Bougainville will von Papua-Neuguinea unabhängig werden

Ein neuer Staat im Südpazifik

In Bougainville hat sich die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung in einem Referendum für die Unabhängigkeit von Papua-Neuguinea ausgesprochen. Auf der Inselgruppe gibt es große Lagerstätten von und Kupfer und Gold.

Die Inselgruppe Bougainville im Südpazifik ist ungefähr so groß wie Zypern und hat den Status einer autonomen Region Papua-Neuguineas. In einem Referendum vom 23. November bis zum 7. Dezember stimmten 98 Prozent der über 180 000 Wahlberechtigten für die Unabhängigkeit Bougainvilles. Das Plebiszit ist im Bougainville Peace ­Agreement (BPA) festgehalten, einem 2001 geschlossenen Friedensvertrag zwischen der Regierung Papua-Neuguineas mit Sitz in Port Moresby und der 1989 gegründeten Bougainville ­Revolutionary Army (BRA), die für die Unabhängigkeit kämpfte. Der Vertrag beendete formell einen Sezessionskrieg, der von 1988 bis 1997 dauerte. John Momis, der Präsident der autonomen Region, bezeichnete das Votum als »psychologischen Befreiungsakt der Bevölkerung Bougainvilles«.

Die große Zustimmung zur Unabhängigkeit ist vor allem emotional begründet. Fragen nach der Überlebensfähigkeit des jungen Staates spielten vor dem Votum kaum eine Rolle.

Anders als die Unabhängigkeitsreferenden in Katalonien oder Kurdistan wird das Plebiszit in Bougainville international anerkannt. Martin Miriori, in den neunziger Jahren ein Gesandter der BRA in Europa, meinte, das Votum habe »einen neuen Weltrekord in ­Sachen demokratischer Selbstbestimmung gesetzt«. Dass die Region schon in den nächsten Wochen unabhängig wird, ist aber unwahrscheinlich. Die Vertretung der Europäischen Union in Papua-Neuguinea etwa sieht das Ergebnis als »neues Kapitel in der Umsetzung des BPA«. Dem Friedensvertrag zufolge ist das Referendum nicht bindend. Beide Parteien sollen auf Basis des Votums in Konsultationen treten, die endgültige Entscheidung obliegt dem Parlament Papua-Neuguineas. Ministerpräsident James Marape mahnte die »internationale Gemeinschaft«, sich nicht in die Verhandlungen einzumischen und warnte vor dem Auseinanderbrechen seines Landes. Die Unabhängigkeitsbefürworter hingegen hoffen auf Unterstützung aus dem Ausland. Das Auswärtige Amt erwartet die »Notwendigkeit einer Vermittlung und Mediation unter Federführung der Vereinten Nationen«.

Die Inseln Bougainvilles gehörten von 1886 bis 1914 zur Kolonie Deutsch-Neuguinea. Bougainville diente als Anbaufläche für Kokosplantagen, die Bewohnerinnen und Bewohner wurden zur Arbeit zwangsrekrutiert. In fast allen ethnologischen Sammlungen Deutschlands finden sich geraubte Artefakte und Fotografien aus Bougainville, aufgenommen mit dem herablassenden Blick des deutschen Kolonialherren. Der Anthropologe und ­spätere Vertreter der nationalsozialistischen »Zigeunerforschung«, Richard Thurnwald, besuchte die Inseln in den Jahren 1906 bis 1909 und entwendete dabei zahlreiche Kunstwerke. 1914 besetzte Australien Deutsch-Neuguinea. 1920 ging die Verwaltung der ehemaligen Kolonie treuhänderisch an eine australische Zivilregierung über, zunächst unter dem Mandat des Völkerbunds, nach 1948 unter dem der UN.

