Politisch engagierte Studierende haben es immer schwerer

Repression in der Lernfabrik

Politisch engagierte Studierende sind an hiesigen Universitäten häufig Schikanen ausgesetzt. Im Zuge dessen schwindet auch die Hochschulautonomie.

»Das sind keine Studenten, das sind Straftäter.« Das sagte Ende vorigen Monats ein Polizist während der Besetzung des Instituts für Sozialwissenschaften der Berliner Humboldt-Universität (HU) zu einer Dozentin. Das Prä­sidium der HU teilte offenbar die in einer Stellungnahme der Fachschaft ­Sozialwissenschaften dokumentierte Einschätzung des Beamten: Es ließ das besetzte Institut räumen und erstattete gegen 16 Besetzerinnen und Besetzer, darunter auch Studierende, Strafanzeige wegen Hausfriedensbruchs. Etwa 60 Unterstützer der Kampagne »Rise up for Rojava« hatten für einige Stunden Räume des Instituts besetzt, um gegen den Einmarsch türkischer Truppen in Nordsyrien zu protestieren.

Nach Angaben des Referentinnenrat (Refrat), der Studierendenvertretung der HU, war es das erste Mal, dass das Universitätspräsidium die Polizei gegen Studierende vorgehen ließ. Keine Neuigkeit war hingegen, dass das Präsidium protestierende Studierende als Straftäter betrachtet: Bereits im Februar 2017 hatte die Universitätsleitung drei Studierende wegen Hausfriedensbruchs angezeigt. Das Präsidium hatte ihnen vorgeworfen, sich an einer mehrwöchigen Besetzung des sozialwissenschaftlichen Instituts beteiligt zu haben, mit der die Besetzer gegen die Entlassung des Stadtsoziologen und Institutsmitarbeiters Andrej Holm protestiert hatten (Jungle World 44/2019).

Im Juli 2018 ging das Präsidium wegen einer anderen Angelegenheit juristisch gegen den Refrat vor. Es strengte eine Auskunftsklage gegen die Studierendenvertretung an, da diese dem Senat die Namen der ihr angehörenden Referentinnen und Referenten nicht übermitteln wollte. Im Januar desselben Jahres hatte die AfD im Berliner Abgeordnetenhaus in einer Kleinen Anfrage verlangt, die Namen aller studentischen Referentinnen und Referenten der HU, der Technischen Universität (TU) und der Freien Universität (FU) der vergangenen zehn Jahre zu erfahren. Die TU und die FU lehnten dies aus Datenschutzgründen ab, nur das Präsidium der HU bestand auf der Herausgabe der Namen und verklagte schließlich die Studierendenvertretung.

 

Im Juli teilte der Refrat mit, das Präsidium und die Berliner Senatskanzlei für Wissenschaft und Forschung hätten ihm schriftlich bestätigt, dass das Präsidium die Studierendenvertretung auf Anweisung Steffen Krachs (SPD), des Berliner Staatssekretärs für Wissenschaft und Forschung, verklagt habe. Sebastian Zachrau vom »Freien Zusammenschluss von Studentenschaften« (FZS) sagte im Gespräch mit der Jungle World, er sehe darin den besorgniserregenden Fall, dass die Universität und der Senat die politische Entscheidung der Studierendenschaft, nicht auf die Anfrage zu antworten, delegitimierten. »Aufgrund ihres Verständnisses von Neutralitätspflicht sahen sie sich vermeintlich gezwungen, das Geschäft der AfD zu besorgen«, so Zachrau. 

Das HU-Präsidium ist nicht das einzige, das Namenslisten von Studierenden anlegen lassen möchte. Am Mittwoch voriger Woche teilte der AStA der Goethe-Universität Frankfurt am Main mit, das Präsidium der Universität habe die Studierendenvertretung zwei Wochen zuvor aufgefordert, die Namen von Vertretern der kurdischen Studierendengruppe YXK offenzulegen. Nach Angaben der studentischen Selbstverwaltung tat das Präsidium dies auf Anfrage des türkischen Generalkonsulats in Frankfurt. »Schon im Dezember 2017 verlangte die Universitätsleitung die Namen der Studierenden, die einen Mietvertrag für eine YXK-Veranstaltung im Studierendenhaus abgeschlossen hatten«, heißt es in der Pressemitteilung. 

Nicht nur an der HU, sondern auch an der FU und der TU kam es seit 2017 zu mehreren umstrittenen Polizeieinsätzen. Im April 2017 ließ die Universitätsleitung der FU die Polizei gegen Studierende vorgehen. »Surreale Szenen in Dahlem. FU lässt mit zwei Hundertschaften und einer Hundestaffel räumen«, twitterte die Gruppe »FU besetzt« damals. Die Studierenden hatten für wenige Stunden einen Hörsaal besetzt und mehr Freiräume sowie Selbstbestimmung im Studium gefordert. Die Polizei bestritt, den Hörsaal geräumt zu haben. Der Allgemeine Studierendenausschuss der FU nannte den Einsatz in einer Pressemitteilung »unverhältnismäßig« und »martialisch«.

