Die Biathlon-WM beginnt

Gleiten und ballern

Eine kleine Einführung in die Faszination Biathlon.

Bumsi trägt keine Hose. Das Antholzer Biathlonmaskottchen, das wirklich so heißt, steht damit in der Nachfolge von Goleo, dem kolossal gefloppten Maskottchen der Fußball-WM 2006 in Deutschland. Goleo sollte einen untenrum unbekleideten Löwen darstellen. Bei Bumsi handelt es sich um eine Art Bär ohne Hose, aber mit Biathlonleibchen.

Vom 12. bis zum 23. Februar findet die Biathlon-WM in der norditalienischen Region Südtirol statt und vom Streckenrand wird das putzige Maskottchen in die weite Welt grüßen. Viele Millionen Zuschauerinnen und Zuschauer, insbesondere in Deutschland, werden gebannt vor den Fernsehgeräten ausharren und abwarten, wer bei dieser skurrilen Kombination aus Skilanglauf und Schießen, aus Kondition und Präzision, am Ende wohl die Skispitze vorne haben wird – eine gute Gelegenheit, die inzwischen so populäre Wintersportart und ihren militärischen Hintergrund ein wenig näher zu betrachten.

Dass ausnahmslos alle deutschen Biathletinnen und Biathleten, die im Weltcup antreten, bei der Bundeswehr, der Bundespolizei, dem Zoll oder den Landespolizeien unter Vertrag stehen, ist nicht überraschend und hat vor allem etwas mit der Sportförderung hierzulande zu tun. Ob der Bundespolizist Arnd Peiffer, die Sportsoldatin Denise Herrmann, die Zollbeamtin Franziska Preuß oder der Landespolizist Philipp Nawrath, sie alle werden über Sportfördergruppen der deutschen Exekutive ­finanziert. Das Bundesinnenministerium ist nicht nur für »innere ­Sicherheit«, politische Bildung und »Heimat« zuständig, sondern eben auch für Sport. Verantwortlicher Staatssekretär für Heimat und Sport ist Markus Kerber, der ehemalige Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Industrie.

Die staatliche Sportförderung hat die Bereiche Heimat und Sport schon seit langem miteinander verknüpft: Für angehende Leistungssportlerinnen und -sportler in Disziplinen, in denen nicht sofort das große Geld in Aussicht steht oder entsprechende Förderinstitutionen wie das Fußballinternat oder die Tennisakademie ohne staatliche Finanzierung fehlen, ist es die sicherste Perspektive, sich von Bundeswehr, Polizei oder Zoll bezahlen zu lassen. Etwaiger Erfolg färbt dann zugleich als Werbeeffekt auf die staatlichen ­Arbeitgeber ab. Zudem gehören Schießübungen sowohl zum Biathlon als auch zur Berufsausbildung, beim Zoll übrigens ebenso wie bei der Polizei und der Bundeswehr.

Die Sportart entstand ohnehin als militärischer Wettstreit. Ab 1915 gab es offizielle Wettkämpfe im sogenannten Militärpatrouillenlauf. Dieser fand zwischen 1924 und 1948 auch viermal als Demonstrationssportart im Rahmen der Olympischen Spiele statt, als Teamwettbewerb und ausschließlich mit Militärangehörigen. Die Mannschaften bestanden entsprechend aus einem Offizier, einem Unteroffizier und zwei weiteren Soldaten, die gemeinsam auf die Strecke gingen und auf halbem Wege am Schießstand eine Schießeinheit mit dem Gewehr einlegten, um Zeitgutschriften zu erhalten. Der Offizier nahm nicht am Schießen teil, war aber mit einer Pistole ebenfalls bewaffnet und führte die Trup­pe an. Daneben entwickelten sich indes auch Einzelrennen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Sport entmilitarisiert. Auch »Zivilisten« wurden zugelassen, und der Name Biathlon wurde eingeführt. Die Disziplin war allerdings erst ab 1960 olympisch, zunächst über viele Jahre dominiert von der Sowjetunion und den skandinavischen Ländern. Mittlerweile gehören auch Frankreich, Deutschland und Italien zu den erfolgreichen Biathlonnationen. Seit Mitte der achtziger Jahre finden die Wettbewerbe in der Skating-Technik statt, dem schnelleren freien Stil des Skilanglaufs, der in erster Linie auf Doppelstockschub und gleitenden Schlittschuhschritten beruht.

Biathlon zählt inzwischen zu den Wintersportarten, bei denen es zwischen Männer- und Frauensport keinen nennenswerten Unterschied mehr gibt in Sachen Publikums­interesse und Sponsorenverträge, anders als zum Beispiel beim Skispringen oder Eishockey. Die größten deutschen Biathlonstars der vergangenen Jahre sind Magdalena Neuner und Laura Dahlmeier (bei­de aus der Sportfördergruppe des Zoll), die erstaunlich früh, mit 25 Jahren, ihre aktiven Karrieren beendeten, aber weiterhin als Werbeträ­gerinnen und TV-Expertinnen tätig sind.

