Branko Marcetics Buch »The Case Against Joe Biden«

Der Mann von gestern

Der kanadische Journalist Branko Marcetic hat ein Buch über Joe Biden geschrieben. Dessen Karriere weist den Präsidentschaftskandidaten der Demokratischen Partei in den USA als einen Politiker aus, der nicht selten Positionen der Republikaner unterstützt hat.

Sollte Donald Trump im November die Präsidentschaftswahl in den USA gewinnen, werden sich viele US-Amerikaner fragen, ob nicht ein anderer demokratischer Herausforderer als Joe Biden eine zweite Amtszeit des republikanischen Präsidenten hätte verhindern können. Die Schwäche des Kandidaten der Demokratischen Partei ist offensichtlich: Joseph Robinette »Joe« Biden Jr., ehemals langjähriger Senator aus Delaware und dann Vizepräsident in der Regierung Barack Obamas, verkörpert das ­Washingtoner Establishment in Reinform und symbolisiert nicht gerade den demokratischen Aufbruch. Nach den jüngsten Ergebnissen der Vorwahlen gilt es aber als sicher, dass Biden bei der Wahl am 3. November für die Demokraten gegen den Repu­blikaner Trump antreten wird. Aufschluss über die Person gibt das bei Verso erschienene Buch »Yesterday’s Man: The Case Against Joe Biden« von Branko Marcetic. Der Autor des linken Magazins Jacobin unterzieht das nahezu 50jährige politische Wirken Bidens einer ausführlichen linken Kritik. Insbesondere Bidens Haltung zum schwarzen Amerika kommt dabei nicht gut weg.

Biden, der 1973 erstmals in den Senat gewählt wurde und den Bundesstaat Delaware dort bis 2009 vertrat, hat stets betont, kein Linker zu sein. Noch 2003 rühmte er sich seiner früheren Zusammenarbeit mit dem rassistischen Senator Strom Thurmond. Die politische Kooperation in den siebziger Jahren muss man aus heutiger Perspektive nicht unbedingt anklagen. Dass Biden wie eine historische Figur betrachtet wird, zeugt jedoch davon, wie anachronistisch der politische Dinosaurier wirkt.

Marcetic erinnert an Bidens unermüdlichen Kampf gegen das sogenannte »busing«: Nachdem der Oberste Gerichtshof die Rassentrennung in US-amerikanischen Schulen 1954 für verfassungswidrig erklärt hatte, begannen einige Bundesstaaten damit, Kinder aus entlegenen, ärmeren Stadtteilen per Bus in die Schulen der weißen Bezirke zu transportierten, um einen sozialen Ausgleich herzustellen. Man kann darüber streiten, ob Biden wirklich überzeugter Sozialkonservativer war, wie er seine ländlichen Wähler glauben machen wollte, oder ob er »keine wirkliche Ideologie« besaß, wie ein Vorstandsmitglied der Demokratischen Partei bemerkte. Unstrittig ist, dass Biden wiederholt für Gesetze stimmte, die es Bundesstaaten untersagten, »busing«-Programme zu finanzieren, und mit großem Energieaufwand auch andere Gesetzentwürfe unterstütze, um das Schulbusprogramm aufzuhalten.

Bidens Haltung als konservativ zu bezeichnen, wäre eher noch untertrieben. Als in den frühen siebziger Jahren unter Präsident Richard ­Nixon eine Hysterie über angeblich grassierende Drogen und Verbrechen das Land erfasste, attackierte Biden den republikanischen Präsidenten von rechts. Biden nahm eine strikte law and order-Haltung ein und beschwor bereits 1972 eine wachsende Gefahr von Kriminalität. 1981 stimmte er für den Haushaltsplan von Präsident Ronald Reagan und unterstützte ­dessen Steuersenkungspolitik. Noch bevor Präsident Bill Clintons »Crime Bill« von 1994 dazu beitrug, die Zahl der Gefängnis­insassen sprunghaft zu erhöhen, setzte sich Biden für schärfere Gesetze ein: 1986 trieb er die Verabschiedung des »Anti-Drug Abuse Act« voran – ein Gesetz, das eine Mindeststrafe von fünf Jahren für den Besitz von fünf Gramm der Armendroge Crack festsetzt, die bei teurem Kokain erst bei einem halben Kilo fällig wird.

