Debbie Harrys Autobio­graphie »Face It«

Punk in Blond

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»Face it« wäre ein irreführender Titel, wenn sich im Buch nicht so ­einige Fotos von Harry fänden. Nicht nur von Fotografen wurde Harry ­unzählige Male abgebildet, ihren Fans dienten die Bilder oft als Vorlage dazu, sie nachzuzeichnen oder zu malen. Eine Auswahl dieser Bilder, die Harry im Laufe der Jahre zugeschickt bekam, haben es auch in die Autobiographie geschafft. Sie stehen ganz selbstverständlich im Buch neben denen der Fotografen und Künstler (unter anderem Andy Warhol und Robert Mapplethorpe), die Harry porträtierten. Manches von dieser Fan-Kunst ist akkurat gefertigt, viel aber stammt vermutlich von Kindern, krakelige Porträts von Harry, auf die »Happy Birthday« oder ähnliches geschrieben wird.

Women of Punk (v. l.): Siouxsie Sioux, Viv Albertine, Debbie Harry, Pauline Black, Poly Styrene und Chrissie Hynde.

Bild:
Chris Stein

Dass diese Zeichnungen im Buch gezeigt werden, ist keine despektierliche Geste, sondern durch und durch ernst gemeint. Denn Harry war, wie jeder große Star, zuallererst einmal selbst Fan, und zwar schon als Kind, nämlich von Judy Garland und Marilyn Monroe. Man möchte fast sagen, dass die Kunstfigur Blondie eine Mischung dieser beiden Filmstars war: sexy, schrill, camp. Mit Monroe teilte Harry sogar ein ähnliches Schicksal, dass sie sich ihr noch näher fühlen ließ: Sie beide ­waren als Pflegekinder aufgewachsen. Und beide teilten eine Bühnenpersona, wie Harry verrät, wenn sie über Monroe spricht: »Sie war eine Frau, die das männliche Idealbild einer Frau gespielt hat.«

»Play to the posters on the wall of my room« heißt es bei Blondie 1977 im Song »Fan Mail«, und auch viele nach ihr haben wohl, dann aber mit einem Poster von Blondie an der Wand, ihre ersten Akkorde gespielt. Um nur zwei dieser Fans zu nennen: Kim Gordon malte 1980, da waren Sonic Youth nicht mal gegründet, ein Porträt von Debbie Harry. Und Jeffrey Lee Pierce, später Sänger von The Gun Club, leitete den Blondie-Fanclub in Los Angeles. Der Fan ist kein rein passiver Konsument, der seinem Kultes erliegt, vielmehr verwandelt er seine Faszination in etwas Neues. Fan sein heißt, sich einer unmöglichen Synthese mit Lust hinzugeben: der zwischen Fiktion und Realität. Kein Wunder, dass Debbie Harry so viele Fans hat, ist sie doch die Königin der buchstäblichen Illusion, eine »Barbarella auf Speed«, wie Iggy Pop sie einmal nannte.

Debbie Harry: Face it. Die Autobiografie. Aus dem Amerikanischen von Philip ­Bradatsch, Frank Dabrock, Harriet Fricke und Torsten Groß. Heyne, München 2019, 432 Seiten mit zahlreichen Abbildungen, 25 Euro