Das US-amerikanische Jugend- und Amateursportsystem wird immer korrupter

Sport nur für Reiche

Der kürzlich in den USA bekannt gewordene Skandal um gekaufte Studienplätze für die Kinder Prominenter überdeckt, dass der Jugendsport, der von jeher eine Karrierechance war, immer mehr kommerzialisiert wird.

50 Beschuldigte, die zusammen 25 Millionen Dollar Bestechungsgeld an zwei eigens für die Betrügereien gegründete Firmen zahlten, ruinierte akademische Karrieren und Gefängnisstrafen: Die »Operation Varsity Blues«, benannt nach einem satirischen Spielfilm über ein fiktives Highschool-Football-Team, war für die beteiligten US-Ermittlungsbehörden ein voller Erfolg. Dass der Skandal um gekaufte Studienplätze an renommierten Universitäten wie Stanford, der UCLA und Yale inter­national Schlagzeilen machte, lag allerdings vor allem daran, dass neben Unternehmern auch bekannte Schauspielerinnen wie Felicity Huffman und Lori Loughlin angeklagt wurden. Während die aus »Desperate Housewives« bekannte Huffman mit einer zweiwöchigen Haftstrafe, einer einjährigen Bewährungszeit und einem Bußgeld in Höhe von 30 000 Dollar noch recht glimpflich davonkam, könnte der im Januar anstehende Prozess für Loughlin und ihren Mann, den Modedesigner Mossimo Giannulli, weitaus schwerere Folgen haben: Beide hatten einen gerichtlichen Deal abgelehnt und müssen sich ab Januar wegen Bestechung und Geldwäsche vor Gericht verantworten.

An 24 Prozent der High Schools wird gar kein Sport mehr angeboten, bei 63 Prozent der Schulen wird das Budget für Sport ständig gekürzt.

Den eigenen Nachwuchs in einer der Ivy-League-Universitäten unterzubringen, gilt bei begüterten Eltern als Statussymbol, entsprechend zahlten sie viel Geld dafür, dass die Kinder, deren Noten eigentlich nicht ausgereicht hätten, als Sportler Aufnahme fanden – in vielen Fällen ohne die betreffende Sportart jemals ausgeübt zu haben.

In dem großen Skandal ging es allerdings nur um Reiche und Prominente. Dabei ist Jugendsport immer mehr auch eine Frage der Klassenzugehörigkeit geworden. Fußballweltmeisterin Alex Morgan beispielsweise hält den US-amerikanischen Jugendfußball mittlerweile für »­kaputt«. Immer stärker sei der Sport an seiner Basis zu einer Veranstaltung für mindestens die gehobene Mittelschicht geworden. »Dass wir den Jugendfußball mehr zu einem Geschäft als einem Breitensport gemacht ­haben, ist, denke ich, schlecht für die Entwicklung der Sportart«, sagte sie. Im Jahr 2018 war einer Studie zufolge die Zahl der fußballspielenden Kinder zwischen sechs und zwölf Jahren in den vorangegangenen drei Jahren um insgesamt 14 Prozent gesunken.

 

Aber nicht nur Fußball, ohnehin immer eine Sportart der Mittelschichtsvorstädte, erlebt einen Rückgang: Seit 2008 ist die Zahl der Kinder in dieser Altersstufe, die irgendeine Mannschaftssportart regelmäßig betreiben, von 45 auf 37 Prozent gefallen. Einer der Gründe ist, dass der traditionelle Sportunterricht an den Schulen immer weniger bietet. Wo es früher möglich war, nachmittags bei verschiedenen Teams mitzumachen, wird nun das Programm beständig eingeschränkt. An 24 Prozent der High Schools wird gar kein Sport mehr angeboten, bei 63 Prozent der Schulen wird das Budget für Sport ständig gekürzt.

