In Zeiten von Corona hat es die Sharing Economy schwer

Das Ende der Revolution

Das Teilen wird in Zeiten der Coronakrise zu einer heiklen Angelegenheit. Das bekommt auch die sogenannte Sharing Economy zu spüren. Sie könnte künftig von einer Abschottungsökonomie abgelöst werden.

Die Idee ist so verlockend wie einfach: Wenn Güter, Waren oder Dienstleistungen geteilt werden, haben alle Seiten einen Vorteil davon. Durchschnittlich steht jedes Auto rund 90 Prozent der Zeit nutzlos auf dem Parkplatz. Warum es nicht mit jemandem teilen, der es in dieser Zeit gebrauchen kann? In den Ferien stehen Wohnungen wochenlang leer. Warum sie in dieser Zeit nicht an Besucher vermieten oder gegen eine Wohnung im Urlaubsort tauschen? Die Idee der Sharing Economy entwickelte sich Anfang des Jahrhunderts und wurde im vergangenen Jahrzehnt populär.
Einige ihrer prominentesten Verfechter glaubten sogar, dass die Sharing Economy das gesamte System des Kapitalismus umkrempeln könnte. Die »Null-Grenzkosten-Gesellschaft« sollte kleinteiliger, solidarischer und selbst­bestimmter funktionieren, beteuert der US-Ökonom Jeremy Rifkin in seinen zahlreichen Büchern.

Amazon stellt wegen der starken Nachfrage 100 000 neue Arbeits­kräfte ein, andere Anbieter von Lieferdiensten werden ebenfalls expandieren.

Der Hauptgedanke der Sharing Economy ist, dass sich alles um den Zugang zu und nicht mehr um den Besitz von Gütern und Dienstleistungen dreht. Das Prinzip »teilen statt besitzen« soll auch für ein neues Lebensgefühl stehen, das sich in Werten wie Freiheit, Selbstbestimmung, Unabhängigkeit und Nonkonformismus ausdrückt. Nicht zufällig fiel der Aufstieg dieses ökonomischen Konzepts mit der digi­talen Transformation und der zugehörigen »kalifornischen Ideologie« zusammen. Demnach erfolgen große gesellschaftliche Umbrüche nicht mehr durch Revolutionen, sondern durch evolutionären technologischen Wandel. Mit den neuen digitalen Möglichkeiten entstand ein Marktplatz, auf dem praktisch jeder zum Händler werden konnte. Diesen digitalen Marktplatz nutzt auch die Sharing Economy, nur dass es eben nicht um den Verkauf von Waren und Dienstleistungen geht, sondern um die zeitweise Verfügbarmachung. Teilen war das neue Kaufen – das versprach auch, nachhaltiger und solidarischer zu sein. Sharing is caring.

Was anfänglich wie eine soziale Basisbewegung funktionierte, rollte innerhalb weniger Jahre ganze Branchen auf und generierte einen Multimilliardenmarkt. Unternehmen wie Airbnb oder Uber professionalisierten den Share-Gedanken mit Hilfe digitaler Plattformen, die über Ländergrenzen hinweg für permanente Verfügbarkeit sorgten. Nachhaltig verändert wurden damit allerdings weniger die kapitalistischen Verhältnisse als die Arbeits- und Sozialbeziehungen.

Anfänglich begeistert gefeiert, kam an der Sharing Economy im Laufe der Zeit immer mehr Kritik auf. Besonders die Kommerzialisierung sozialer Be­ziehungen stieß auf wachsende Ablehnung. Die Wohnung ist nicht mehr nur ein Zuhause, sondern eine Ressource, die zu Geld gemacht werden kann. Erfolgreich ist auf diesem Markt, wer soziale Eigenschaften besonders gut verkaufen kann. »In einer Gesellschaft wechselseitiger Bewertung wird auch die Freundlichkeit kommerzialisiert. Man wird freundlich, um bessere Bewertungen zu erhalten. Auch mitten in der kollaborativen Ökonomie herrscht die harte Logik des Kapitalismus«, schrieb schon vor Jahren der Kulturphilosoph Byung-Chul Han. »Der Kapitalismus vollendet sich in dem Moment, in dem er den Kommunismus als Ware verkauft. Der Kommunismus als Ware, das ist das Ende der Revolution.«

Was aber, wenn der Kommunismus als Ware gar nicht mehr gefragt ist? Eine wesentliche Eigenschaft der Shar­ing Economy ist die Monetarisierung sozialer Beziehungen. Mit der Coronakrise haben sich die Voraussetzungen dafür radikal verändert. In einer Zeit, in der es selbst untersagt ist, dass sich mehrere Personen gleichzeitig öffentlich unterhalten, erscheint das von der Sharing Economy versprochene solidarische Miteinander wie ein weher Seufzer aus vergangenen Zeiten. Soziale Distanzierung ist das Gebot der Stunde: Isolating is caring.

