Der Inklusionsaktivist Constantin Grosch über das geplante Intensivpflege- und Rehabilitationsstärkungsgesetz

»Es wird von ambulant zu stationär umgeschichtet«

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Am Mittwoch vergangener Woche verabschiedete das Bundeskabinett den Entwurf des Intensivpflege- und Rehabilitationsstärkungsgesetzes (IPReG). Dem Gesundheitsministerium zufolge soll damit die Versorgung von Beatmungspatienten verbessert und Abrechnungsbetrug erschwert werden. Behinderte Aktivisten und Aktivistinnen äußern dagegen die Befürchtung, dass Menschen mit schweren Behinderungen gegen ihren Willen in Heime eingewiesen würden (Jungle World 35/2019). Über diese Sorgen und die Proteste gegen das geplante Gesetz hat die Jungle World mit dem Inklusionsaktivisten und Soziologiestudenten Constantin Grosch gesprochen.

Was ist das Problem an dem geplanten Gesetz?
Problematisch ist, dass vom Ministerium unterschiedliche Prioritäten gesetzt werden. Richtigerweise soll das Gesetz die finanzielle Plünderung durch die Beatmungs-WGs beenden. Gleichzeitig will Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) damit auch die spärlichen Ressourcen im System, die Gelder und Pflegekräfte, effizienter einsetzen. Das führt dazu, dass von ambulant zu stationär umgeschichtet wird, was den Forderungen der Behindertenbewegung widerspricht und Menschenrechte gefährdet.

Mit dem zweiten Entwurf wurde auch der ursprüngliche Name des Gesetzes geändert, aus der Abkürzung RISG wurde IPReG. War das ein Zeichen dafür, dass sich der Bundesgesundheitsminister verkalkuliert hat?
Davon gehe ich aus. Das Ministerium wollte ein Gesetz für Leute machen, die stationär untergebracht sind und kaum noch Teilhabemöglichkeiten haben. Dass das Gesetz auch langjährig Behinderte betreffen würde, die Beatmung brauchen, betreffen würde, wurde übersehen. Ein großer Teil der von dem Gesetz Betroffenen organisiert die eigene Versorgung selbst und nimmt ganz normal an der Gesellschaft teil. Diese Menschen hätten nach dem ersten Entwurf alle in Heime umziehen müssen. Statt die Teilhabedefizite im stationären Bereich zu bekämpfen, bekämpft man die Teilhabe im ambulanten Bereich.

Was hat sich in den späteren Entwürfen verbessert, was ist noch problematisch?
In den ersten Entwürfen war für die Betroffenen kein Wahlrecht des eigenen Wohnorts vorgesehen. Die stationäre Versorgung sollte zum Standard werden. Auch im zweiten Entwurf gab es noch einen Mehrkostenvorbehalt, der die Heimunterbringung bevorzugt hätte. Allerdings soll auch nach der aktuellen Version, die nun dem Parlament vorliegt, der Medizinische Dienst darüber entscheiden, ob eine ambulante Versorgung für die Person geeignet ist. Das ist für Menschen mit recht gleichbleibenden Beeinträchtigungen eine sinnlose, aber belastende Zusatzüberprüfung. Für das Gesundheitssystem bedeutet es enorme Mehrkosten, was befürchten lässt, dass diese durch vermehrte Einschätzungen des medizinischen Dienstes, die Person sei stationär besser versorgt als durch eine teurere individuelle Assistenz, finanziell ausgeglichen werden sollen.

Es gab bereits Proteste der Behindertenbewegung. Was ist schon passiert, was ist noch geplant?
Wir werden jetzt verstärkt auf die Abgeordneten und Gesundheitspolitiker zugehen und sie mit unseren Befürchtungen konfrontieren. Mit Mahnwachen von Betroffenen und dem gezielten Ansprechen von Entscheidungsträgern bei Veranstaltungen haben wir bereits gute Erfahrungen gemacht. Es gibt auch eine Petition auf Change.org, die bereits über 150 000 Unterstützer unterschrieben haben. Es ist aber auch wichtig, aus diesem Abwehrkampf zu progressiven Forderungen für mehr Autonomie für die Betroffenen zu kommen, weil der Status quo schon schlecht genug ist.