Der Lukowmarsch in Sofia

Rumstehen in Sofia

In der bulgarischen Hauptstadt Sofia trafen sich am Wochenende erneut Neonazis aus ganz Europa, um des Nazikollaborateurs Christo Lukow zu gedenken.

Es ist Samstagabend, in einer Sackgasse am Rande der Innenstadt von Sofia sammeln sich immer mehr Menschen vor einem kleinen, unauffälligen Haus. In der Gasse ist eine behelfsmäßige Bühne aufgebaut worden, vor der sich Neonazis aus Bulgarien und anderen europäischen Ländern versammelt haben. Man kennt sich und tauscht sich über die anwesende unliebsame Presse aus, die mit Hilfe der Polizei schnell von der Kundgebung weggeschickt wird. Dies ist bereits die dritte Großveranstaltung europäischer Neonazis in diesem Februar nach den Aufmärschen in Budapest und Dresden.
Die Stimmung ist angespannt, viele Teilnehmer und Teilnehmerinnen sind unzufrieden. Die Demonstration darf, anders als in den Vorjahren (Jungle World 6/2018), nicht durch die Innenstadt von Sofia laufen und ist auch deutlich kleiner.

Der Lukowmarsch gilt als ein Ort der internationalen Vernetzung der europaweiten Neonaziszene.

Als es allmählich dunkler wird, werden Fackeln entzündet und die ersten Reden im Gedenken an Christo Lukow gehalten. Der Führer der antikommunistischen und nationalistischen Partei Bund der Bulgarischen Nationalen ­Legionen (SBNL) stieg 1935 zum Kriegsminister auf und kollaborierte im Zweiten Weltkrieg mit den deutschen Nationalsozialisten. Die SBNL forderte die Deportation bulgarischer Jüdinnen und Juden. Am 13. Februar 1943 wurde Lukow von Wioleta Jakowa und Iwan Burudschiew, zwei kommunistischen Partisanen, in seinem Haus erschossen.

Seit 2003 versuchen bulgarische Neonazis, Lukows Tod zu mystifizieren, und verklären ihn zum Märtyrer. Die paramilitärisch organisierte Bulgarische Nationale Union – Edelweiß (BNU) veranstaltet jährliche Aufmärsche in Gedenken an den NS-Kollaborateur. Unterstützung bekommen die Organisatoren von weiteren extrem rechten Gruppen und Parteien aus Bulgarien, beispielsweise der rechtspopulistischen Partei IMRO-Bulgarische Nationale Bewegung (IMRO-BNB), und von lokalen Fußballfans. Die Ultras und Hooligans von Lewski Sofia wie auch von CSKA Sofia mobilisieren in den Fankurven für den Gedenkmarsch. Die Demonstration gilt als Treffpunk zur internationalen Vernetzung der europaweiten Neonaziszene. Ihren Höhepunkt erreichten die Aufmärsche in den Jahren 2013 und 2014, als bis zu 2 000 Neonazis in Sofia auf die Straße gingen.

Bereits am Mittag, lange bevor sich die Neonazis sammeln, finden sich im Stadtzentrum etwa 300 Antifaschisten und Antifaschistinnen ein. Seit mehreren Jahren gibt es einen breiten antifaschistischen und queeren Protest gegen den Lukowmarsch. Unter dem Motto »No Nazis on Our Streets« findet mit Unterstützung aus Deutschland und Griechenland eine Demonstration durch die Innenstadt statt. Diese wird nur von wenigen Polizisten begleitet. Am Rand der Demonstration tauchen immer wieder kleine Gruppen von Neonazis auf, die das Geschehen in aller Ruhe beobachten.