Über ein Gesetzesvorhaben von Präsident George H. W. Bush mokierte sich Biden 1989: »Um es kurz zu fassen, der Plan des Präsidenten beinhaltet nicht genug Polizeibeamte, um die gewaltbereiten Verbrecher zu fangen, nicht genug Staatsanwälte, um sie anzuklagen, nicht genug Richter, um sie zu verurteilen, nicht genug Gefängniszellen, um sie für lange Zeit wegzusperren.« Clintons »Crime Bill« lobte er wiederum, weil dieses Gesetz Bidens Wünschen entgegenkam. Damals, 1994, resümierte Biden, der liberale (also eher linke) Flügel der Demokraten sei nun dafür, dass für 60 zusätzliche Vergehen die ­Todesstrafe und für weitere 70 längere Haftstrafen verhängt werden können, befürworte zudem die Einstellung von 100 000 Polizisten und den Bau von 125 000 Gefängniszellen. »Ich möchte gerne den konservativen Flügel der Demokratischen Partei sehen«, witzelte er in diesem Zusammenhang.

Etwas unangenehm dürfte Biden die Erinnerung an seine erste Bewerbung um die Präsidentschaftskandidatur im Jahr 1988 sein. Sein Versuch scheiterte nach mehreren peinlichen Patzern bereits in den Vorwahlen. So stellt sich heraus, dass der Senator Teile einer sentimental-persönlichen Rede von Neil Kinnock abgeschrieben hatte, dem damaligen Vorsitzenden der britischen Labour-Partei. Zudem erfand oder übertrieb Biden nicht nur akademische Erfolge, sondern auch Geschichten über ­seinen angeblichen Bürgerrechts­aktivismus, um die schwarze Wählerschaft zu umgarnen. Schließlich fand Bidens Kandidatur ein jähes Ende.

Da Biden lange dem Senatsausschuss für Äußere Angelegenheiten vorsaß, beschäftigt Marcetic sich auch mit außenpolitischen Fragen. Doch seine Beurteilung internationaler Konflikte ist extrem verkürzend. So macht er den Westen für die serbische Politik der »ethnischen Säuberung« verantwortlich und rügt Biden dafür, dass dieser mit Vehemenz für ein Eingreifen der USA und der Nato im ehemaligen Jugoslawien plädierte. Überdies unterschlägt Mar­cetic, dass Bernie Sanders, damals demokratischer Abgeordneter im ­Repräsentantenhaus, ebenfalls dafür plädierte, dass die USA gegen Serbien vorgehen sollten. Ansonsten wird Sanders im Buch regelmäßig als leuchtendes Gegenbeispiel zu Biden erwähnt, was zugleich daran erinnert, dass Marcetic das Manuskript in der umkämpften Phase der laufenden Vorwahlen verfasste, als Sanders noch Chancen auf die Kandi­datur eingeräumt wurden.

Im Wahlkampf mit Trump dürfte es Biden schwerfallen, den Präsidenten für dessen Misogynie zu schelten. Biden ist ebenso wie Trump mit Missbrauchsvorwürfen konfrontiert. Da wäre einmal Bidens ehemalige Mitarbeiterin Tara Reade, die ihn beschuldigt, sie gegen ihren Willen mit dem Finger penetriert zu ­haben. Noch problematischer als Reades Vorwürfe, deren Wahrheits­gehalt wohl nicht zu klären sein wird, könnten die vielen Videos sein, die Bidens aufdringliche Nähe zu Frauen und Mädchen in der Öffentlichkeit zeigen. Wie schon 2016 die damalige demokratische Präsidentschafts­kandidatin Hillary Clinton, deren Ehemann mehrere Frauen der Vergewaltigung oder sexueller Übergriffe bezichtigten, kann Biden Präsident Trump kaum glaubhaft wegen sexuellen Fehlverhaltens kritisieren.

Im Vergleich zu Clinton hat Biden allerdings den Vorteil, dass er nicht gleichermaßen Hassfigur der Republikaner und der weißen Unterschicht ist. Der gescheiterte Systemveränderer Sanders, der Biden pflichtschuldig seine Unterstützung zugesagt hat, wird wohl dennoch Mühe haben, ­seine enttäuschten Anhänger im November dazu zu bewegen, für den Mann von gestern zu stimmen.

Branko Marcetic: Yesterday’s Man: The Case Against Joe Biden. Verso, 288 Seiten