Ein Gespräch mit Tania Sordo Ruz über geschlechtsspezifische Gewalt in Spanien

»Man muss auch die Mentalität der Richter ändern«

Interview Von

In der neuen spanischen Regierung ist die Feministin Irene Montero vom linken Bündnis Unidas Podemos (UP) Ministerin für Gleich­stellung. Welche Hoffnungen verbinden Sie damit für den Kampf ­gegen Gewalt an Frauen in dieser Legislaturperiode?

»Begriffe wie ›Eifersuchtsdelikte‹ oder ›Verbrechen aus Leidenschaft‹ sollten längst nicht mehr verwendet werden.«

Endlich haben wir in Spanien wieder ein Gleichstellungsministerium. Das spanische war seinerzeit das erste weltweit (es wurde 2008 unter der sozialdemokratischen Regierung von José Luis Rodríguez Zapatero geschaffen, nach einer Regierungsumbildung 2010 aber dem Ministerium für Gesundheit, Sozialpolitik und Gleichstellung untergeordnet, Anm. d. Red.). Das war ein Meilenstein, auch um zu zeigen, welches Gewicht Gleichstellung in einer Gesellschaft haben muss. Auch die ­Vorhaben der neuen Koalitionsregierung (aus UP und der sozialdemo­kratischen Partei PSOE, Anm. d. Red.) gehen in die richtige Richtung. Was mir in der egalitär besetzten Regierung allerdings noch fehlt, ist ein Eingehen auf die Diversität von Frauen, etwa auf Frauen mit afrikanischen oder lateinamerikanischen Wurzeln oder Migrantinnen. Man muss abwarten, ob die ­politischen Vorhaben auch verwirklicht werden.

Andere Staaten nehmen Spaniens Gesetz gegen Geschlechtergewalt als Vorbild. Wo liegen die Stärken und die Schwächen des Gesetzes?

Das Gesetz von 2004 war eine wichtige Weichenstellung. Seither ist geschlechtsspezifische Gewalt ein Thema der poli­tischen Debatten. Bereits 1997 erhielt der Fall von Ana Orantes medial große Aufmerksamkeit. Die 60jährige wurde von ihrem gewalttätigen Ex-Partner in einem Vorort von Granada ermordet. Nur 13 Tage vor der Tat hatte sie im Fernsehen ihre Situation geschildert. Der Fall prägte zusätzlich zur bereits starken feministischen Bewegung das öffentliche Bewusstsein für das Problem der Geschlechtergewalt. Das Gesetz befasst sich mit den Ursachen, Aus­lösern und Folgen dieser Gewalt und benennt Maßnahmen dagegen.

Mittlerweile sind wir an einem Punkt angelangt, an dem es an der Zeit wäre, das Gesetz auf andere Formen dieser Gewalt und deren Ausdrucksformen auszuweiten. Denn das Gesetz von 2004 berücksichtigt nur Fälle aus dem nächsten Umfeld des Opfers, sprich, wenn der Partner oder ehemalige Partner der Täter ist. Die Vereinten Nationen haben Spanien bereits darauf aufmerksam gemacht, dass andere Formen der Gewalt gegen Frauen darin aufgenommen werden sollen, um auch hier Schutz bieten zu können. Dabei geht es zum einen um sexuelle Gewalt, da derartige Fälle heftige Debatten und Kritik in der Gesellschaft ausgelöst haben. Denn wenn die Täter den ­Opfern unbekannt sind, gelten diese Delikte derzeit nicht als Geschlechter­gewalt. Man muss den Gesetzesrahmen aktualisieren und anpassen, auch in Bezug auf institutionelle Gewalt, etwa wenn Opfer vor Gericht gehen und ­ihnen letztlich die Schuld für den Übergriff zugeschoben wird. Wie in einem Fall eines Missbrauchsopfers in Spanien vor etwa drei Jahren, als die Richterin im Verfahren fragte, ob die Betroffene denn versucht habe, ihre Beine geschlossen zu halten. Zudem muss bezüglich der Entschädigung der Opfer und Über­lebenden weit mehr getan werden. Dabei geht es nicht allein um Finanzielles, sondern auch um die Verurteilung solcher Taten durch die Politik und die Institutionen und in erster Linie um Prävention. Die regionalen Gesetze auf den Kanaren, in Andalusien und Madrid gehen hier schon weiter und sprechen bei Morden an Frauen, die getötet wurden, weil sie Frauen sind, klar von Feminiziden. Das muss auch Teil einer Gesetzesreform sein.

Welche Rolle spielen die Medien für die Bewusstseinsbildung?

Die Medien haben eine zentrale Auf­gabe. Es ist enorm wichtig, welche Botschaft man in der Berichterstattung vermittelt und welcher Terminologie man sich bedient. Begriffe wie »Eifersuchtsdelikte« oder »Verbrechen aus Leidenschaft« sollten längst nicht mehr verwendet werden; oder das Muster, dem Opfer die Schuld oder Mitschuld zu geben, wenn über das Verhalten oder Details aus dem Privatleben der Opfer berichtet wird, die für die Straftat irrelevant sind. Das rechtfertigt das Delikt und macht das Opfer für das Geschehene verantwortlich. Feministische Journalistinnen leisten hier in Spanien und in Staaten Lateinamerikas großartige Arbeit. Es gibt ­klare Richtlinien, die unter anderem Journalistinnen auf den Kanaren erarbeitet haben, wie man über derartige Fälle berichten sollte.

