Rumänische Saisonarbeiterinnen und -arbeiter haben sich in Bornheim mit einem wilden Streik einen Teil ihrer Löhne erstritten

Wild streiken statt Spargel ernten

Im rheinländischen Bornheim erkämpften sich 100 rumänische Saisonarbeiter mit Unterstützung der Gewerkschaft FAU einen Teil ihres Lohns.
Reportage Von

Hastig spurtet ein Mann mit weißem Hemd, Mund-Nasen-Schutz und einem Aktenkoffer aus einem kleinen Büro in ein Auto. Das Büro befindet sich auf dem Spargel- und Erdbeerhof Ritter im nordrhein-westfälischen Bornheim bei Bonn. Das Auto gehört einem Sicherheitsdienstler, der Willems begleitet. Der Mann mit dem Koffer heißt Andreas Willems und er soll Berater des Insolvenzverwalters Andreas Schulte-Beckhausen sein. Seit Januar 2020 steht der Betrieb Ritter unter der Verwaltung von dessen Anwaltskanzlei.

Willems hat es eilig, weil etwa 100 rumänische Saisonarbeiterinnen und -arbeiter wütend um das Auto herumstehen. Er hat Minuten zuvor nur einen Bruchteil ihrer tatsächlich geleisteten Arbeit entlohnt. »Bani, Bani, Bani«, rufen die Arbeiter, das rumänische Wort für »Geld«. Um das Auto herum stehen zehn Beamte der Bonner Polizei, ohne deren Präsenz es Willems kaum möglich wäre, von dem Hof zu fahren. Die Situation ist symptomatisch für die Dynamik des wilden Streiks, der am Freitag vorvergangener Woche seinen Anfang an der Containerunterkunft der Saisonarbeiter nahm.

Schimmeliges Brot, abgelaufenes Essen, Müllberge vor der Unterkunft, keine Lohnauszahlung nach bis zu sechs Wochen Arbeit – solchen Verhältnissen sahen sich die rumänischen Arbeiterinnen und Arbeiter ausgesetzt. »Die Zustände waren mehr als skandalös«, sagt Erik Hagedorn, der Pressesprecher der anarchosyndikalistischen Freien Arbeiterinnen- und Arbeiterunion (FAU) Bonn. Ein Video eines Arbeiters, das die FAU Bonn bei Youtube hochgeladen hat, soll das innere der Unterkünfte zeigen. Bis zum Schluss blieb der Gewerkschaft dort der Zugang verwehrt. Die Toiletten und Duschen waren nicht geputzt. In den Zimmern stand Bett an Bett, manche Räume waren verwüstet. Die Zustände der Sanitäranlagen bemängelte auch das Kreisgesundheitsamt Bornheim. Arbeiter berichten, die einzigen Masken hätten sie aus Mitleid von den Busfahrern erhalten, die sie zu den Feldern gefahren hätten.

»Dass wir fordern müssen, dass der deutsche Mindestlohn eingehalten wird – da könnte ich rotieren.«

Erik Hagedorn, Sprecher der FAU Bonn

Nach acht Tagen Streik, einem Besuch der rumänischen Arbeitsministerin Violeta Alexandru am 21. Mai und auf erheblichen politischen Druck hin erhielten die Saisonarbeiter dennoch nur einen Bruchteil ihres Lohns. Auf einer Pressekonferenz vor der Containerunterkunft ziehen Hagedorn und die Rechtsanwälte Harald Klinke und Stefan Hübner Bilanz. »Unser Ziel war, dass die Menschen nicht obdachlos werden und Mindestlohn gezahlt wird«, sagt Hagedorn. Obdachlos wurde niemand, auch wenn immer wieder Räumungen angekündigt wurden, ohne dass den Arbeitern je ihre Mietverträge gekündigt worden wären. Ob der Insolvenzverwalter die Stunden, die die Saisonarbeiter geleistet haben, nach Mindestlohn bezahlen wird, muss aber voraussichtlich vor Gericht geklärt werden.

180 Fälle könnten vor Gericht verhandelt werden, sagt die FAU. Der Insolvenzverwalter Schulte-Beckhausen behauptet, er habe den rumänischen Arbeitern gekündigt. Zuvor habe er ihnen mehr als den Mindestlohn ausgezahlt: 14,10 Euro abzüglich der Kosten für Unterkunft und Verpflegung. 11,15 Euro seien pro Stunde geblieben. »Es liegt noch keine schriftliche Kündigung vor«, sagt hingegen Rechtsanwalt Hübner. Er und sein Kollege haben Dutzende Abrechnungen überprüft. »In vielen haben wir Fehler gefunden. Eine Person hat beispielsweise 20 Prozent von dem bekommen, was ihr zusteht«, berichtet Hübner. Die rumänischen Arbeiter hätten Arbeitsverträge für 30 Stunden in der Woche unterschrieben. Das ergäbe einen Wochenlohn von 280 Euro. Doch manche Personen, die elf Tage gearbeitet hätten, hätten lediglich fünf Euro erhalten, andere nach sechs Wochen Arbeit nur 400 Euro.

Wegen der Schließung der deutschen Grenzen während der Pandemie konnten zunächst keine Saisonarbeiter einreisen. Schulte-Beckhausen und Willems warben deshalb auf Youtube um deutsche Erntehelfer. »Jeder Erntehelfer ist uns herzlich willkommen, jeder Erntehelfer erhält zehn Euro die Stunde«, kündigte der Insolvenzverwalter in einem Video an, während im Hintergrund eine traurig-melancholische Melodie lief. Den Rechtsanwälten Klinke und Hübner liegt neben den Verträgen rumänischer Saisonarbeiter auch einer eines deutschen Erntehelfers vor. Den Rumänen werden den Schriftstücken zufolge lediglich 9,35 Euro gezahlt, den deutschen zehn Euro. »Es ist rassistisch, Menschen nach ihrer Herkunft unterschiedlich zu bezahlen«, sagt der FAU-Sprecher Hagedorn. Rechtsanwalt Klinke vermutet, dass ohne den enormen Druck vermutlich geringere oder keine Löhne an die rumänischen Saisonarbeiter ausgezahlt worden wären. »Erst als der Druck größer wurde, hat man sich ein bisschen bewegt«, sagt er.