Überall Mitglieder der Antifa

»Heute sind wir alle Antifa«

Die preisgekrönte Reportage Von

»Klar sind wir Antifa«, sagt Cygnus Dreml. »Das ist doch wohl eine Selbstverständlichkeit!« Der sportlich gebaute 29jährige deutet eine erhobene Faust an, nachdem er sich mehrfach versichert hat, dass niemand guckt: »Das fließt in unsere tägliche Arbeit ständig mit ein!« Eine Geste, die viel sagt über diesen Juni 2020, über dieses Land und über das Bedürfnis von Journalisten, Dreierreihen zu bilden. Nachdem US-Präsident Donald Trump ankündigte, die Antifa als terroristische Organisation einstufen zu lassen, haben sich viele Deutsche dazu bekannt: Saskia Esken ist Antifa, Ruprecht Polenz ist Antifa – und auch Cygnus Dreml, stellvertretender Pressesprecher der Polizei Hamburg und überzeugtes SPD-Mitglied.

Überlegen weist Dreml darauf hin, dass es keine Struktur, keine Leitung der Antifa gibt, dass die Vorstellung von der Antifa als abgrenzbarer Organisation ein rechtes Phantasiegespinst sei: »Völlig lächerlich! Es gibt keine Antifa-Mitgliedsausweise. Also wird Trump auch niemanden verhaften oder Repressalien ausüben können. Er macht sich mal wieder zum Gespött!« Wichtig ist dem passionierten Waffensammler und Sportschützen Dreml, eine klare Abgrenzung dazu zu finden, wo Antifaschismus aufhört: »Nämlich da, wo die Arbeit deutscher Polizisten behindert wird, wie neulich, bei den G20-Massakern.« Da wird der sympathische Medienmensch Dreml schnell ernst.

»Antifaschismus ist in den USA sicher relevant. Hier in Deutschland sind wir Gott sei Dank weiter, haben aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt. Da wir uns alle hoffentlich ­einig sind, dass Faschismus etwas Schlechtes ist. Heute sind wir alle ­automatisch Antifa. Hier kann Amerika mal zur Abwechslung von uns ­lernen!«

Ob es nicht möglich sei, dass das rechte Phantasiegebilde Antifa nicht doch zum Gegenstand von Repression wird? Und ob rassistische Polizeigewalt nicht auch hier ein Problem sei? »Das ist völlig ausgeschlossen und wird so eigentlich nur von linksautonomen Krawallmachern vertreten.« Dremls fröhliches Gesicht wird immer ernster. »Ehrlich gesagt finde ich es seltsam, dass Sie mein aufrichtiges antifaschistisches Engagement jetzt so in Zweifel ziehen. Ich frage allmählich, wo Ihre politischen Interessen in dieser Sache liegen. Wenn Sie wohl so freundlich wären, bei den Kollegen im Nebenzimmer kurz Ihre Fingerabdrücke abzugeben.« Wir versprechen, uns fortan regelmäßig auf der Wache zu melden – im Sinne des gemeinsamen antifaschistischen Konsenses.

 

Aus der Urteilsbegründung: Leo Fischers preisgekrönte ­Reportagen sind in hohem Maße fiktiv. Ähnlichkeiten mit realen Personen und Geschehnissen sind unbeabsichtigt.