An der Nordgrenze Mexikos tobt der Machtkampf der Drogenkartelle

Mormonen und Mafia

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Auch wenn sich das Gefängnis im Zuge der Justizreform in Mexiko angeblich zu einer Vorzeigehaftanstalt gewandelt haben sollte, galt es weiterhin als unkontrollierbar. »Dort gab es alles, sogar Rockkonzerte und Wrestlingshows«, sagt Pérez, der fünf Jahre und sieben Monate mit elf Personen in einer Zelle für zwei Personen saß – unschuldig, wie er sagt. »Irgendjemand, der im Gefängnis mit Verlegung bedroht, verhört, vermutlich gefoltert und seiner Privilegien beraubt wurde, hat Befehle nach außen gegeben, Terror gegen die Zivilbevölkerung zu verbreiten«, glaubt Pérez.

Doch nun zeigte sich die Übernahme des Gefängisses durch die National­garde als Erfolgskonzept. Die Häftlinge hätten fast keinen Kontakt mehr nach außen, womit auch die Befehlskette der Banden ausgehebelt worden sei, was ein harter Schlag gegen das Juarez-Kartell sei, erzählt ein ehemaliger Mit­gefangener von Pérez. 

Am 11. November waren dann 60 Stunden ohne einen Mord in Ciudad Juárez vergangen – in der Stadt eine Ausnahme, wird für dieses Jahr doch insgesamt mit rund 1 400 Todesopfern durch Gewaltverbrechen gerechnet.

Mexikos Sicherheitsminister Alfonso Durazo sprach davon, dass die Täter des Massakers an der Mormonenfamilie gefasst seien, dass er aber noch keine Informationen nach außen geben könne. Wegen der verbreiteten Korruption und Straffreiheit dürften die genauen Hintergründe aber im Dunkeln bleiben. Für die These, Kartellmitglieder hätten den Konvoi der LeBarons verwechselt, spricht zumindest, dass die Kartelle in Chihuahua große Geschäfte mit dem Schleusen von Migranten ­machen. Seit Oktober 2018 haben den Bundesstaat rund 181 000 Geflüchtete aus Mittelamerika, Brasilien und Kuba durchquert, um klandestin über die Grenze in die USA zu gelangen. Die Kartelle wollen ihr Geschäft kaum durch die vermehrte Anwesenheit der Militärpolizei in der Region beeinträchtigen lassen.

In dem größtenteils ariden Bundesstaat sind es vor allem altertümliche Religionsgemeinschaften, die extensive Landwirtschaft betreiben. Die gesamte Vieh- und Milchwirtschaft ist in den Händen mennonitischer Gemeinschaften, die auffallen, weil sie Altdeutsch sprechen und ihr Kleidungsstil aus vorherigen Jahrhunderten stammt. Vor ­allem aber sind es streng konservative, patriarchale und hermetisch geschlossene Gemeinschaften. Im spärlich besiedelten Chihuahua werden sie weitgehend toleriert, höchstens in Liedern regionaler Bands werden sie ironisch aufs Korn genommen.

Die einzigen, die neben der Mafia gegen diese Gemeinschaften gewaltsam vorgehen, sind die Mitglieder der Bauernbewegung El Barzón (der Jochriemen), der wohl einflussreichsten sozialen Bewegung in dem ländlichen Bundesstaat. Sie wehren sich gegen subventionierte US-Importe, den die Umwelt vergiftenden Bergbau und gegen die von mennonitischen und mormonischen Gemeinschaften betriebene extensive Landwirtschaft, da diese den fragilen Grundwasserspiegel der Wüste belastet und ihre Betreiber in den vergangenen Jahren immer wieder illegal Brunnen gegraben haben.

»Wasser ist ein kostbares Gut in Chihuahua und wird als Ressource immer umkämpfter werden«, sagt Luz Adriana Torres, die an der Autonomen Uni­versität von Ciudad Juárez (UACJ) im bundesstaatlichen Programm gegen Klimawandel arbeitet. Im Rahmen der akademischen Aufklärungsarbeit über die Folgen des globalen Klimawandels rücken die religiösen Großgrundbesitzer immer mehr ins Augenmerk. »Die Mennoniten sind Teil des Problems«, so die Klimaschutzexpertin Torres. Die 50 000 Mitglieder der Gemeinschaft seien im Bundesstaat wegen der von ihnen betriebenen Viehwirtschaft ­verantwortlich für einen erheblichen Teil des CO2-Ausstoßes und des Wasserverbrauchs. 

Die mit 3 000 Mitgliedern weitaus kleinere mormonische Gemeinschaft der LeBarons, die Walnüsse und versuchsweise Haselnüsse für das Weltmarktunternehmen Ferrero Rocher anbaut, wird in Mexiko vielmehr wegen ihrer problematischen Familienstrukturen kritisiert. So machte 2013 die ­renommierte investigative Journalistin Lydia Cacho auf sektenartige Strukturen und Missbrauch aufmerksam. Die Familie war 1980 wegen Brudermords und Polygamie von ihrer im US-amerikanischen Bundesstaat Utah angesiedelten Kirchengemeinde ausgeschlossen worden. Derzeit bittet Cacho jedoch auf Twitter darum, ihre Recherchen über frauenverachtende Praktiken in der religiösen Gemeinschaft nicht ­gegen die Familie zu verwenden, deren Mitglieder auf grausamste Weise ermordet wurden.

* Name von der Redaktion geändert.