Die CDU nach Merkel

Leipziger Burgfrieden

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Der taktische Auftritt von Merz war symptomatisch für die Lage in der CDU, die ihre unauffällig agierende Kanzlerin weiterhin mürrisch auf ­einer langen Abschiedsgala begleitet. Die Partei präsentierte jenseits autosuggestiver Appelle kaum neue Inhalte. Geradezu tautologisch wurde die Einheit der Union beschworen, obschon die Risse auch in Leipzig kaum zu über­sehen waren. Gleich mehrere Redner, die den Charme von Motivationstrainern versprühten, beschworen das Bild von der Volkspartei, die künftig wieder Wahlergebnisse von 40 Prozent plus x anzustreben habe.

Carsten Linnemann, der Vorsitzende der Mittelstands- und Wirtschaftsunion (MIT), forderte eine Politik für die »schweigende Mehrheit« in der Republik. Linnemann zeichnete nicht mehr als ein Phantombild der Kernmilieus der Union. Die auch medial erzeugte Erregung vor dem Parteitag dürfte durch eine parteiinterne Nervosität zu erklären sein, die sich wohl kaum ein Funktionär öffentlich eingesteht: Die Union lebt immer noch von der Illusion, sie könne gemäß der offiziellen Losung des Leipziger Parteitags »Deutschlands starke Mitte« bleiben und wieder an frühere Erfolge anknüpfen. Dabei war schon der Stolz auf das Ergebnis bei der Bundestagswahl 2013 Resultat einer kollektiven Verdrängung. Zwar erhielt die Union damals 41,5 Prozent der Stimmen, die Absetzbewegungen im bürgerlichen Lager waren aber schon damals deutlich. Die von ehemaligen CDU-Mitgliedern wie Alexander Gauland und Rechtsliberalen wie Hans-Olaf Henkel mitgegründete »Alternative für Deutschland« (AfD) scheiterte mit 4,7 Prozent nur knapp an der Fünfprozenthürde; auch die FDP verpasste mit 4,8 Prozent der Stimmen den Einzug in den Bundestag.

Insgesamt weit über zehn Prozent der Wählerstimmen fanden keine parlamentarische Repräsentation; das Wahlergebnis der Union verzerrte den Blick auf die Veränderungen im Parteiensystem.

Und wer drängt im Jahre 2019 nicht in die Position der »starken Mitte«? Von den Grünen unter ihren Bundesvorsitzenden Annalena Baerbock und Robert Habeck über die FDP bis hin zu Bodo Ramelow (»Die Linke«), der in der Rolle des obersten Bürgerbeauftragten seines Bundeslands Thüringen ­Erfolge erzielen kann, gibt es unterschiedlichste Gegenspieler. Die CDU sieht sich kontrafaktisch als zentrale Kraft eines Lagers, das sich stark verändert hat. Vor diesem Hintergrund wirken die Angriffe der Union auf den vermeintlichen politischen Gegner denn auch wie Schattenboxen. Ein neuer Lagerwahlkampf, wie er dem CSU-Vor­sitzenden Markus Söder offenbar vorschwebt, wäre anachronistisch.