Den Wunsch nach Unabhängigkeit äußerten Separatisten in Bougainville erstmals Ende der sechziger Jahre. Sie begründeten dies zunächst mit der »Identität« der Einwohnerinnen und Einwohner, deren kulturelle Praxis deutliche Unterschiede zum Rest Papua-Neuguineas, aber große Ähnlichkeiten zu den benachbarten Salomonen aufweise. 1969 wurden im Zentrum der Insel große Lagerstätten an Gold und Kupfer entdeckt. Von 1972 bis 1989 erwirtschaftete die Panguna-Mine, betrieben von der australischen Aktiengesellschaft Rio Tinto, etwa 40 Prozent des Bruttoinlandsprodukts Papua-Neuguineas. Der Bergbau brachte jedoch nicht nur wirtschaftliche Prosperität, sondern auch Umweltverschmutzung und Enteignung. Wenige Tage vor der vollständigen Unabhängigkeit Papua-Neuguineas im September 1975 erklärte sich Bougainville für unabhängig, konnte aber nach wenigen Monaten gewaltlos wiedereingegliedert werden. Die zentralen Streitpunkte, land grabbing und die mangelnde Beteiligung der Region an Bergbauerlösen, wurden jedoch nur oberflächlich ausgeräumt.

Ende der achtziger Jahre brach der Konflikt erneut aus. Eine Gruppe um den Minenarbeiter Francis Ona brachte den Bergbaubetrieb ab November 1988 durch Sabotageakte zum Erliegen. Im Sommer 1989 gründete sich die Rebellengruppe BRA. Die Regierung Papua-Neuguineas entsandte die Polizei und die Armee, ausgerüstet mit Waffen aus australischen Beständen. Das brutale Vorgehen führte zur Solidarisierung der Bevölkerung mit den Rebellen. Im Mai 1990 erklärte Ona erneut die Unabhängigkeit. An den Folgen von Gewaltakten, Hunger und Krankheiten starben bis zum Kriegsende 1997 etwa 20 000 Menschen. Mehrere Mediationsversuche scheiterten. Die Wende im Konflikt kam im Frühjahr 1997, als ­bekannt wurde, dass die papua-neuguineische Regierung das britische Söldnerunternehmen Sandline International mit der Rückeroberung der Panguna-Mine beauftragt hatte. Während die Regierung Papua-Neuguineas an diesem Skandal zerbrach, machte das Bougainville-Solidaritätsnetzwerk ­international auf das Thema aufmerksam. Unter der Vermittlung Neuseelands unterzeichneten die Konfliktparteien Mitte 1997 einen Waffenstillstand, der den Weg zum BPA ebnete. Die zentralen Punkte des Abkommens – Autonomie, Entwaffnung und ein ­Referendum – sind nunmehr verwirklicht.

Kommen die Verhandlungsparteien zu einer Übereinkunft, kann Bougainville nach einer Übergangsphase unabhängig werden. Der Aufnahme in die UN als 194. Mitglied stünde dann nichts im Weg. Gibt es keine Einigung, ist ein Wiederaufflammen des Konflikts möglich. Beobachter erwarten, dass dann die »internationale Gemeinschaft« Druck auf den Zentralstaat ausüben wird.

Die große Zustimmung zur Unabhängigkeit ist vor allem emotional begründet. Fragen nach der Überlebens­fähigkeit des jungen Staats spielten vor dem Votum kaum eine Rolle. Bougainville wäre einer der kleinsten Staaten überhaupt und auf Jahre von Hilfs­geldern abhängig. Derzeit kann die Autonomieregierung nur etwa die Hälfte ihrer Ausgaben durch eigene Einnahmen decken. Angesichts dieser Lage wird die Wiedereröffnung der Panguna-Mine diskutiert. Nach wie vor enthält die Lagerstätte Gold und Kupfer im Wert von schätzungsweise 58 Milliarden US-Dollar. Viele Bürgerinnen und Bürger sind wegen der drastischen Auswirkungen des Bergbaus in der Vergangenheit skeptisch, die Regierung und Landbesitzer sprechen sich hingegen für die rasche Wiederaufnahme der Förderung aus. Diese könnte jedoch frühestens 2025 erfolgen und würde ­Investitionen von etwa zehn Milliarden US-Dollar erfordern. Bergbaufirmen aus den USA und Australien haben bereits ihr Interesse signalisiert. China hat angekündigt, in Infrastrukturprojekte zu investieren. Indonesien fürchtet, dass die Sezession Bougainvilles die Unabhängigkeitsbewegung in West-Papua bestärken könnte (Jungle World 40/2019). Es ist abzusehen, dass ein unabhängiges Bougainville schnell mit der harten Realität der internationalen Politik konfrontiert wäre.