Die Reihe Black Light im Kino Arsenal in Berlin

Historische Collagen

Die Reihe »Black Light« basiert auf der von Greg de Cuir Jr. kuratierten Retrospektive des internationalen schwarzen Kinos beim letztjährigen Filmfestival von Locarno. Das Kino Arsenal in Berlin zeigt eine auf die US-amerikanische Filmproduktion fokussierte Auswahl.

»Meine Geschichte beginnt, bevor ich geboren wurde.« Die helle Stimme aus dem Off gehört einem ungeborenen Kind, das alle Berichte seiner Vorfahren bewahrt hat wie in einer Art generationenübergreifenden Gedächtnisses. Die Figuren in Julie Dashs epochalem Werk »Daughters of the Dust« (1991) sind Angehörige der Gullah-Kultur, Nachfahren ehemaliger Sklaven und Sklavinnen westafrikanischer Herkunft. Anfang des 20. Jahrhunderts leben sie weitgehend isoliert auf einer Insel vor der Küste von South Carolina. Als der Umzug auf das US-amerikanische Festland geplant wird, geht ein Riss durch die Gemeinschaft. Während die Matriarchin Nana Peazant für die Bewahrung der Traditionen ihrer Vorfahren plädiert, lehnen die christianisierten Frauen ihre Rituale als Paganismus ab. Hinter dem Glaubenskonflikt aber steht etwas viel Größeres: Was nimmt man mit in die neue Welt, welche Teile des kulturellen Erbes, aber auch welchen Schmerz? Was gibt man weiter an die nächste Generation?

In Anlehnung an den Griot–Stil der Kultur mündlicher Überlieferung in Westafrika schafft der Film eine narrative Struktur, die den Erzählweisen in der Diaspora entspricht. Die Handlung ist nichtlinear und verläuft eher kreis- und wellenförmig, Rhythmus und Klang spielen eine wichtige Rolle. Horizontal und offen sind auch die Bilder des Kameramanns Arthur Jafa. Sie folgen keiner zentralen Perspektive, in fließenden Bewegungen fädeln sie Szene um Szene auf und verweben sie zu einem losen Geflecht. Dash setzte mit ihrem Film seinerzeit auch ein identitätspolitisches Zeichen. Als erster Film einer afroamerikanischen Filmemacherin, der in den USA in den landesweiten Kinovertrieb kam, entwickelt er eine genuin schwarze und weibliche Filmsprache. Die Frauenfiguren sind die treibende Kraft und drängen ins Bild, die Männer bleiben im Hintergrund.

Es gibt sicherlich kaum bessere Gründe, wieder ein Kino zu besuchen, als Euzhan Palcys Film »A Dry White Season« (1989) oder auch Charles Burnetts »Killer of Sheep« (1978). Gewiss hatten die Filme schon immer Bedeutung, doch die jüngsten Bilder der Proteste gegen Rassismus und Polizeigewalt aktualisieren diese erst recht.

Im Rahmen der im Kino Arsenal gezeigten Reihe »Black Light« ist »Daughters of the Dust« nun als Eröffnungsfilm zu sehen. Da die von Greg de Cuir Jr. kuratierte Programmreihe zum internationalen Black ­Cinema im März pandemiebedingt abgebrochen werden musste, soll sie im Juli und August mit 13 weiteren Filmen fortgesetzt werden. Es gibt sicherlich kaum bessere Gründe, wieder ein Kino zu besuchen, als Euzhan Palcys Film »A Dry White Season« (1989) oder auch Charles Burnetts »Killer of Sheep« (1978). Gewiss hatten die Filme schon immer Bedeutung, doch die jüngsten Bilder der Proteste gegen Rassismus und Polizeigewalt und die damit verbundenen Debatten über historische Kontinuitäten aktualisieren diese erst recht. »Unsere Vergangenheit besitzt uns«, heißt es in »Daughters of the Dust«. Ganz anders von den jüngsten Ereignissen aufgeladen ist dagegen »White Dog« (1982). Am Beispiel eines weißen Schäferhundes, der darauf abgerichtet wurde, schwarze Menschen anzugreifen und zu töten, widmet sich Samuel Fuller der Frage, ob sich Rassismus abtrainieren lässt.