Dass die Gleichstellung von Männern und Frauen im Biathlon nicht immer üblich war, zeigt eine kleine TV-Dokumentation der ARD, die weiterhin online in der Mediathek zu finden ist: In »›Flintenweiber‹ – Als Biathlon die Frauen entdeckte« wird klar, mit welchen Widerständen und Vorurteilen die ersten Biathletinnen Ende der achtziger Jahre in Westdeutschland zu kämpfen hatten. Als »Flintenweiber« verspottet, gründete sich 1986 im hessischen Willingen eine erste weibliche Trainingsgruppe, anfangs nur ehrenamtlich betreut von der Sportlehrerin Renate Schinze. 1988 gewann ihre Schülerin Petra Schaaf überraschend und ohne merkliche Reaktion der Öffentlichkeit eine Goldmedaille bei der Biathlon-WM, bei der erst seit 1984 Frauenwettkämpfe vorgesehen waren. 1990 gab die Trainerin allerdings entnervt auf, da mit wachsendem Erfolg und öffentlichem Interesse die Platzhirsche etwa aus dem Sportverband ihr immer stärker hineinredeten und ihre Autorität untergruben.

In der DDR wurde Frauenbiathlon erstaunlicherweise noch weniger gefördert. Die erste deutsche Biathlon-Olympiasiegerin Antje Misersky – 1992 in Albertville, Frankreich – wechselte zum Biathlon, weil ihre Langlaufkarriere in der DDR vorbei war, nachdem ihr Vater, der Langlauftrainer Henner Misersky, sich geweigert hatte, ihr die staatlich verordneten Dopingmittel zu verabreichen. Er verlor dadurch seine Anstellung und äußerte sich später sehr kritisch darüber, dass die gesamtdeutschen Sportverbände auch in hohen Positionen Trainer weiterbeschäftigten, die beim Dopingsystem mitgemacht hatten. Uwe Müßiggang, der Nachfolger von Renate Schinze als Bundestrainer des Frauenkaders (bis 2014), war wiederum ein ehemaliger DDR-Biathlet, der nach dem Fluchtversuch seines Bruders 1980 als Mitwisser für ein Jahr in politischer Haft saß. Sein Ausreiseantrag wurde erst 1984 genehmigt. Nach seiner Ausreise betätigte er sich zunächst im bay­erischen Berchtesgaden als Sportlehrer und Trainer.

Im Laufe der neunziger und vor allem der nuller Jahre lief Biathlon traditionellen Wintersportarten wie dem Skilanglauf und inzwischen sogar den alpinen Disziplinen den Rang ab, was die Einschaltquoten betrifft. Es kamen neue Wettkampfformate wie Verfolgung und Massenstart hinzu, die die Spannung auf der Loipe für das Publikum noch erhöhen sollten. Hier laufen die Athletinnen und Athleten nicht nur je alleine gegen die Uhr, sondern direkt gegen die Konkurrenz, so dass der Zuschauer sofort sieht, wer gerade vorne liegt – was sich am Schießstand durch die Strafrunden für Fehlschüsse schnell ändern kann.

Ob die extreme Beliebtheit dieses militärischen Wintersports in Deutschland kollektivpsychologisch auch im Zusammenhang steht mit der nationalen Traumabewältigung wegen der Niederlage von Stalingrad im Winter 1942/1943, muss an dieser Stelle offenbleiben.

Die Kommentatorinnen und Kommentatoren gebrauchen hierfür oft den schönen Begriff des »Nachhaltens«, der auch als Lebens- und Binsenweisheit seine Berechtigung hat: Beim letzten Schuss ist es entscheidend, dass die Biathletinnen und Biathleten nicht schon im Kopf wieder auf der Strecke sind, sonst geht er leicht daneben. Diese Kunst des Nachhaltens lässt sich gut auf allerlei andere Situationen und Lebenslagen übertragen. Seit 2014 gehört sogar eine Mixed-Staffel aus zwei Frauen und zwei Männern zum olympischen Programm, vor 30 Jahren war dies nicht nur für Biathlonfunktionäre kaum vorstellbar.

Ob die extreme Beliebtheit die­ses militärischen Wintersports in Deutschland kollektivpsychologisch auch im Zusammenhang steht mit der nationalen Traumabewältigung wegen der Niederlage von Stalingrad im Winter 1942/43, muss an dieser Stelle offenbleiben. Der Sportdisziplin hängt ein etwas hemdsärmeliges, kleinbürgerliches Image an, im Unterschied zu so coolen, actionreichen Funsportarten wie Freestyle-Snowboarding oder Tiefschnee-Skiing. Beim Biathlon gibt es keine Werbebanner für Energydrinks und an­gesagte Lifestyle-Klamotten, sondern welche von Baumärkten sowie Funktionskleidungs- und Heiztechnik­anbietern. Andererseits: Auf die Piste, zappeln und gleiten, ballern und nachhalten – das klingt auch nicht anders als der durchschnittliche Berliner Party-Hedonismus, und manchmal ist dort ebenfalls Bumsi ohne Hose dabei.