Die französische Regierung zerstreitet sich wegen eines Gesetzentwurfs über Sonderurlaubsansprüche

Zoff auf der Regierungsbank

Die französische Regierung zerstreitet sich über einen liberalen Antrag über Ansprüche auf Sonderurlaub für Beschäftigte. Die sozialen Auseinandersetzungen gehen weiter.

In der französische Regierungspartei La République en marche (LREM) eskaliert der Streit über eine an sich geringfügige Reform. Derweil greifen die sozialen Auseinandersetzungen um die Rentenreform, die in den vergangenen zwei bis drei Monaten in der französischen Gesellschaft ausgebrochen sind, auf neue Bereiche über.

Im Laufe der vergangenen Wochen zerstritt sich das Regierungslager vor laufenden Kameras über eine soziale Frage von hoher symbolischer Bedeutung. Es geht dabei um einen Sonderurlaub für Lohnabhängige im Fall des Todes eines eigenen Kindes. Diesen von fünf auf zwölf Tage auszudehnen, hatte Ende Januar ein Abgeordneter der liberalen Partei Union des démocrates et indépendants (UDI) in der Nationalversammlung beantragt. Das hätte eine sozialpolitische Anerkennung des Leids betroffener Beschäftigter ­gedient. Viel gekostet hätte es nicht: In einem solchen Falle lassen Eltern sich ohnehin meist krankschreiben. Die Reform sollte vor allem bewirken, dass sie sich nicht zu verstecken brauchen, sondern den Grund für ihren Schmerz offen benennen können.

Tage später wurde der Vorgang einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. Seitdem tobt auch in bürgerlichen Medien ein Sturm der Empörung.

Man hätte also damit rechnen können, dass bürgerliche Abgeordnete dieses Anliegen ohne viel Aufhebens durchwinken. Doch in einer nächtlichen Sitzung lehnte die Nationalversammlung den Antrag mit 40 zu 38 Stimmen ab. Die Arbeits- und Sozialministerin Muriel Pénicaud hatte die Abgeordneten um ein negatives Votum ersucht – mit dem Argument, die Reform würde die Unternehmen zu viel kosten. Besonders tat sich die südfranzösische LREM-Abgeordnete Sereine Mauborgne hervor, die mehrfach das Wort ergriff, um das Vorhaben als unbegründeten neuen Anschlag auf die geplagten ­Unternehmen darzustellen: »Warum zwölf und nicht 15, 20, 40 Tage?« Stattdessen regte sie an, man könne »Arbeitszeit-Spendenkonten« in Unternehmen einrichten, auf die die anderen Lohnabhängigen ihren betroffenen ­Arbeitskollegen dann Urlaubstage von ihrem eigenen Urlaubskontingent spenden könnten.

Tage später wurde der Vorgang einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. Seitdem tobt auch in bürgerlichen Medien ein Sturm der Empörung, selbst Konservative zeigen sich unangenehm berührt. Dabei spielt nicht nur eine Rolle, dass Familienwerte von der bürgerlichen Rechten als notwendiger Ausgleich gegen die Härten des Kapitalismus propagiert werden. Auch dass der wichtigste Arbeitgeberverband in Frankreich, der Medef, die Reform ­befürwortet und nun eine neue Abstimmung im Parlament zu ihrer Einführung fordert, erleichterte den Regierungskritikern die Argumentation. Es spielt dabei sicherlich auch eine Rolle, dass in den Reihen des Medef die Großunternehmen den Ton angeben. In einem Großbetrieb ist es relativ egal, ob ein oder zwei Mitarbeiter ein paar Tage Sonderurlaub nehmen. Bei einem kleinen Unternehmen mit wenigen Angestellten macht sich dies stärker bemerkbar.

