Wildtiere in der Nähe von Menschen

Distanz zu Tieren

Cocolumne Von

Natürlich verkauft sich so etwas gut: Die Menschheit ist in Quarantäne – die Natur lebt auf. Pfauen laufen durch die leeren Straßen Madrids, ein Puma streunt durch Santiago de Chile, Kojoten besichtigen San Francisco, Wildschweine ziehen durch Haifa. Mal davon abgesehen, dass nicht wenige dieser Meldungen irreführend sind, weil sich derlei auch sonst, völlig unabhängig von der Covid-19-Pandemie, regelmäßig ereignet, ist die Haupterzählung dieser Geschichte falsch oder zumindest nicht ganz richtig. Zwar liegt es auf der Hand, dass sich jetzt einige Tiere in Stadtecken trauen, in denen ihnen sonst zu viel menschlicher Trubel herrscht, aber grundsätzlich kommen sehr viele Wildtiere gerne dahin, wo Menschen sind. Nehmen wir an, Sie bekämen ein riesiges Stück Land geschenkt und hätten vor, es so zu gestalten, dass sich dort möglichst viele Tierarten ansiedeln. Sie wollen also einen Hotspot der Biodiversität schaffen. Was würden Sie tun? Natur Natur sein lassen, Wildnis schaffen, alle menschlichen Störeinflüsse beseitigen? Oder eine Großstadt wie Berlin bauen? Die Beantwortung dieser Frage ist gar nicht so leicht, denn Sie müssen bedenken: In Berlin leben rund 20 000 bis 30 000 Tierarten, im Nationalpark Bayerischer Wald nicht mal 11 000.

Dieses Phänomen ist nicht neu. In Mitteleuropa leben heutzutage hauptsächlich Arten, die nach der Eiszeit (wieder) dort eingewandert sind, also als der Mensch schon da war beziehungsweise ebenfalls gerade wiederkam. Wie eng viele Tierarten an den Menschen angepasst sind, zeigt schon ihr Name: Feldhamster, Feldlerche, Hausmaus, Gartenrotschwanz. Der Mensch und seine Aktivitäten sind für viele Tiere Voraussetzung ihrer Existenz – und existentielles Problem gleichermaßen. Denn wegen der engen Verbindung zum Menschen ist es beispielsweise für den Feldhamster entscheidend, was der Mensch da auf seinen Feldern treibt. Sein Bestand ist durch die intensive Landwirtschaft bedroht, gleichzeitig gäbe es ihn ohne unsere Kornfelder hierzulande gar nicht.

Es ist also zu einfach gedacht, dass der Mensch nun auf größtmögliche Distanz zu den Wildtieren gehen solle, wie es wegen dieser Corona-Sache oft gefordert wird. Zumal es ja vor allem die Tiere sind, die unsere Nähe suchen, solange wir sie nicht jagen. Beim Hund ist es ähnlich, obwohl er seit mehr als 18 000 Jahren kein Wildtier mehr ist. Ich habe mich lange gefragt, warum Coco den Hausmeister immer so stürmisch begrüßt, bis ich bemerkte, dass er immer ein Leckerli für sie dabei hat. Der Wolf wusste bereits früh: Als Wildtier werden sie mich jagen, als Haustier aber verwöhnen. Und die Geschichte gab ihm recht. Wölfe waren bis vor kurzem in Deutschland ausgerottet, mittlerweile leben hier wieder etwa 1 300. Hunde gibt es rund elf Millionen. Coco ist natürlich trotzdem einzigartig.