Das Ende linker Militanz

Rebellion als Pose

Seite 2

Inzwischen wird über zivilen Ungehorsam eher geplappert, anstatt sich ernsthaft damit auseinanderzusetzen. Bei Attac ist er nur noch eine Luftnummer und Campact will davon nichts mehr wissen. Greenpeace langweilt mit faden Aktionen; sich von Alexander Dobrindts (CSU) Haus abzuseilen, wirkt lächerlich. Die Studierenden fallen als Aktivgruppe völlig aus.

Bei den Protesten gegen »Stuttgart 21« wollten 4 000 Menschen Widerstand leisten, ganz radikal. Doch bei der ersten Polizeiaufforderung waren es nur noch 150. »Stuttgart 21« ging auch deshalb verloren, weil Heiner Geißler (CDU) als Vermittler beschwichtigte und die tapfere Bewegung plötzlich eingeschüchtert war.

Noch schlimmer sind nur die Klimaaktivisten. Die schiere Ahnungslosigkeit und der Dilettantismus quellen überall hervor. Die Hamburger Studentin Luisa Neubauer ist eine der Haupt­organisatorinnen der Bewegung »Fridays for Future« in Deutschland. Sie will einen Flughafen besetzen und hat nicht einen Schimmer davon, dass die Vorbereitungen dafür rund acht Monate benötigen. Die groß angekündigten Platzbesetzungen der Organisation »Extinction Rebellion« (XR) in Berlin waren fast alle mit der Polizei abgesprochen. Ihr Protestcamp war eine Wohlfühlwiese mit Oktoberfeststimmung. 

Ist das Ungehorsam oder kann das weg? Mitglieder von »Extinction Rebellion« posieren bei öffentlichen Protesten oft in ulkigen Kostümen.

Bild:
REUTERS/Christian Mang

Diese Form des zivilen Ungehorsams ist eine aufgeblasene Lachnummer – zum Kasperletheater verkommen. So gerät man bärenstark ins Abseits, so diskreditiert man die Tradition des zivilen Ungehorsams.

Die Gründe für diese Wehrlosigkeit liegen jedoch tiefer. Der Alltag der Menschen hat sich verändert. Wer acht bis zehn Stunden täglich mit sozialen Medien verbringt, hat keine Zeit für Proteste des langen Atems. Auch dass bei zivilem Ungehorsam hin und wieder das Schienbein der Herrschenden ­lädiert wird, gehört eben dazu. Die Prioritäten haben sich offenbar verschoben. Die Klimaaktivisten wollen lieber für einige Sekunden in die Tagesschau gelangen oder Selfies machen, anstatt zivilen Ungehorsam zu leisten. Wenn die sozialen Bewegungen die Zeichen der Zeit richtig deuten, ist ein Ratschlag zum zivilen Ungehorsam unabweisbar. Alle diese Initiativen müssen dringend eine »Schule des zivilen Ungehorsams« aufbauen, mit zunächst bescheidenen Mitteln, aber gutem Lehrpersonal. Wir haben sie doch, die Ruhestandsprofs, die Altaktivisten und die jungen Rebellen.


Peter Grottian lehrte viele Jahre am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft der Freien Universität Berlin. Den neuen sozialen Bewegungen der nuller und zehner Jahre wirft er Oberflächlichkeit und mangelnde Radikalität vor.