Small Talk mit Nadja Rakowitz vom Verein demokratischer Ärztinnen und Ärzte über Verschwörungsglauben unter Medizinern

»Übersteigerte Angst vor der Schulmedizin«

Der Verein demokratischer Ärztinnen und Ärzte (VDÄÄ – vdaeae.de) hat sich in einer Erklärung für »Rationalität in Zeiten der Unsicherheit« und ­gegen die Verschwörungsideologien, die zum Coronavirus kursieren, ausgesprochen. Die Jungle World hat darüber mit der Geschäftsführerin des VDÄÄ, Nadja Rakowitz, gesprochen.
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Was hat Sie bewogen, sich so explizit gegen Verschwörungsideologen auch in den eigenen, ärztlichen Reihen auszusprechen?

Uns ist aufgefallen, dass Ärzte bei den Mobilisierungen, bei den Aufrufen zu den Protesten sowie bei der Verbreitung von vermeintlich kritischen Fragen und angeblich vernachlässigten Fakten eine große Rolle spielen. Mit Wolfgang Wodarg haben wir lange gut zusammengearbeitet, er hat auch für unsere Zeitschrift geschrieben, das hatte immer Hand und Fuß. Deswegen hat uns ziemlich irritiert, was er in Bezug auf Covid-19 für unseriöses Zeug erzählt. Als wir gesehen haben, dass das Berliner Praxiskollektiv in der Reichenberger Straße auch so einer Verharmlosungsstrategie betreibt, hat ihnen ein Berliner aus unserem Vorstand einen Brief geschrieben und an ihre Verantwortung als linke Praxis appelliert. Darauf gab es leider keine Antwort. Da die Stimmen von Ärzten in der Debatte ein besonderes Gewicht haben, haben wir uns gedacht, wir müssen jetzt auch mal was sagen. Von den Mitgliedern gab sehr viel Zuspruch für die Erklärung, als hätten die Leute darauf gewartet, dass jemand mal was Rationales dazu sagt.

Sie benennen in Ihrer Erklärung mehrere Punkte, an denen berechtigte Kritik ins Irrationale umschlägt. Können Sie das anhand der Rolle der Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung näher erläutern?

Von den Aluhüten abgesehen, greifen die Kritiker fast alle Punkte auf, in denen ein Körnchen Wahrheit steckt, drehen das dann aber ins völlig Irrationale. Weil es dieses Körnchen gibt, hilft es aber auch nichts, einfach zu sagen, das sind alles Spinner und Rechte. Selbstverständlich muss man die Rolle der Gates Foundation in der Weltgesundheitsorganisation (WHO) kritisieren, genauso wie das Problem, dass die WHO von der Staatengemeinschaft zu wenig Geld bekommt und darum unter anderem von solchen Stiftungen abhängig wird. Solche Kritik kippt aber ins Irrationale und in Verschwörungsideologie, wenn behauptet wird, Gates habe das Virus erfunden, um der Weltbevölkerung eine Impfung aufzudrücken und die Weltherrschaft an sich zu reißen.

Denken Sie, dass die linke Kritik an sogenannter Schulmedizin und Pharmaindustrie sowie alternative Ansätze zu einer ganzheitlicheren Medizin den Boden bereitet haben für die verschwörungsideologischen Parolen, die die Coronaproteste bestimmen?

Schon seit Mitte der achtziger Jahren, seit die Gesundheitstage der kritischen Gesundheitsbewegung vom Linken und Kritischen ins ­Alternativmedizinisch-Esoterische gekippt sind, gibt es da eine offene Flanke. Die Bemühungen für eine zugewandte Gesundheitsfürsorge sind zur Suche nach sanften Alternativen geworden, die dann aber teilweise mit wissenschaftlicher Evidenz nichts mehr zu tun haben. Das sind Anknüpfungspunkte für eine übersteigerte Angst vor der Schulmedizin im Allgemeinen und dem Impfen ganz besonders. Und das ist nicht nur in der medizinkritischen Szene so, sondern auch in der Bevölkerung. Gerade in unsicheren Situationen scheint sich die Flucht in Glaubensgebäude wie Verschwörungsmythen anzubieten. Wir als kritische Ärzte und Ärztinnen diskutieren in dieser Gesundheitskrise lieber die realen Probleme, die es ja leider zuhauf gibt.