Währenddessen ist noch immer nicht klar, wie der Abend verlaufen und ob es überhaupt einen Marsch der Neonazis durch die Stadt geben wird. In den Wochen vor der Demonstration überschlugen sich die Ereignisse regelrecht. Im Januar kündigte die bulgarische Staatsanwaltschaft an, der BNU den Status der Gemeinnützigkeit abzuerkennen, da die Organisation durch ihr paramilitärisches und rassistisches ­Auftreten gegen die Grundsätze des Staates verstoße. Infolge dieses Verbotsverfahrens wurde ein Mitglied der BNU von der Staatlichen Agentur für Nationale Sicherheit, dem Geheimdienst des Landes, vorgeladen. Dort erschoss sich der Mann mit einer selbstgebauten Waffe aus bisher un­bekannten Gründen. Bei der anschließenden Durchsuchung seiner Wohnung stellten die Ermittler »eine große Menge Schusswaffen und Munition sowie mehrere Bilder von Adolf Hitler« sicher, wie die Staatsanwaltschaft ­bulgarischen Medien berichtete.

Angesichts dessen forderte die Bürgermeis­terin von Sofia, Jordanka Fandakowa, erneut ein Verbot des Lukowmarsches. In den vergangenen Jahren wurden solche Verbote von den Gerichten stets wieder aufgehoben. Dieses Jahr äußerte sich erstmals die stellvertretende ­Ministerpräsidentin Ekaterina Sachariewa zum Lukowmarsch. Sie sagte im bulgarischen Fernsehen: »Ich fordere die jungen Leute auf, nicht blind an Ideologien zu glauben, die gegen die Menschlichkeit gerichtet sind, denn das unterscheidet sich nicht sehr von dem, was in Hanau passiert ist.« Das Gericht bestätigte das polizeiliche Verbot der Demonstration – der Lukowmarsch bleibt in diesem Jahr auf eine Kundgebung vor dem ehemaligen Wohnhaus des Nazikollaborateurs beschränkt.

Bereits am Freitag hatte die deutsche Bundespolizei am Dortmunder Flug­hafen 22 Personen aus dem Umfeld der neonazistischen Partei »Die Rechte« kontrolliert, die auf dem Weg nach Sofia waren. Die Bundespolizei schrieb auf Twitter zur Begründung, die Ausreise von Personen könne verboten werden, wenn »deutsche Staatsangehörige im Ausland Straftaten begehen oder an Veranstaltungen mit extremistischem Personenpotential teilnehmen«. Gegen neun Personen wurde ein Ausreiseverbot erlassen. Eine Klage vor dem Verwaltungsgericht ermöglichte es am nächsten Tag weiteren Nazis, nach Sofia zu fliegen.

So kann auch die deutsche Delegation um die Dortmunder Neonazis Matthias Deyda und Alexander Deptolla an der Kundgebung teilnehmen. Am frühen Abend wird schnell klar, dass es deutlich weniger Teilnehmer werden als in den Vorjahren. Am Ende stehen etwa 250 Neonazis in der Gasse. Unter ihnen sind laut dem Presseservice Wien auch Neonazis des »Nordic Resistance Movement« aus Skandinavien, des »Rise above Movement« aus den USA und der »Legio Hungaria« aus Ungarn. Viele der anwesenden Personen kennen ­einander, haben sie sich doch sowohl in Budapest beim »Tag der Ehre« und beim Neonaziaufmarsch in Dresden am 15. Februar gesehen. In Sofia spricht Matthias Deyda, der »Auslandsbeauftragte« von »Die Rechte«, für die deutsche Delegation und beschwört den gemeinsamen europäischen Kampf ­darum, »Europa als Bollwerk und natürlichen Siedlungsraum der weißen Rasse zu erhalten und unseren Kontinent gegen seine Feinde zu beschützen«. Rätselhaft ist, warum die deutschen Behörden Deyda die Absicht, an dem Marsch teilzunehmen, nicht nachweisen konnten.

Der größte gemeinsame Feind auf der Kundgebung sind anscheinend die anwesenden Journalisten. Sie werden mit dem Satz »Willkommen in Ost­europa« von den Ordnern und der anwesenden Polizei der Kundgebung verwiesen. Nach nur 90 Minuten endet diese samt der mit ihr einhergehenden Inszenierung mit Fackeln, Pyrotechnik und Fahnenträgern. Für ein eher aktionsorientiertes Publikum war die Aussicht auf eine Kundgebung wohl zu uninteressant, die polizeilichen Ermittlungen haben wiederum das eher bürgerliche rechte Lager abgeschreckt.