Die Künstlerin Henrike Naumann über ihre Arbeit »Tag X«

»Die ›Erfolgsgeschichte Einheit‹ ist ambivalent«

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Interview Von

Haben Sie keine Sorge, dass die Rezeption bei »wohligem Grusel« stehenbleibt und so eine Auseinandersetzung mit dem Rechtsex­tremismus mitten in der Gesellschaft und dem alltäglichen Naziterror weggeschoben wird?
Eben nicht. Denn indem ich es für mich und die Besucher ermögliche, diese Themen an sich heranzulassen und nicht aus Reflex Abstand zu nehmen, können sie in der Tiefe treffen und zum Handeln motivieren.

Wie werden diese spezifisch deutschen Themen in Ihren internationalen Ausstellungen rezipiert?
Die eindrücklichste Publikumserfahrung hatte ich, als meine Arbeiten in Korea zur Busan-Biennale gezeigt wurden. Dort wurde die Frage nach nationaler Einheit und Zerrissenheit mit großer Leidenschaft diskutiert. Und die Möbel und Objekte mussten für sich selbst stehen können, da dem Publikum die Referenzen nicht vertraut sind, die in Deutschland klar scheinen. Dann muss so eine Arbeit auf skulpturaler Ebene kommunizieren und funktionieren. Als ich gemerkt habe, dass das funktioniert, war ich erleichtert.

Zurzeit wird über die Gewaltgeschichte der Wendezeit und über andere, bisher ignorierte Perspektiven verstärkt diskutiert, angeregt zum Beispiel durch den Hashtag »Baseballschlägerjahre«. Sehen sie ihre Arbeiten auch in diesem Kontext?
Die Geschichte der Wende wird mittlerweile differenzierter diskutiert. Die Beschäftigung mit Rechtsextremismus zeigt, dass die »Erfolgs­geschichte Einheit« ambivalent ist. In der Geschichtswissenschaft wird auch versucht, die Geschichte der »Deutschen Einheit« nicht als bloßen Erfolg zu schreiben, sondern auch andere Perspektiven einzunehmen.

Im dystopischen Video von »Tag X« sagt der Prepper-Veteran: »Niemand hat uns ernst genommen.« Der Umsturz war dennoch erfolgreich. Wie sollte die Öffentlichkeit Ihres Erachtens der Rechtsentwicklung in Deutschland und den Endkampfplänen von rechts begegnen?
Man muss die Rechtsextremen ernst nehmen und sich Ihnen entgegenstellen. Ich versuche, mich mit meiner Arbeit auf dem Feld der Kunst gegen Rechtsextremismus zu engagieren, Bewusstsein zu schaffen und andere zum Handeln zu motivieren. Die Menschen in Thüringen haben nicht Björn Höcke gewählt, weil der Bus auf dem Land nicht fährt, sondern weil sie seine rassistische Weltsicht teilen.