Debbie Harrys Autobio­graphie »Face It«

Punk in Blond

Seite 2

Dass Punkbands überhaupt entstehen konnten, war nicht zuletzt ­einer besonderen ökonomischen Lage geschuldet. In den sechziger und siebziger Jahren, so erzählt es auch Harry, hatten die Plattenfirmen einfach zu viel Geld und »wussten kaum, wohin mit ihrer Kohle«. Zig Bands wurden finanziell gefördert, und falls es nicht zu einem kommerziellen ­Erfolg wurde, »konnte man eben ­etwas von der Steuer absetzen«. Das erste und einzige Album der Sex ­Pistols, »Never Mind the Bollocks, Here’s the Sex Pistols«, erschien ­beispielsweise bei Virgin Records, ebenfalls ein Major Label.

Genug Gesicht gezeigt: Debbie Harry versteckt ihr Antlitz unter ihren blonden Haaren.

Bild:
Brian Aris

Zwischen Underground und Mainstream wollten Blondie sich bewegen, und das gelang ihnen auch. Mehrere Nummer-eins-Hits landeten sie, während die Band gleichzeitig gut befreundet mit beispielsweise den Ramones, Iggy Pop, dem Beat-Schriftsteller William S. Burroughs oder auch dem No-Wave-Saxophonisten James Chance war. Im Max’s (wie das Max’s Kansas City gern abkürzend genannt wurde) spielte Harry jetzt selber Konzerte, statt zu servieren, und natürlich im legendären Punk-Club CBGB. Bei Markus Lanz gab Harry jüngst unumwunden zu, dass sie gern die wilden, alten Zeiten romantisiere, und recht hat sie. Nicht nur waren Szenen in den Siebzigern augenscheinlich durchlässiger, auch war es eine »direktere, kleinere und vertraulichere Welt«, wie Harry im Buch erzählt. »Grenzen wurden zugunsten einer oft langweiligeren Offenheit verschoben«, führt sie über die Gegenwart aus und konstatiert, dass es heute nur darum gehe, berühmt zu sein. »Damals ging es darum, etwas geschehen zu lassen.«

Auch musikalisch ging und geschah mehr: Wem »Heart of Glass« heute wie ein windelweicher Popsong vorkommt, der ahnt wohl nicht, was er bei seiner Veröffentlichung für ein Skandal war. Das offene Kokettieren des Songs mit Disco (Der ­Arbeitstitel lautete tatsächlich »The Disco Song«) brachte die Punks gegen die Band auf. Dabei ist es Harry außerordentlich wichtig, nicht nur Punk zu definieren (und diese Definition hat nicht viel mit Musik zu tun), sondern sich selbst unter diese Kategorie zu subsumieren. Und Punk ist für sie, »die Widersprüchlichkeit einer scheinheiligen Gesellschaft auf den Punkt zu bringen« (was sie, so könnte man sagen, mit ihrem Alter Ego Blondie hervorragend tut) und dabei »den Humor in diesen Dingen zu erkennen«. Die Ramones beschreibt sie beispielsweise als »ernsthaft witzig«, und der Blondie-Bassist Gary Valentine war ihr zufolge ein wahrer Punkrocker, weil er sich »von niemandem sagen ließ, was er zu tun und zu lassen hatte«.