Stattdessen gibt es ein neues Jugend­sportmodell, bei dem die Eltern für die Teilnahme bezahlen. Mit dem jährlichen Mitgliedsbeitrag für den Verein im Viertel haben diese Kurse nichts zu tun. Eine Umfrage des Marktforschungsinstituts The Harris Poll aus diesem Jahr ergab, dass ein Viertel der Familien, deren Kinder Jugendsport betreiben, dafür pro Monat 500 Dollar oder mehr ausgeben, bei zehn Prozent der Familien sind es sogar 1 000 Dollar. Finanziert werden diese Ausgaben mit Zweitjobs und durch den Verzicht auf Urlaubsreisen.

Sport gilt schließlich nicht länger als gesundheitsfördernder Zeitvertreib, sondern als wichtige Zukunftsinvestition. Dass sich das in nächster Zeit ändert, darf bezweifelt werden. Denn Kinder- und Jugendsport ist in den USA inzwischen ein Markt mit einem Umsatz in Höhe von 17 Milliarden Dollar. Zum Vergleich: Das ist mehr, als mit professionellem Baseball, Basketball, Fußball oder Eis­hockey umgesetzt wird. Nur die NFL verfügt mit American Football über einen ähnlich großen Markt. Anbieter bringen zudem immer exklusivere Angebote auf den Markt. Mitglied eines Ruderteams zu sein, das landesweit an zehn Rennen im Jahr teilnimmt, klingt im Lebenslauf eben viel besser, als bei einem aktiv zu sein, das jedes Wochenende nur gegen die Kids aus dem Nachbarviertel auf dem nächstgelegenen See rudert. Auch dann, wenn nicht Talent und Leistung, sondern der elterliche Geldbeutel das Qualifikationskriterium sind.

Auf der nächsten Stufe geht es um den Collegesport der Universitäten. Auch das ist ein Riesengeschäft, die Kritik an der Gelddruckmaschine Collegesport, vor allem in den großen Sportarten, ist bekannt. Die Studierenden sorgen für Millioneneinkünfte der einzelnen Universitäten, dafür dürfen einige der Spieler studieren, ohne sich für die Studiengebühren verschulden zu müssen. Wenn Eltern in die sportliche Zukunft investieren, dann auch, weil sie sich erhoffen, dadurch ein solches Stipendium zu erringen. Die Chancen ­dafür sind eher gering, aber es spielen ja auch genügend Leute bei der Lotterie mit. Und wenn es für ein Stipendium nicht reicht, ein Pluspunkt bei der Unibewerbung ist es allemal, gut in Sport zu sein.

 

Dass bei Schul- und Unisportlern in den USA nicht so genau auf die eigentlichen Zugangsvoraussetzungen geschaut wird, ist allgemein bekannt. Seit der Collegesportverband NCAA auch gute Noten als Voraussetzung für die Teilnahme an den sportlichen Wettkämpfen verlangt, werden bei den Sportlern auch mal beide Auge zugedrückt und bessere Noten als eigentlich verdient verteilt. Im Skandal über die gekauften Collegezulassungen für Sprösslinge Reicher und Prominenter lag das Besondere darin, dass die betroffenen Jugendlichen gar kein Interesse an der Sportart hatten, mit der sie ihren Studienplatz bekamen, und natürlich auch kein Talent dazu; es reichten ein paar Bilder im Trikot und Geld.

Ein anderer, gerade zu Ende gegangener Prozess – es ging um die Benachteiligung von Studienplatz­bewerbern mit asiatischem Hintergrund – erlaubte erstmals einen Einblick in die Zulassungspraxis der Harvard University. Dabei wurden ethnische Hintergründe genauso beleuchtet wie die finanzielle Situation der Familien. Als Beweismittel bei dem genannten Prozess genutzt, ist nun öffentlich, was eigentlich streng geheim bleiben sollte, und kann wissenschaftlich ausgewertet werden.

