltert.

 

Im weltweiten Ranking der Pressefreiheit der Organisation Reporter ohne Grenzen (ROG) liegt der Oman auf Platz 132 von 180 Ländern. Telefone von Aktivisten, Oppositionellen und Jour­nalisten werden abgehört, soziale Medien überwacht, Webinhalte gezielt geblockt, Kritiker – allen voran Blogger – mundtot gemacht, Facebook- und Twitter-Accounts gekapert. Der von Mohamed Fasari betriebene Blog Muwatin (Bürger), der kritisch über den Sultan berichtete, wurde blockiert. ROG hostet den Blog aber seit 2018, so gelangen oppositionelle Ansichten an die internationale Öffentlichkeit. Protestbilder, die im Oman blockiert werden, verbreiten sich meist über Twitter und Auslandsmedien.

Zweiklassengesellschaft

Die Arbeitslosigkeit macht vielen Omanis zu schaffen. »Mein Sohn findet keine Arbeit, und Langweile ist mit Mitte 20 nicht gut für die Jugend«, sagt Salah* aus Maskat, auch wenn er Verständnis für die nach omanischen Maßstäben rebellische Kleidung seines Sohnes zeigt, der sich modisch an den Rastafari orientiert. »Wir waren alle einmal jung, nicht?« sagt der über 50jährige. Salah kleidet sich eher traditionell. Er trägt eine knöchellange, langärmlige weiße Dishdasha, eine typische Männerbekleidung, das Nationalsymbol, die Kumma, auf dem Kopf und einem In Khanjar, einen kunstvollen Krummdolch, als Accessoire an der Hüfte. Er sei im Immobiliengeschäft tätig, baue derzeit in Maskat einige Villen. Geldsorgen habe er nicht, betont er. »Aber jeder Omani muss einer Arbeit nachgehen. Es geht nicht nur ums Geldverdienen, es geht um Charakterbildung.«

Ein Studienabschluss ist keineswegs eine Jobgarantie. Um zumindest etwas zu verdienen, fahren viele Absolventen Taxi oder arbeiten in Cafés und Restaurants internationaler Ketten. Auf den Baustellen arbeiten meist indische Gastarbeiter, rund zwei Millionen dieser Arbeiter sind in diesem Niedriglohnsektor der Privatwirtschaft beschäftigt. Indische Einwanderer leisten Schwerarbeit in der brütenden Hitze von Maskat. Sie pflegen in der Mittagshitze die Gärten vor den Moscheen, arbeiten unter der sengenden Sonne auf den zahllosen Baustellen landesweit. Sie tragen oft ausgelatschte Flipflops, zerfetzte Hosen und Hemden, und ­leben in slumähnlichen Wellblechbarracken abseits der gängigen Touristenpfade von Salala – Armut, die man sonst im Oman kaum sieht.

 

Im krassen Kontrast dazu steht der »American way of life« der Oberschicht. Die Treffpunkte der Omanis und indischer Migranten, die es in die obere Mittelschicht geschafft haben, sind nicht wie im Maghreb Medinas und Teehäuser, sondern – auch klimatisch bedingt – die riesigen Einkaufszentren der großen Städte. Auf den Straßen dominieren edle Sport-Coupés und SUVs, am Rande sieht man Arbeitsmigranten auf klapprigen Fahrrädern oder zu zweit oder zu dritt auf durchgerosteten Mofas und Motorrädern. Manche versuchen, an den Autobahnen zu trampen. Viele Omanis behandeln die Arbeitsmigranten von oben herab.

Lediglich knapp 280 000 Omanis sind in der Privatwirtschaft beschäftigt. Denn auch in der Erdöl- und Gasförderung arbeiten viele Ausländer, vor allem aus Polen, Rumänien und Großbritannien. Während der 1 100 Kilometer langen Busfahrt von Maskat nach Salala passiert man auf einer Strecke von mehr als 150 Kilometern die Ölfelder. Ein Ölarbeiter erzählt, er absolviere »stets für einen Monat in der steinigen Wüste« Schichtdienste.

Vielen Protestierenden ist die Beschäftigung von Ausländern im Ölsektor ein Dorn im Auge. Zu ihren Forderungen zählte daher auch, Arbeitsgenehmigungen für ausländische Arbeiter restriktiver zu vergeben. Qabus ­reagierte Anfang des Jahres auf die Proteste erneut mit dem Versprechen, mehr als 25 000 neue Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst zu schaffen, und hob die Staatsausgaben für Bildung, Gesundheit, Soziales, Infrastruktur und Wohnungsbau deutlich an, obwohl der Staatshaushalt bereits hochgradig defizitär ist. Auch die Beamtengehälter wurden angehoben. Die Ölvorkommen des Oman sind deutlich geringer als die der Nachbarn Saudi-Arabien, Katar und Dubai. Das Sultanat lebt zudem vom Seehandel, dem Fischfang, dem Tourismus und der metallurgischen Industrie. Bis 2040 will sich der Oman von der Ölabhängigkeit lösen, Sektoren wie nachhaltige Energien, Tourismus und die digitale Ökonomie sollen ausgebaut werden.

Zoff mit den Saudis

Die Beziehungen des Oman zu den Golfstaaten, allen voran Saudi-Arabien, sind getrübt. Als einer der wenigen arabischen Staatschefs pflegt Qabus mit dem Iran auch seit der Islamischen Revolution 1979 freundschaftliche diplomatische Kontakte. Der Sultan folgte 2017 nicht dem saudischen Boykottaufruf gegen Katar und traf sich mit Syriens Diktator Bashar al-Assad. Zuletzt kam 2018 aber auch Israels Ministerpräsident Benjamin Netanyahu zum Staatsbesuch in den Oman.

Zum Nachbarland Jemen, in dessen Bürgerkrieg seit 2015 eine von Saudi-Arabien geführte militärische Allianz kämpft, hat der Oman weiterhin Beziehungen, das Land ließ seine Grenzen offen. »Wer humanitäre Hilfe braucht, der darf aus dem Jemen in den Oman kommen«, sagt Ali*. Er kommt aus Nigeria, hat als Sohn eines Omanis und einer Nigerianerin die omanische Staatsbürgerschaft und arbeitet als Rezeptionist in einem Hotel in Salala, knapp 50 Kilometer von der Grenze zur jemenitischen Region al-Marah entfernt. Er habe Kontakte zu Militärangehörigen und Ärzten in der Region. »Verletzte und Kranke werden auch von der omanischen Luftwaffe ausgeflogen«, so Ali. »Darum hassen uns die Saudis, die Vereinigten Arabischen Emirate und Bahrain. Aber uns Omanis geht es nicht um Ein­mischung in den Bürgerkrieg. Uns geht es um die Menschen dort.« Der Sultan habe in dieser Situation das Richtige gemacht, meint Ali. In den Emiraten sieht man dies freilich anders und ist sich sicher, dass über den Oman und die südliche Grenzregion iranische Waffen an die Houthi-Rebellen geliefert werden.

* Name von der Redaktion geändert