Das Wirtschaftsmagazin Forbes hat wohl zuerst das zur Krise passende Schlagwort benutzt: die »isolation economy«. Dahinter steht die plausible Annahme, dass die Krise das soziale Verhalten nachhaltig verändern wird. Die Menschen werden sich demnach auch künftig, wenn die Pandemie längst vorbei ist, zurückziehen und soziale Kontakte scheuen. Statt Einkäufen im Supermarkt werden Lieferdienste boomen, anstelle der Fitness-Center gibt es Zirkeltraining vor dem heimischen Bildschirm. Arbeit und Lernen werden in einem viel höheren Maß über digitale Kanäle von zu Hause aus erfolgen, ebenso die unerlässliche soziale Kontaktaufnahme. »Das Letzte, was Menschen jetzt wollen, ist das Recht zu teilen«, heißt es dazu in Forbes. »Du willst deine Verkehrsmittel nicht teilen, du willst deine Wohnung nicht mit Fremden teilen, du willst deine Hundeausführer nicht teilen und du willst deinen Konferenzraum nicht teilen.«

Schlechte Zeiten also für Unternehmen, die Carsharing anbieten, kürzlich in den Verleih von E-Scootern eingestiegen sind oder Coworking-Plätze vermitteln. Anstelle von Airbnb oder Uber profitieren Videoplattformen wie Zoom oder Streaming-Dienste wie Netflix von der Isolation Economy. Amazon stellt wegen der starken Nachfrage 100 000 neue Arbeitskräfte ein, andere Anbieter von Lieferdiensten werden ebenfalls expandieren. Während die Sharing Economy wenigstens noch den Anspruch hatte, gemeinschaftlich zu handeln, beruht die Isolation Economy auf sozialer Distanzierung. Die Nachfrage nach individualisierten Angeboten wird vermutlich die sozialen Unterschiede weiter verstärken. Distinktionsgewinn erzielt gerade, wer nicht auf gemeinschaftlich genutzte Güter oder Dienstleistungen angewiesen ist.

Fragt sich nur, was jene machen, denen dazu die Mittel fehlen. Millionen werden wegen der Krise sozial abstürzen, viele werden an der Isolation Economy nicht teilhaben können. Vielleicht wird aber eine fast vergessene Form der Teilhabe wiederbelebt, wie es teilweise bereits nach der großen Finanzkrise vor einer Dekade zu beobachten war. Bereits der Aufstieg der Sharing Economy war wesentlich mit dieser ökonomischen Krise verbunden. Denn dass sich vor allem junge Menschen für die Sharing-Angebote interessierten, lag weniger an einem vermeintlich hippen Lebensgefühl als an ihrer wirtschaftlichen Lage. Nach einer Analyse der US-amerikanischen Notenbank habe die Generation der Millennials, die in den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts oder später geboren wurden, ein signifikant niedrigeres Einkommen als die Generationen davor. Sie bevorzugten im Urlaub nicht deshalb eine Airbnb-Wohnung, weil sie sich für die Sharing-Konzepte begeisterten, sondern weil sie sich vergleichbare Hotelzimmer einfach nicht leisten können. Sie benutzten Uber, weil es billiger war als herkömmliche Taxis. Sie waren Opfer der Finanzkrise und ihr Verhalten wurde weniger von dem Wunsch nach einem kollaborativen Lifestyle bestimmt als von ihren knappen ­finanziellen Ressourcen.

In einigen Ländern entwickelten sich aufgrund der einschneidenden wirtschaftlichen und sozialen Konsequenzen der Finanzkrise zudem neue Formen der Zusammenarbeit, die wiederum an die Vorgänger der Sharing Economy erinnerten, an die Genossenschaften und Gütergemeinschaften aus dem vorvergangenen Jahrhundert. In Griechenland entstanden damals Tausch­ringe. Wer selbst etwas anbot, konnte umsonst einen Elektriker, Kleidung oder ärztliche Dienstleistungen bekommen. In Rumänien zogen infolge der Krise massenhaft Menschen von den Städten auf das Land, um dort Subsistenzwirtschaft zu betreiben. Auch dort entstanden Tauschringe und Gütergemeinschaften, um sich landwirtschaftliche Geräte zu teilen.

Ähnlich könnte sich die Gesellschaft nach dem Boom der Sharing Economy gestalten. Bessergestellte werden vornehmlich zu Hause arbeiten, konsumieren und soziale Kontakte pflegen. Den Verlierern der Krise wird wohl nichts anderes übrigbleiben, als auf traditionelle Formen der Zusammenarbeit zurückzugreifen. Wer zu den Gewinnern und wer zu den Verlierern zählt, wird man vielleicht daran ermessen können, wer dauerhaft auf direkte soziale Kontakte zurückgreifen muss, um zu überleben.