In einem gemeinsamen Papier von Forschern dreier Universitäten, federführend verfasst vom Wirtschaftswissenschaftler Peter Arcidiacono von der Duke University, das auf den Daten aus dem Prozess beruht, stellten die Forscher fest, dass 29 Prozent der akzeptierten Bewerber zu der Kategorie ADLC gehörten. ADLC steht dabei für Athletes (Sportler, zehn Prozent), Legacies (Eltern waren schon auf der Universität, 14 Prozent), Dean’s List (Angehörige von Großspendern, 9,5 Prozent) und Kinder von Fakultätsangehörigen (1,5 Prozent). Viele ADLC-Bewerber punkten nicht nur in einer der Kategorien, deshalb ist die Summe der prozentualen Anteile höher als die Gesamtprozentzahl. Von den zugelassenen ADLC-Bewerbern hätten drei Viertel im normalen Auswahlverfahren, in dem es um Testergebnisse und Schulnoten geht, keine Chance gehabt, angenommen zu werden.

Nach Hautfarbe betrachtet kommen mehr als 43 Prozent der weißen Studenten über eine ADLC-Kategorie zu ihrem Studienplatz, bei allen anderen liegen die Zahlen unter 16 Prozent – jeweils verglichen mit den Nicht-ADLC-Studenten. Dass die Eltern der ADLC-Studenten zu den Topverdienern in den USA gehören, kann man schon anhand der Großspender- und Legacy-Kategorien vermuten. Überraschender jedoch ist, dass auch bei den Sportlern die Familieneinkommen deutlich über dem Durchschnitt aller zugelassenen Studenten liegen.

 

Harvard vergibt, wie die anderen Ivy-League-Universitäten auch, keine Sportstipendien. Auch die Spitzensportler müssen ihre Studiengebühren bezahlen. Hochtalentierte Sprösslinge einkommensschwacher Familien werden sich auch deswegen häufig für eine andere Universität entscheiden, bei der sie dank ihrer sportlichen Leistungen keine Studiengebühren zahlen müssen. Doch in dem Papier stellen die Forscher stattdessen fest, dass es noch ganz andere Gründe dafür gibt. Die meisten Harvard-Sportler sind ­keine ­Aspiranten auf eine professionelle Sportlerkarriere. In der Be­wertung der sportlichen Leistungen der Kandidaten fällt auf, dass mancher für die gelegentliche Teilnahme an einem Golfkurs eine bessere ­Bewertung erhält als jemand, der in der High School Football mit dazu­gehörigem regelmäßigen Training gespielt hat. Die ADLC-Athletes spielen auch eher Baseball, Eishockey, Golf, Lacrosse, Tennis, Squash, Wasserball oder Volleyball, fahren Ski, rudern, fechten oder segeln. Zumeist Sportarten, die nicht gerade an jeder High School angeboten werden. In den USA gibt es dafür sogar schon einen Begriff: rich-kids sports. Einer Umfrage des Harvard Crimson Survey zufolge verdienen die Eltern der durch ihre sportlichen Leistungen angenommen Studenten doppelt so häufig mehr als 500 000 Dollar im Jahr, als dass sie ein Einkommen von weniger als 80 000 Dollar haben. Ab einer halben Million Dollar Jahreseinkommen zählt man zu dem einen Prozent Topverdiener im Land.

Die praktizierte Sportart ist auch noch nach dem Collegebesuch wertvoll. Die großen Anwaltskanzleien, Investmentbanken und Unternehmensberatungen – wo hohe Gehälter und Status winken – schauen auf zwei Dinge: Erstens, ob es einen Abschluss an einer der Eliteuniversitäten gibt, und zweitens, was die Kandidaten in ihrer Freizeit gemacht haben – wobei Sportarten wie Hockey, Tennis, Squash und Rudern Pluspunkte bringen. Die Frage nach der Sportart ist schließlich auch deutlich unverfänglicher als die, die eigentlich dahintersteht, nämlich ob des Bewerbers Eltern denn auch ­genauso reich sind wie die eigenen. So kann die Elite unter sich bleiben, ohne es offen auszusprechen.