Che, Lenin, Mao: Sporttreiben für die Revolution

Um die auf der Straße liegende Macht aufzuheben und sie anschließend zu behalten, braucht es schon ein Mindestmaß an Fitness. Teil drei einer Serie über sportliche Regenten und Politiker.

Wären alle Schulen Frankfurter Schulen, gäbe es vermutlich keinen Sportunterricht, denn für Adorno war Sport im Prinzip dasselbe wie mit Molotow-Cocktails gegen Regierungen anzutreten, die über die Atombombe verfügen: »Pseudoaktivität«. Außerdem: Objektifizierung durch Funktionalisierung des Athletenkörpers, eine Methode des totalen Industrialismus, die Körper der Arbeitskraftverkäufer für deren reibungslose Verwertung zuzurichten, und, in der Inszenierung sportlicher Groß­ereignisse, ein Modell für die Massenveranstaltungen des Totalitarismus. Aber wie hielten es jene bewaffneten Kapitalismuskritiker mit Sport, die von Adorno nichts wussten oder wissen wollten, sondern frei von kritischer Theorie revoltierten?

Gedopt mit Asthma-Spray: Che Guevara

Ernesto »Che« Guevara litt sein Leben lang an chronischem Asthma, was ihn aber weder daran hinderte, Zigarre rauchend Gewaltmärsche durch Dschungelgebiete zu unternehmen, noch daran, seinem Lieblingssport zu frönen: Rugby. Schon als Teenager spielte Guevara in mehreren Schülermannschaften und gab sogar eine Wochenzeitung namens Tackle heraus, in dem er kritische Beobachtungen festhielt wie die, dass Rugby ­leider ein Sport der Oberschicht sei, weshalb die Proletarier kein Inter­esse daran hätten und lieber bei Fußball blieben. Tackle, benannt nach ­einem Abwehrgriff aus dem Rugby, wurde von Ches Vater finanziert und brachte dem jungen Revoluzzer wegen marxistisch-leninistischer Tendenzen in den Kolumnen und Reportagen erste Aufmerksamkeit des argentinischen Geheimdienstes. Mehrere Teams warfen Che in dieser Zeit raus, weil er alle zehn Minuten zum Spielfeldrand rennen musste, um sein Asthmaspray zu inhalieren.

Davon ließ er sich jedoch nicht beirren und blieb dem Sport auch als Medizinstudent treu. Seinem Vater, der die sportlichen Aktivitäten seines Filius wegen dessen fragiler Gesundheit mit Sorge betrachtete, schrieb er in einem Brief, er liebe Rugby nun einmal und werde es weiter spielen, selbst wenn er dabei sterben müsse. Ches fanatische Zuneigung zu dem harten Mannschaftssport passte zu seinem durch Machismo, unbedingten Siegeswillen und Verachtung für »Weichheit« und »Bequemlichkeit« geprägten Charakter.

Ein anderer politischer Umstürzler war ebenfalls sehr von der Sportart angetan: Benito Mussolini. Der wollte Rugby zum Stählen des faschistischen Männerkörpers in Italien groß herausbringen, scheiterte aber am Unwillen der wenigen italienischen Spieler, sich ideologisch gleichschalten zu lassen.

Der begeisterte Schwimmer Mao empfing 1958 den sowjetischen Staatschef Nikita Chruschtschow,
der kaum schwimmen konnte, extra in einem tiefen Schwimmbecken.

 

Trimm dich für die Revolution: Wladimir Iljitsch Lenin

Als Sohn einer reichen russischen Familie trieb der spätere Lenin schon als Kind und Jugendlicher allerlei Sportarten, von denen der gemeine russische Bauer oder Fabrikarbeiter nur träumen konnte. Skifahren, Schwimmen, Reiten, Rudern – lauter eher weniger proletarische Arten der Körperertüchtigung. Während des Exils in Sibirien kam eine Leidenschaft für die Jagd dazu und später, in den Jahren in Mitteleuropa, erlernte er in der Schweiz das Bergsteigen und ging auf lange Fahrradtouren. Wie viele andere vom Nihilismus und später vom Marxismus inspirierte Intellektuelle bewunderte Lenin die Figur des Rachmetow aus Nikolaj Tschernyschewskijs Roman »Was tun?«.