Im Juni vorigen Jahres räumten mehrere Dutzend Polizisten das Audimax der TU. Studierende hatten den Hörsaal sechs Tage lang besetzt, um eine Lohnerhöhung für die studentischen Beschäftigten an den Berliner Hochschulen zu erreichen. »Seit 50 Jahren gab es keinen Polizeieinsatz an dieser Uni«, sagte ein studentischer Beschäftigter damals der Taz. Die Universität erstattete Strafanzeigen gegen einige der Besetzer, zog sie aber später wieder zurück.

 

Linke Studierende sind nicht nur Repressalien ausgesetzt, sondern müssen offenbar auch damit rechnen, von einer Vertrauensperson eines Landesamts für Verfassungsschutz (LfV) bespitzelt zu werden, wenn sie sich in universitären Gremien und der studentischen Selbstverwaltung engagieren. Das zeigt ein Vorfall im niedersächsischen Göttingen. Dort konnte die in der Interventionistischen Linken organisierte »Basisdemokratische Linke« (BL) im November vorigen Jahres durch einen Fehler des niedersächsischen LfV eine Vertrauensperson in ihren Reihen enttarnen (Jungle World 47/2018). Die Person hatte zwei Jahre lang zu der Gruppe gehört und sich an Aktionen sowie organisatorischen Aufgaben beteiligt. Einem auf dem Internetportal Indymedia veröffentlichten Beitrag zufolge studierte diese Person an der Göttinger Universität, ohne jemals Credit Points gesammelt zu haben. 

Die Vertrauensperson war das einzige studentische Mitglied der Struktur- und Haushaltskommission und stellvertretendes studentisches Mitglied der Studienkommission der Philosophischen Fakultät. Außerdem kandidierte sie für die Fachschaft der Fakultät sowie auf der der BL nahestehenden »Alternativen Linken Liste« für das Studierendenparlament. Das LfV bespitzelte in diesem Fall also das universitäre linke Milieu und konnte möglicherweise auch Einfluss auf universitäre Gremien und die studentische Selbstverwaltung nehmen.

Nach Paragraph 58 des Hochschulrahmengesetzes haben Universitäten »das Recht der Selbstverwaltung im Rahmen der Gesetze«. Politische Konflikte innerhalb der Hochschulen können demnach ohne staatliche Einflussnahme ausgetragen werden. Doch mittlerweile verzichteten immer mehr Hochschulen auf die ihnen gesetzlich zugesicherte Autonomie, so sieht es zumindest der Refrat. »Berliner Universitätsleitungen geben freiwillig ihre gesellschaftliche Autonomie auf, wenn sie Gerichte bitten, ihre Angelegenheiten zu regeln, und die Polizei rufen, um Studierende vom Campus zu vertreiben«, heißt es in einer Pressemitteilung der Studierendenvertretung vom Juli 2018.

 

Sebastian Zachrau sagte der Jungle World, die Universitäten sähen die Hochschulautonomie nur dort als bedroht an, wo die Willkür der Professorinnen und Professoren eingeschränkt wird. Polizeieinsätze würden dagegen begrüßt, da durch sie der Lehrbetrieb aufrechterhalten werde. Einsätze der Polizei gegen Studierende, so Zachrau, habe es an Universitäten zwar schon immer gegeben, früher seien sie aber infolge explizit politischer Entscheidungen konservativer und rechter Präsidien veranlasst worden. Mittlerweile aber würden Polizeieinsätze und die Einbeziehung von Staatsorganen als neutrale Verwaltungsentscheidungen angesehen. Grund dafür sei, dass Hochschulen sich immer weniger als autonome Stätten von Lernenden und Lehrenden und immer mehr als unternehmens­orientierte Lehrbetriebe verstünden. Als Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eines solchen »öffentlichen Betriebs«, so Zachrau, könnten die Lehrenden sich eher mit der Polizei als mit ihren Studierenden identifizieren.

Noch sind es vor allem linke Studierende, die die Folgen der schleichenden Aufgabe der Hochschulautonomie zu spüren bekommen. Sollte dieser Trend sich verfestigen, könnte eine autonome politische Praxis ohne Furcht vor Repressalien auch für andere Studierende erschwert werden. Zachrau fordert, die studentische Seite müsse darauf reagieren, indem sie zusammen mit dem akademischen und nicht­akademischen Mittelbau, aber auch mit den Professoren dafür sorge, dass Entscheidungen an der Hochschule wieder dezidiert politisch getroffen und kontrovers im Senat diskutiert werden. Dann könne es gelingen, staatliche Eingriffe in die universitäre Entscheidungsfindung mit dem Rückhalt der gesamten Hochschule abzuwehren. Das Prinzip der Hochschulautonomie lasse sich nur zusammen mit dem Prinzip der Hochschuldemokratie verteidigen.