Anhänger des französischen Rassemblement National neigen zu Verschwörungstheorien über Covid-19

Das Virus des Verschwörungsdenkens

Anhänger des Rassemblement National neigen in der Coronakrise eher zu Verschwörungstheorien als diejenigen anderer französischer Parteien. Die rechtsextreme Partei betreibt eine Kampagne gegen die Bevölkerung der Banlieues.

Das nennt man ein klares Ergebnis: Ende März befragte ein Meinungsforschungsunternehmen im Auftrag der sozialdemokratischen Jean-Jaurès-Stiftung und des sich mit Verschwörungstheorien beschäftigenden Think Tanks Conspiracy Watch 1 008 Französinnen und Franzosen über ihre Ansichten über die Ursachen der Covid-19-Pandemie. Dabei wurden Unterschiede deutlich, die mit den parteipolitischen Präfe­renzen der Befragten korrelieren.

Insgesamt gaben 17 Prozent der Befragten an, das neuartige Coronavirus Sars-CoV-2 sei »im Labor entstanden« und »absichtlich« dort geschaffen worden. Weitere neun Prozent gingen davon aus, das Virus sei »durch einen Unfall« in einem Biowaffen- oder sonstigen Forschungslaboratorium entstanden. Dass Sars-CoV-2 künstlich in einem Labor erschaffen worden sein könnte, gilt unter Wissenschaftlern als widerlegt (Jungle World 14/2020). Insgesamt ein Viertel der Befragten sind also in dieser Frage Verschwörungsgläubige, etwas weniger als etwa in der US-amerikanischen Bevölkerung. Dort hielten in einer Umfrage des Pew Research Center zwischen dem 10. und dem 16. März 23 Prozent der Befragten das Virus für absichtlich im Labor erzeugt, sechs Prozent stimmten der These von einem Laborunfall zu.

40 Prozent der befragten Anhänger der rechtsextremen Partei glauben, das Virus sei absichtlich in einem Labor erzeugt worden.

Bei den nicht parteigebundenen französischen Befragten liegt der Anteil der Verschwörungsgläubigen knapp über dem Durchschnitt, die Anhänger der linkspopulistischen Wahlplattform La France insoumise (Das unbeugsame Frankreich, LFI) sind genau durchschnittlich verschwörungsgläubig. Hingegen glauben 40 Prozent der befragten Anhänger der rechtsextremen Partei Rassemblement National (Nationale Sammlung, RN; bis 2018 Front National), das Virus sei absichtlich in einem Labor erzeugt worden, und noch einmal 15 Prozent nehmen an, dies sei versehentlich geschehen. Nur zwei Prozent der befragten Anhänger der Partei des französischen Präsidenten Emmanuel Macron, La République en marche (LREM), entschieden sich für eine dieser beiden Antworten. Die Ergebnisse führten kurz nach der Veröffentlichung zu einer innenpolitischen Kontroverse. Am 30. März verteidigte Marine Le Pen, die Vorsitzende des RN, in einem Interview mit dem Sender France Info die in ihrer Wählerschaft verbreiteten Einstellungen: »Erlauben Sie mir, Ihnen zu sagen, wie wenig ich von dieser Art von Studie über das Verschwörungsdenken halte. Dass die Leute sich fragen, ob dieses Virus natürlicher Herkunft ist oder ob es nicht aus einem Labor entsprungen sein kann, das ist eine Frage des gesunden Menschenverstands.« Aurore Bergé, eine Abgeordnete von LREM, griff die RN-Vorsitzende daraufhin am folgenden Tag im Gespräch mit dem Rundfunksender Sud Radio an: Le Pen versuche, »das Virus des Verschwörungsdenkens« in Frankreich zu verbreiten. Die rechtsextreme Politi­kerin fühlte sich dadurch wohl herausgefordert. In einer Nachricht, die sie über einen E-Mail-Verteiler an ihre Sympathisanten Anhängerschaft verschickte, teilte sie mit: »Die Regierung ist der größte Lieferant von fake news seit Beginn dieser ­Krise!«

