Razzien bei »kriminellen Großfamilien«

Achtung, Araber

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Der Berliner Anwalt Hannes Honecker, Vorstandsmitglied des Republikanischen Anwältinnen- und Anwältevereins, sieht das ähnlich. Clankriminalität, so Honecker im Gespräch mit der Jungle World, sei ein schwammiger und diskriminierender Begriff, durch dessen Verwendung unbescholtene Menschen stigmatisiert würden, nur weil sie einer bestimmten Familie angehörten. Das beeinflusse auch das Handeln der Behörden und der Justiz. Schon bei kleinsten Ladendiebstählen lege die Staatsanwaltschaft nicht mehr das sonst übliche Augenmaß an den Tag, wenn ein Verdächtiger den Namen eines »kriminellen Clans« trage. Seine Mandantschaft sei davon durchaus betroffen.

Ralph Ghadban, der Autor des Buchs »Arabische Clans: Die unterschätzte Gefahr«, hat für solche Einwände kein Verständnis. Die Behörden bemerkten in der Praxis, dass bestimmte Personen untereinander verwandt seien. »Das ist eine empirische Feststellung, die man nicht einfach ignorieren kann, wenn man das Phänomen verstehen will«, sagt der Islamwissenschaftler und Politologe der Jungle World.

Ghadban kam in den siebziger Jahren aus dem Libanon nach Berlin. Später arbeitete er als Sozialarbeiter mit arabischstämmigen Berlinern. Er saß im Anstaltsbeirat der JVA Tegel und nahm an der Islamkonferenz der Bundesregierung teil. Bereits im Jahr 2000 veröffentlichte er das Buch »Die Libanon-Flüchtlinge in Berlin. Zur Integration ethnischer Minderheiten«. Für die Clankriminalität ist Ghadban zufolge vor allem die ethnische Gruppe der Mhallamiye verantwortlich. Diese habe schon im Libanon völlig marginalisiert am untersten Ende der Gesellschaft gelebt. Dort habe sich die Großfamilie als Grundeinheit der sozialen Organisation verfestigt. Sie habe eine wichtige Schutzfunktion gehabt. »Wenn es keinen Sozialstaat gibt, ist man im Notfall auf die Familie angewiesen«, so Ghadban. In den achtziger Jahren seien viele Menschen aus dieser Gruppe wegen des libanesischen Bürgerkriegs nach Deutschland gekommen. Hier habe sich diese Struktur erhalten, auch als manche den Weg zur organisierten Kriminalität einschlugen. »Sie stellen vielleicht syrische Flüchtlinge an, um die Drecksarbeit zu machen, aber auf der Führungsebene gehören alle zum Clan«, sagt Ghadban.

Das »Bundeslagebild Organisierte Kriminalität 2018« des Bundeskriminalamts (BKA) enthält erstmals ein Kapitel zur Clankriminalität. Das BKA ­definiert sie als »Kriminalität von Mitgliedern ethnisch abgeschotteter Subkulturen«. Als Indikatoren für Clankriminalität werden in dem Kapitel unter anderem »eine starke Ausrichtung auf die zumeist patriarchalisch-hierarchisch geprägte Familienstruktur« und »eine mangelnde Integrationsbereitschaft mit Aspekten einer räumlichen Konzentration« genannt. Im Mittelpunkt stünden »besonders jene Personen, die der Volkszugehörigkeit der Mhallamiye, libanesischer oder palästinensischer Herkunft, zugeordnet werden können«.