Die Konfliktbearbeitungsstrategien linker Gruppen bei sexueller Gewalt sind ungenügend

Nutzlose Täterarbeit in linken Gruppen

Den von sexueller Gewalt Betroffenen nicht noch mehr zu schaden, muss oberste Priorität haben. Eine Auseinandersetzung mit der eigenen internalisierten Frauenfeindlichkeit wäre deshalb für linke Männer wesentlich.

diskoDie Debatten unter Linken und Feministinnen über einen richtigen Umgang mit sexualisierter und sexueller Gewalt sind durch die nichtkonsensualen Filmaufnahmen auf den Festivals »Monis Rache« und Fusion wieder akuter geworden. Bettina Wilpert diskutierte die Vor- und Nachteile der dafür in der Szene angewendeten Konzepte.

Anfang 2020 wurde bekannt, dass auf Toiletten des Festivals »Monis Rache« 2016 und 2018 heimlich gefilmt worden war. Kurz darauf gaben die Betreiber des Fusion-Festivals bekannt, dass auf diesem in den Duschen ebenfalls gefilmt worden war. Nicht wenige waren schockiert darüber, dass dies auch in linken Räumen geschieht, die sich als Freiräume und safe spaces ­begreifen. Diese Verwunderung zeigt, wie wenig die feministischen Mah­nungen bisher ausgerichtet haben, sexuelle Gewalt als großes gesellschaftliches Problem zu begreifen. Wenn ernst genommen würde, was Studien seit Jahren über die Häufigkeit und die Ursachen sexueller Gewalt zeigen, dann müsste eigentlich klar sein, dass auch »wir« ein Problem haben.

Bettina Wilpert spricht es in ihrem Beitrag (Jungle World 23/2020) an: ­Ansätze der community accountability und der Transformativen Gerechtigkeit (transformative justice) scheitern regelmäßig bei Fällen sexueller Gewalt. Sie kritisiert zu Recht, dass es wenig Forschung zu dem Thema gibt, es kommt aber auch darauf an, aus der vorhandenen Forschung die richtigen Schlüsse zu ziehen. Wie ernst nehmen wir die seit Jahrzehnten bekannte hohe Zahl der Übergriffe? Es ist schon lange gut belegt, dass sexuelle Gewalt mit Männlichkeit verknüpft ist, dies spielt aber kaum eine Rolle in den Debatten darum, wie mit Tätern und Betroffenen umgegangen wird. Auch die Forschung zu den psychischen Folgen sexueller Gewalt für die Betroffenen wird in den Unterstützungsgruppen und der linken Szene zu wenig beachtet. Die im konkreten Fall Beteiligten suchen verständlicherweise eher nach einer moralisch feh­lerfreien Lösung im Einzelfall, statt Widersprüchlichkeiten und eigene ­Unzulänglichkeiten verantwortungsvoll auszuhalten.

Wer will schon gern das misogyne Arschloch sein?

Die Probleme von community accountability und transformative justice können dazu führen, dass sich diese Ansätze sogar schädlich für von den Übergriffen Betroffene auswirken, ­insbesondere, wenn ungeschulte Personen ­diese Methoden anwenden. ­Geschlechtsspezifische Gewalt und vor allem sexuelle Gewalt schadet Betroffenen in einem Maße, dass sich die Frage stellt, ob diese eine Aufarbeitung, die indirekten Täterkontakt bedeutet, überhaupt leisten können. Da sexuelle ­Gewalt bei fast allen Betroffenen Schamgefühle und eine starke Neigung auslöst, sich selbst zu beschuldigen, sollten verharmlosende und die Betroffenen beschuldigende Erzählungen des Täters von ihnen ferngehalten werden.

Es klingt absurd, ist aber ein typischer Verarbeitungsmechanismus: Es kann Betroffenen psychisch helfen zu erfahren, was sie »falsch« gemacht haben, was also vermeintlich zu dem Übergriff geführt hat. Der Schutzmechanismus funk­tioniert so: Wenn angeblich mein Rock zu kurz war, dann kann ich beim nächsten Ausgehen einen längeren Rock ­anziehen und mir passiert so etwas nie wieder. In der Regel dauert es eine Weile und braucht professionelle Unterstützung, um diesen selbstschädigenden Mechanismus zu überwinden. Deshalb ist es ein sinnvoller Ansatz der Beratung und Behandlung von Betroffenen von sexueller Gewalt, diese rigoros vor Täterkontakt zu schützen. Das ist allerdings schwierig, wenn Betroffene als Expertinnen für ihre Situation erklären sollen (und auch wollen), was sie gerade brauchen und wie mit dem Täter verfahren werden soll. Ein klassisches Dilemma: Einerseits sollen Betroffene möglichst viel Kontrolle bei der Aufarbeitung dessen erhalten, was ­ihnen widerfahren ist, andererseits sollen sie geschützt und stabilisiert werden.