In ihrer E-Mail verbreitete Le Pen allerdings nicht nur verschwörungstheoretische Pseudoerklärungen für die globalen Vorgänge, sondern brachte zum Teil begründete Vorwürfe gegen die Regierung vor. Es geht in der Nachricht um deren Planlosigkeit in den ersten Wochen der Coronakrise, um die vor allem in der Anfangsphase verbreiteten Fehlinformationen – Gesichtsmasken böten keinerlei Schutz, hatte die französische Regierung zunächst behauptet, was auch kaschiert hatte, dass nicht ausreichend Gesichtsmasken vorhanden waren –, denen die Regierung später selbst widersprach, und um die Unfähigkeit der Behörden, ausreichend Test-Kits zum Nachweis einer Infektion bereitzustellen.

Die Parteiführung des RN richtet ihre Agitation derzeit ferner gegen Angehörige der sozialen Unterklassen in den Banlieues, den Trabantenstädten mit ihren Hochhaussiedlungen. Ihnen warfen der RN sowie der Partei nahestehende Medien wie das Wochenmagazin Valeurs actuelles und der Fernsehjournalist Éric Zemmour wiederholt vor, sie hielten sich nicht an Ausgangssperren und andere Beschränkungen.

In einigen besonders berüchtigten Banlieues waren tatsächlich Verstöße gegen die Auflagen und eine überforderte oder nicht zum Einschreiten gewillte Polizei zu beobachten. Es sei ­allerdings auch leichter, sich an Ausgangssperren zu halten, wenn man in einem Landhaus oder in einem geräumigen Innenstadtappartement und nicht in einer überbelegten Hochhauswohnung lebt, musste der französische Innenminister Christophe Castaner (LREM) auf einer Pressekonferenz einräumen.

In der zweiten Märzhälfte wurden zehn Prozent aller landesweit erteilten Geldbußen im nördlichen Pariser Banlieue-Bezirk Seine-Saint-Denis verhängt, dem ärmsten französischen Département, wo 2,5 Prozent der Bevölkerung Frankreichs wohnen. Ein Artikel der Tageszeitung 20 Minutes vom 3. April benennt indes einige Ursachen, warum dort auch die Sterblichkeit bei Covid-19-Erkrankungen 67 Prozent über dem regionalen Durchschnitt liegt: In dem Bezirk lebten besonders viele prekär Beschäftigte, darunter auch viele in Gesundheits- oder Verkaufsberufen tätige Menschen, die unverändert weiterarbeiten müssten, während sich andere – insbesondere qualifizierte – Berufsgruppen in Kurzarbeit befänden oder im Homeoffice arbeiten könnten. Solche Informationen halten die extreme Rechte freilich nicht davon ab, ihre Hasskampagne gegen diese angeblich von lauter undisziplinierten Sozial­schmarotzern bevölkerten Bezirke weiter zu betreiben.

Ihre Agitation verschafft der extremen Rechten derzeit allerdings keine zusätzlichen Sympathien. In Umfragen fiel Marine Le Pens Zustimmungswert von 26 Prozent Anfang März auf 23 Prozent Anfang April. Den Demoskopen zufolge hat sie vor allem bei älteren Jahrgängen und in Ostfrankreich an Popularität verloren, etwa im besonders von der Pandemie heimgesuchten Elsass. Dort werden Le Pens Angriffe auf die Regierenden nicht sonderlich goutiert, die Bevölkerung betrachtet die Bekämpfung der Krankheit als die Aufgabe der Stunde und lehnt parteipolitisch motivierte Profilierungsversuche ab. Doch die Wirtschaftstageszeitung Les Echos, die die Umfrage am 2. April vorstellte, warnte vor möglichen künftigen Entwicklungen: Die extreme Rechte beziehe bereits für die Krise nach der Krise Stellung, bereite sich also auf die heraufziehende Wirtschafts- und Sozialkrise vor.