Rachmetow war in dem Roman ein wohlhabender Mann, der sein ganzes Vermögen verschenkte, um das Leben der armen Menschen teilen zu können. Er lebte äußerst asketisch, verrichtete niedrige Tätigkeiten, trainierte seinen Körper und ordnete schließlich alles einer nicht näher beschriebenen »großen Aufgabe« unter, sogar sein Liebesleben.

Lenin wurde nicht müde, diesen Rachmetow bei jeder Gelegenheit als Vorbild für die Lebensführung wahrer Revolutionäre anzupreisen. Seinen Mitkämpfern bläute Lenin ein, sich ständig körperlich fit zu halten, um den Herausforderungen eines Lebens als Berufsrevolutionär gewachsen zu sein. In etlichen persönlichen Briefen an Genossinnen und Genossen pochte er darauf, wie wichtig es sei, ordentlich Muskelmasse aufzubauen, um dem Klassenfeind neben der Stirn auch den Bizeps bieten zu können (und um Verhaftung, Knast, Verhör und Folter zu überstehen).

Obwohl die erste Garde der Bolschewiki eher dafür bekannt war, in österreichischen und schweizerischen Kaffeehäusern zu hocken, als dafür, Gewichte zu stemmen, und obwohl Lenin gerne Tabak rauchte, ging das asketische Ethos vom trainierten »Neuen Menschen« in das ideologische Repertoire der Sowjetunion ein und sorgte dafür, dass kaum ein anderer Staat Sport und Fitness offiziell so sehr förderte wie die UdSSR.

Die großen staatlichen Kampagnen und Förderprogramme verhalfen der Sowjetunion nicht nur dazu, im Bereich des Sports zu einem der weltweit führenden Länder aufzusteigen, sondern trugen auch dazu bei, die beklagenswert niedrige Lebenserwartung der Bürger langsam zu erhöhen. Ein Prozess, der sich nach dem Untergang der Sowjetunion wieder umkehrte.

 

Der alte Mann und die Wasser des Jangtsekiang: Mao Zedong

1966 brodelte es in China. Der 72jährige »Große Vorsitzende« Mao Zedong, der zu diesem Zeitpunkt schon an die 50 Millionen Menschenleben und unzählige Sperlinge auf dem Gewissen hatte, kämpfte gegen partei­interne Kritiker, von denen er kurz danach während der »Kulturrevolution« etliche beseitigen ließ. Um aller Welt, vor allem aber seinen Rivalen zu zeigen, was für ein agiler und toller Hecht er noch immer war, durchschwamm er im Juli 1966 in Begleitung von Leibwächtern den Jangtsekiang. Es war einer der berühmtesten PR-Stunts der Geschichte, festgehalten von zahlreichen Kameras und ediert von gewissenhaften Zensoren.

Der chinesischen Propaganda zu­folge schwamm Mao die 15 Kilometer »ohne Anzeichen von Ermüdung« in nur 65 Minuten. Diese Zeit wäre ein Weltrekord gewesen, was zu ­vielen Zweifeln und belustigten Kommentaren damals berühmter westlicher Schwimmathleten führte.

Allerdings könnte der Hohn auch verfehlt gewesen sein, da man bei der Kritik an der Zeitmessung die starke Strömung des Flusses nicht berücksichtigt hatte. Wie schnell Mao tatsächlich schwamm und ob er überhaupt die ganze Strecke hinter sich brachte, ist immer noch umstritten. Auf den erhaltenen Filmaufnahmen sieht man zum Beispiel nicht, wie und wo genau Mao ins Wasser steigt. Unbestritten ist dagegen, dass Mao ein guter und begeisterter Schwimmer war.

Eine Tatsache, die er 1958 für eine sportlich betrachtet höchst unfaire Demütigung nutzte, indem er den sowjetischen Staatschef Nikita Chruschtschow, der kaum schwimmen konnte, demonstrativ in einem tiefen Schwimmbecken empfing.
Doch unabhängig von der Frage, ob es sich 1966 um eine gefakte Flussdurchquerung handelte oder nicht: Maos Bad im Jangtsekiang wird in China weiterhin gefeiert; man eifert ihm in großen Wettbewerben nach.