Allerdings erreicht auch die rechtsextreme Partei Vox mit ihrer anti­feministischen Propaganda viele Wähler.

Die Propaganda der Partei Vox leugnet die Realität. Sie richtet sich gegen die zahlreichen Fortschritte bei den Menschen- und Frauenrechten, die in den vergangenen vier Jahrzehnten in Spanien und nach dem Zweiten Weltkrieg in Europa erreicht wurden. Die Standpunkte von Vox sind längst überholt. Aber wir dürfen sie nicht unterschätzen. Diese Gewalt hat immer eine Geschlechterperspektive. Wenn Vox dem widerspricht, normalisieren deren ­Anhänger Gewalttaten gegen Frauen und das kann zu einem Anstieg ihrer Zahl führen.

Die Rechtsextremen sind dabei nicht nur frauenfeindlich, sondern auch rassistisch.

Exakt, denn diese Delikte werden Migranten in die Schuhe geschoben. Dabei hat Gewalt gegen Frauen nur einen gemeinsamen Nenner: den Machismus, und keinesfalls die Herkunft. Man muss den Machismus aus der Gesellschaft verbannen. Die Masse an fake news, die die extreme Rechte produziert, müssen wir mit Daten widerlegen. Viele Ideen von Vox sind darüber hinaus antidemokratisch und verfassungswidrig. Die Partei will vieles rück­gängig machen, das wir in einem harten Kampf erreicht haben. Das wird begünstigt durch die mangelnde Aufarbeitung der Franco-Diktatur. Sie wird hoffentlich von der linken Regierung in Angriff genommen. Auch hier muss die Genderperspektive berücksichtigt werden. Denn während des Franquismus und im Namen dieser faschistischen Ideologie wurden Ver­brechen gegen Frauen verübt.

Kürzlich machte Vox mit der Forderung Furore, ein »elterliches Veto« gegen schulische Veranstaltungen und auch Lehrplaninhalte einzuführen, darunter auch explizit solche zu Geschlechtergewalt.

Das ist überaus gefährlich, und es verstößt gegen die Rechte der Kinder, die in Gleichstellung, sexueller Diversität und Antirassismus geschult werden müssen. Zudem zielt das Vorhaben auch gegen LGBTI und Migranten. Dieses Jahr wurden in Spanien bereits fünf Frauen von ihrem Partner oder Ex-Partner ermordet. Wegen ihrer Diskriminierung nehmen sich viele junge LGBTI das Leben. Die schulischen Veranstaltungen sollen Bewusstsein bilden und haben einen wesentlichen Anteil an der Gewaltprävention. Nicht selten helfen diese Veranstaltungen auch, Fälle von sexueller Gewalt und Missbrauch aufzudecken. Bildung in Sachen Sexualität ist fundamental.

Besorgniserregend ist auch, dass die anderen rechten Parteien, die rechtskonservative Volkspartei (PP) und Ciudadanos, den Vorschlag von Vox in der Region Murcia mittragen; und wohl auch in Andalusien, wo die rechte Regierung auf die Unterstützung von Vox angewiesen ist. Der Vorschlag verstößt gegen eine Fülle an internationalen Konventionen und in allererster Linie gegen die Kinderrechte.

Vergewaltigungen und andere Formen sexueller Gewalt, die von Gruppen junger Männer ausgingen, schlugen hohe Wellen, so etwa der Fall in Manresa, wo 2016 eine Gruppe Männer während eines Fests eine Minderjährige vergewaltigte. Die Täter von Manresa wurden nur des Missbrauchs schuldig gesprochen, wofür das Strafmaß deutlich unter dem für Vergewaltigung liegt. Das Urteil löste Proteste aus. Was muss sich hier ändern?

Wie zuvor angesprochen muss auch ­sexuelle Gewalt, die von Unbekannten ausgeht, in das Gesetz zur Geschlechtergewalt aufgenommen werden. Hier ist es mit einer Gesetzesänderung aber nicht getan, man muss die Mentalität der Richter und Richterinnen in solchen Fällen ändern. Sie müssen sich bewusst sein, welche Unterdrückungsverhältnisse, Formen der Dominanz und Ohnmacht bestehen. Dazu gehören neben dem Geschlecht die sexuelle Orientierung, ein etwaiger Migrationshintergrund des Opfers, aber auch die Klassenzugehörigkeit. Die in der Justiz Beschäftigten müssen dahingehend geschult werden. Wer Vorurteile hat, und alle haben solche, projiziert diese unweigerlich, sei es als Polizist, Anwalt oder Richter. Zudem gibt es in Spanien bisher kein Krisenzentrum für Ver­gewaltigte, wie etwa die Rape Crisis Centers, die in den USA und Großbritannien seit vier Jahrzehnten existieren. Opfer brauchen eine Anlaufstelle, an die sie sich wenden können, und auf Fälle von sexueller Gewalt spezialisierte Anwältinnen und Anwälte. Aber das Recht kann nicht alle Probleme ­lösen, es braucht auch Bildung mit einer Genderperspektive.