Ein der Linkspartei nahestehender Gutachter kritisiert, dass sich die »Arbeitsdefinition Antisemitismus« auch auf Israelhasser anwenden lässt

Nur rechts ist echt

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Ullrich hatte bereits 2011 in der Debatte über Antisemitismus in der Partei »Die Linke« Stellung bezogen und den Vorwurf des Antisemitismus kritisiert. Die neue Studie, wie bereits andere zuvor, verfasste er im Auftrag der parteinahen Rosa-Luxemburg-Stiftung, bei der er zuvor Stipendiat gewesen war. Darin suggeriert er, die IHRA-Befürworter verfolgten politische Ziele, während er ein objektiv arbeitender Wissenschaftler sei.
»Ullrich nutzt das Gutachten für seine politische Agenda«, sagt Timo Reinfrank, der Geschäftsführer der Amadeu-Antonio-Stiftung, der Jungle World. Diese Agenda bestehe in der Abwehr der Tatsache, dass es israelfeindlichen ­Antisemitismus gebe. »Das Gutachten ist nicht auf der Höhe der Zeit, was die Antisemitismusforschung angeht«, so Reinfrank.

Sigmount Königsberg, der Beauftragte der Jüdischen Gemeinde zu Berlin gegen Antisemitismus, empfindet das Gutachten vor allem als »unerträglichen Paternalismus«, wie er der Jungle World sagt. Wieder einmal erkläre ein Unbeteiligter Juden, was Antisemitismus sei. Zugleich liefere das Gutachten »keine überzeugende Darstellung, weil wesentliche Aspekte ausgeblendet werden: dass es rechten, linken, islamistischen wie Antisemitismus der Mitte« gebe.

Diese kleine Neuauflage einer alten Debatte könnte unter anderen Umständen wohl gut ignoriert werden. Doch Ullrich wird ausdrücklich als ­Experte und Fellow am Zentrum für Antisemitismusforschung der TU Berlin (ZfA) präsentiert, und das Institut ­bewirbt das Gutachten auf seiner Facebook-Seite als »Lesetipp« und – in ­einer ersten, später veränderten Version – mit den Worten: »Kontroversen löste die Arbeitsdefinition unter Israel-Kritikern aus«.

Wer nach dem Anschlag in Halle dachte, dass sich endlich eine gesamtgesellschaftliche Ächtung und Bekämpfung jeglicher Form von Antisemitismus durchsetzen würde, wird erneut eines Besseren belehrt. Die angebliche Bedrohung der Meinungsfreiheit sogenannter Israel-Kritiker scheint viele ­Gemüter noch immer am meisten zu bewegen. Im Fall von Ullrichs Gutachten zeigt sich zudem besonders deutlich, dass nach dem Weggang des Politikwissenschaftlers Samuel Salzborn, der die Anpassungsfähigkeit des glo­balen – und nicht nur rechtsextremen – Antisemitismus seit langem erforscht, kaum noch Gegenwartskompetenz am ZfA vorhanden ist. Königsberg sieht Ullrichs Rolle sehr kritisch: »Es ist traurig, dass das ZfA so eine Person in seinen Reihen akzeptiert, es demontiert sich damit, es verliert seine Glaubwürdigkeit.«