De Cuir, der das Programm in einer umfassenderen Form voriges Jahr auf dem Filmfestival in Locarno vorstellte – dort ging es um das inter­nationale schwarze Kino, die in Berlin gezeigte Reihe konzentriert sich auf ausgewählte Filme des US-amerikanischen Kinos –, ist es um einen beweglichen, über die Grenzen identitärer Ontologien hinausgehenden Begriff von Blackness zu tun. »Film-Blackness lässt die Weisen verstehen, in denen Kino als eine visuelle Verhandlung, als eine Spannung zwischen Film als Kunst und race als einer konstitutiven kulturellen Fiktion operiert«, schreibt der Filmtheoretiker Michael B. Gillespie, auf den sich der Kurator wiederholt bezieht. In dem Manifest »Reclaiming Black Film and Media Studies«, das er zusammen mit Raquel J. Gates verfasst hat, monierte Gillespie unter anderem, dass die Kritik in ihrer Wertschätzung von zeitgenössischen Filmen wie »Get Out« und »Moonlight« diesen Arbeiten eine Ausnahmestellung zuschreibe und sie von der schwarzen Filmgeschichte abtrenne. »Black Light« ist der Versuch, die durch Vereinnahmung, Missachtung, Vergessen und unzureichende Verbreitung abgebrochenen Verbindungen wieder aufzunehmen. De Cuir nennt sein Projekt eine »historische Collage«. Auch Werke weißer Filmschaffender wie Samuel Fuller und Robert Wise (»Odds Against Tomorrow«) werden einbezogen.

Anfangspunkt des Programms ist ein Film, der als »Geburtsstunde« des Black Cinema gilt: das Melodram »Within Our Gates« (1920). Die Arbeiten von Oscar Micheaux sind bis heute wenig bekannt, dabei war der afroamerikanische Filmpionier ­äußerst produktiv: zwischen 1919 und 1948 realisierte er in Eigenproduktion mehr als 40 Spielfilme. »Within Our Gates« galt lange Zeit als verschollen, erst in den neunziger Jahren wurde der Film wiederentdeckt und restauriert. Erzählt wird die Geschichte ­einer jungen Lehrerin, die an einer schwarzen Schule im Süden unterrichtet, die kurz vor der Schließung steht. Ihre Suche nach potentiellen Geldgebern entwickelt sich zu einer Reise in ihre eigene traumatische Vergangenheit. Micheaux, der mit seinem Film direkt auf David W. Griffiths rassistisches Historienepos »The Birth of a Nation« (1915) antwortete, verhandelt Themen wie Rassismus, Segregation, Lynchjustiz und die Migration in den Norden, doch es wäre verkürzt, den Film allein auf seine Themen zu reduzieren. Mit seiner von Rückblenden und Einschüben aufgebrochenen Dramaturgie richtet sich Micheaux auch gegen die herrschenden Erzählkonventionen seiner Zeit.

Zu den schönsten Werken der Reihe zählt sicherlich die luftig erzählte Beziehungsgeschichte »Losing Ground« (1982) – es ist der einzige Langfilm, den die früh verstorbene Schriftstellerin, Filmprofessorin und Bürgerrechtsaktivistin Kathleen Collins realisieren konnte. Seine Rezeptions­geschichte ist schwierig oder eher: kaum vorhanden. Anfang der acht­ziger Jahre waren schwarzen Filmemacherinnen die Türen der Film­industrie verschlossen. Hinzu kam, dass der Film mit der Figur einer Akademikerin aus dem bürgerlichen Milieu an den Erwartungen eines weißen (aber auch schwarzen) Publikums vorbeiging, das Rassismus­dramen oder auch heroische Selbstermächtigungsgeschichten sehen wollte. »Losing Ground« ist die Geschichte der New Yorker Philosophieprofessorin Sara Rogers (Seret Scott), die von ihrem Ehemann Victor (Bill Gunn, der Regisseur des wunder­bar erratischen Vampirfilms »Ganja & Hess«, der ebenfalls gezeigt wird) vor allem als Zuschauerin seines künstlerischen Erfolgs wahrgenommen wird. Als das Paar den Sommer in einem Haus auf dem Land verbringt, wo sich der aufstrebende Künstler der figurativen Malerei und einem puerto-ricanischen Modell aus der Nachbarschaft zuwendet, wird nicht nur die Beziehung brüchig. Die Arbeit an einem Essay über ekstatische Wahrheit und ihre Rolle als ­eifersüchtige Geliebte im Abschlussfilm eines Studenten verändern Sara Rogers. Selbstfindung wäre ein allzu abgedroschener Begriff für den fein nuancierten Prozess, den sie durchläuft.

»Losing Ground« ist hinreißend gerade in seiner lyrischen Lakonie. Die Asymmetrie innerhalb der Beziehung wird mit Präzision und Witz ins Bild gesetzt, Collins’ feministische Sensibilität ist souverän und hat es nicht nötig, sich auszustellen. Davon abgesehen ist der Film einfach phantastisch fotografiert. Man sollte die seltene Gelegenheit wahrnehmen, ihn auf einer Kinoleinwand sehen zu können.

Black Light. Kino Arsenal Berlin.
Bis 26. August