Inzwischen zeigten sich mehrere Minister in der Öffentlichkeit zerknirscht, die ursprünglich hartleibige Mauborgne übte mediale Selbstkritik. Bei einer Fraktionssitzung warfen einzelne Abgeordnete der Regierungs­spitze vor, das eigene Lager zu unterminieren oder zumindest dessen Image zu ramponieren. Premierminister Édouard Philippe räumte öffentlich ein, man habe einen Fehlgriff getan. Er selbst scheint im Übrigen nicht mehr allzu sehr vom Kurs seines Kabinetts überzeugt zu sein. Zur allgemeinen Überraschung kündigte er an, bei den französischen Kommunalwahlen am 15. und 22. März in seiner Herkunftsstadt Le Havre für den Bürgermeisterposten zu kandidieren. Vielleicht wird er bald den Vorsitz im Rathaus statt in der Regierung führen – es sei denn, er scheitert mit seiner Kandidatur in Le Havre, wie viele nun erwarten.

Anfang dieser Woche verlautbarte der konservative frühere Premierminister Jean-Pierre Raffarin (2002 bis 2005), sollte die geplante und gesellschaftlich umkämpfte Rentenreform sich durchsetzen, dann habe Staatspräsident Emmanuel Macron »politischen Mut bewiesen«. Raffarin war in seiner Amtszeit mit mehreren Streik­bewegungen konfrontiert, setzte 2003 eine Rentenreform gegen erheblichen Widerstand durch und privatisierte ein Jahr später die Energieversorgungs­unternehmen EDF und GDF.

Die Parlamentsdebatte über die Rentenreform soll am kommenden Montag beginnen. Dazu haben die Gewerkschaften einen »neuen schwarzen Montag« im öffentlichen Transport angekündigt. Am 20. Januar war nach rund 45 Streiktagen ein großangelegter Ausstand bei den Verkehrsbetrieben SNCF (Fernverkehr) und RATP (Pariser Nahverkehr) zu Ende gegangen. Anfänglich wurde die neue Streikankündigung von bürgerlicher Seite noch ­belächelt. Doch ein halbes Dutzend Gewerkschaften unterstützt mittlerweile den Aufruf, darunter UNSA, FO und Sud sowohl bei der Bahn als auch im Nahverkehr. Als letzte größere Gewerkschaft zeigte sich zu Wochenanfang ausgerechnet die kampfstarke CGT – deren Sektion bei den Eisenbahnern nicht zu ihrem linken Flügel ­gehört – zögerlich und bezog keine klare Position.

Der Dachverband CGT, der in den vergangenen Jahren meist kämpferischere Positionen bezog als seine Eisenbahnergewerkschaft, ruft indessen für Donnerstag zu neuen Protesten ­gegen die Rentenreform auf, und alle teilnehmenden Gewerkschaften gemeinsam für den Donnerstag in der Woche darauf.

Eine Reihe von Streikherden existiert weiterhin, trotz der vorläufigen Beendigung des Transportstreiks im vorigen Monat. So haben sich in vielen Pariser Trabantenstädten und Stadt­teilen berufsgruppenübergreifende Streikkomitees, sogenannte interpros, gegründet. Auch Anwältinnen und ­Anwälte machen von sich reden – der für ihre Berufsgruppe ungewöhnliche Streik dauert seit dem 6. Januar an; bis zu 80 Prozent der Verfahren wurden deshalb an vielen Gerichten ausgesetzt. An den Hochschulen geht es erst los, dort wird zum unbefristeten Streik ab dem 5. März aufgerufen. Außer gegen die Rentenreform richtet sich der Streik dort auch gegen einen gravierenden Stellenmangel und die drohende allgemeine Befristung von Verträgen.

Allerdings blieb die Streikbeteiligung in vielen wichtigen Industriebetrieben mäßig. In der Petrochemie etwa war der Streik in den Raffinerien, dessen Höhepunkt in der zweiten Januarwoche lag, kein Erfolg. Ein Grund dafür ist, dass seit längerem über die Auslagerung oder Schließung von Raffinerien im Inland diskutiert wird, das macht wirksame Proteste schwierig. Aber auch der stalinistische Charakter des Branchenverbands der CGT spielt dabei eine Rolle: Er redet oft an einer Mehrheit der Beschäftigten vorbei.

Die Auseinandersetzung ist nicht beendet. Darauf insistieren auch bürgerliche Medien wie der Privatfernsehsender BFM TV in diesen Tagen. Die Regierungspartei sucht hingegen den Eindruck einer Normalisierung zu erwecken.