Abgesehen von diesen widersprüchlichen Anforderungen an die Betroffene ist ein weiteres zentrales Problem, dass Täter eine hohe Motivation haben, die in den erwähnten Konzepten vorgesehene »Täterarbeit« zu boykottieren. ­Täter – und ganz besonders linke, »profeministische« Täter – tendieren aus Selbstschutzgründen dazu, das eigene Handeln nicht oder nicht in vollem Umfang zuzugeben und zu bearbeiten. Wer will schon gern das misogyne Arschloch sein? Die eigene Verwicklung in sexuelle Gewalt und die eigene Lust an dieser halten Täter ihrem Bewusstsein fern, weil alles andere ihre psychische Integrität bedrohen würde. Freunde des Täters oder Genossen beißen sich hier, trotz oftmals guter Absichten, ­regelmäßig die Zähne aus. Der Umgang mit Henning F., dem Täter von »Monis Rache«, der auch in die Organisation des Festivals eingebunden war, ist dafür ein gutes Beispiel. Die Gruppe, die vorgeblich Täterarbeit mit ihm betrieb, konnte sich nicht genügend abgrenzen, um die in der Täterarbeit vorgesehen Forderungen an und Sanktionen gegen Henning F. durchzusetzen. Das hätte auch bedeutet einzusehen, dass Henning F., ein Freund und Genosse, ­»verloren« ist.

Sexuelle Gewalt ist fest im Geschlechterverhältnis verankert, vor allem in Männlichkeitsanforderungen, mit denen sich Jungen und Männer auseinandersetzen müssen. Sich zu anderen, insbesondere Frauen, dominant verhalten zu müssen und sich von Weiblichkeit abzugrenzen, bildet den Kern von Männlichkeit, konstatiert der Sozial­psychologe Rolf Pohl in seinem Buch »Feindbild Frau – Männliche ­Sexualität, Gewalt und die Abwehr des Weiblichen«. Wünsche, Bedürfnisse und Impulse von Männern leiten sich aus diesen verinnerlichten Normen ab. Und wenn eine diese Normen lautet: »Ich habe ein Recht auf Sex mit Frauen«, dann bedarf es einer großen Portion Ehrlichkeit vor sich selbst, das einzugestehen und aufzuarbeiten. Denn sympathisch und feministisch ist etwas anderes.

Männer, auch solche, die keine Täter sind, ­haben Misogynie, Frauenfeindlichkeit, ver­innerlicht, die sie sich selbst nicht eingestehen können, weil das ihren bewussten Werten entgegensteht. Auch hierfür ist Henning F. ein gutes Beispiel, wenn es stimmt, was bisher bekannt ist: nach außen für den Feminismus, aber leider frauenfeindlich. Menschen sind auf solche Weise widersprüchlich und es braucht eine linke Gegenstrategie, die dies miteinbezieht. Es reicht nicht, auf die anderen, die vermeintlich wirklich schlimmen Männer zu zeigen, es ist vielmehr nötig, in sich selbst nach ­misogynen Impulsen, Wünschen und Abgründen zu suchen, um für diese Verantwortung übernehmen zu können. Das ist neben Interventionen und ­feministischem Widerstand im konkreten Fall die zentrale Aufgabe, die strukturell organisiert werden muss: die Arbeit von Männern an internalisierter Misogynie. Die profeministische Männerbewegung, die insbesondere in den neunziger Jahren in Deutschland aktiv war, hat sicherlich (zum Beispiel mit dem Konzept der Männer-radikalen-Therapie) Grundlagen gelegt. Hier braucht es ein deutlich stärkeres Engagement profeministischer Männer, die antifeministische Wendungen und Ausflüchte in der Männerarbeit konkret parieren können. Das ist allerdings auch kein Allheilmittel, da aus Männergruppen schnell männerbündische Strukturen entstehen können, in denen man oberflächlich feministisch an sich arbeitet, während misogyne Grund­haltungen unangetastet bleiben.

Die Tendenz in Teilen der radikalen Linken, in sich Widersprüchliches ­auflösen zu wollen, also Handlungen in eindeutig gute und eindeutig schlechte zu unterteilen, ist kontraproduktiv. Sie baut Druck auf Involvierte auf, bloß nichts falsch zu machen, und trägt so dazu bei, dass die Aufarbeitung von sexuellen Gewalttaten scheitert. Die große Angst, eigentlich selbst ein Arschloch zu sein, führt dazu, dass sich auch Bekannte, Freunde und Kol­legen nicht ehrlich mit der Frage auseinandersetzen, wie sie mit dem Täter verstrickt sind und welche misogynen Einstellungen sie selbst hegen. Das zeigen die Geschehnisse um die ersten Mitwisser und Mitwisserinnen aus dem Umfeld von »Monis Rache« sehr deutlich: Sie wollten alles richtig machen, haben aber wegen ihrer Verwicklung mit dem Täter eben diesen geschützt.

Die Solidarität mit Betroffenen muss immer an oberster Stelle stehen, sonst drohen hilfreich gemeinte Interventionsversuche, zu Täterschutz und so schädlich für Betroffene zu werden. Eine profeministische Haltung muss die Grundlage jeder Intervention sein. Trotzdem sollten Linke eine Fehlertoleranz in dieser Solidarität entwickeln, jedoch diejenigen, die Fehler machen, nicht aus der Verantwortung entlassen. Es braucht eine Streitkultur, die eine klar antisexistische und solidarische Haltung mit Betroffenen verteidigt und zugleich Fehler und Widersprüchlichkeit aushalten kann. Es braucht eine Streitkultur, in der wir uns angewöhnen, an uns selbst zu zweifeln und in Betracht ziehen, dass auch wir misogyn und »Arschlöcher« sein könnten, ohne eine komplette Sinnkrise zu bekommen. Das gilt ganz insbesondere für Männer. Es ist ein schmaler Grat, auf dem es zu balancieren gilt, aber nur so sind langfristige Veränderungen zu erreichen.