Zeitreisen: Ja, gut - aber in welche Zeit?

Zukunft oder Vergangenheit?

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Disko Von

Ansonsten ist sie eine Taube auf dem Dach, ein Versprechen, eine Hoffnung, eine Drohung, ein Glaube, eine Modellrechnung; kurzum: Hokuspokus. Sie ist die Sphäre der Ideologie und der Propaganda. Selbstredend könnte man hier einwenden, die Vergangenheit sei doch auch nicht besser: Die Sphäre der Verklärung und des Gewissens, der Moral, der Zuschreibung – letztlich auch alles Ideologie. Doch die Verklärung von Vergangenheit, selbst die Verfälschung von Geschichte, könnte uns völlig egal sein, wenn wir ihr nicht Bedeutung für die Zukunft beimäßen. Das Unangenehme an der Zukunft ist, dass in ihrem Namen alles erlaubt ist und dass wirklich jeder Depp im Land »Zukunft wagen« und »zukunftsfähig werden« möchte. Klar, wenn man sonst nichts wagt und sonst keine Fähigkeiten hat. Das Problem: Die Zukunft liegt unsichtbar vor uns, sonst wäre sie ja keine, man kann sie nicht greifen. Unsere Vergangenheit ist zwar auch vergangen, aber nicht nur. Sie ist als Erfahrung, als Erinnerung, als Prägung in unserem gegenwärtigen Ich eingebrannt.

»Auf die Zukunft setzen« ist für die meisten nur ein Synonym für’s Kinderkriegen.

Seien wir ehrlich: »Auf die Zukunft setzen« ist für die meisten nur ein Synonym für’s Kinderkriegen. Sie setzen Kinder in die Welt und meinen, sie hätten etwas zur Zukunft beigetragen, dabei geht es jetzt erst los, denn für diese Zukunft, das heißt ihre Kinder, müsse man nun bitteschön die Gesellschaft oder die Erde hübsch machen. »Es gibt zu wenig Kitaplätze!« Ja, aber es sind nicht weniger geworden die letzten Jahre … – Na, fällt der Groschen? Zukunft ist verantwortungslos. Dinge anfangen, die dann irgendjemand für einen fertig machen muss, weil man selbst bald in Rente geht und etwas später die Radieschen von unten anschaut. Aber der zuvor gepflanzte Baum will bitteschön weiter gegossen werden und die Kanzlerin, die man gewählt hat, regiert immer noch. Überall in der Stadt gibt es Spielplätze für Kinder, für Hunde fast keine. Warum? Weil Kinder »die Zukunft sind«. Hunde nicht. Die sind nur Gegenwart. Darum haben Punker Hunde und Spießer Kinder. »Es gibt nicht nur die ewig Gestrigen, es gibt auch die ewig Morgigen«, sagte Erich Kästner, wie immer treffend, in der Vergangenheit. In der Zukunft hat noch niemand etwas Treffendes gesagt.

Wer also nichts als Zukunft hat, hat nichts, und dem bleibt nur Hoffnung. Hat man nicht mal die, wird es tragisch. Fragt man die Kinder auf der »Fridays for Future«-Demonstration, in welches Jahr in der Zukunft sie mit einer Zeitmaschine würden reisen wollen, rufen sie erschrocken: Oh je, lieber gar nicht, da ist bestimmt alles verseucht und man braucht eine Gasmaske!

Das Einzige, was man wirklich hat, ist, was man hatte. Das kann einem keiner nehmen. Alte Texte etwa. Ich kenne einen ehemaligen Kollegen, jetzt bei einer Tageszeitung beschäftigt, der bei Facebook mindestens einmal die Woche zu einem aktuellen Thema eine 15 Jahre alte Glosse von sich aus der Jungle World postet, und ja, verdammt, die sind immer noch gut. Warum sollte der Mann Pläne schmieden, wozu? Die Gegenwart ist immer noch die echteste Zeit, sie weidet sich an der Vergangenheit. Oder, damit es auch Ihr Gesprächspartner am Tresen versteht: Welches Geld ist Ihnen am liebsten: Das, was sie vielleicht eines Tages haben werden? Das, welches Sie gehabt haben? Oder das, welches Sie haben? Na also.

Ich reise mit meiner Zeitmaschine daher in die Gegenwart. Oder in die Vergangenheit, um zu sehen, wie es dazu kam. Vielleicht ins Mittelalter? Obwohl: Dorthin kann man womöglich in beide Richtungen reisen.