Bei den französischen Kom­munalwahlen konnte der Rassemblement National nur wenige Erfolge erzielen

Regieren, ohne aufzufallen

Insgesamt fielen die französischen Kommunalwahlen nicht sonderlich gut für den Rassemblement National aus. Doch in etlichen Städten wurden Bürgermeister der rechtsextremen Partei wiedergewählt, auch neue kamen hinzu.

War es eine Niederlage oder nicht? Die Geister scheiden sich an dieser Frage, was das Abschneiden des rechtsextremen Rassemblement National (RN, ­Nationale Sammlungsbewegung, vormals Front National, FN) bei den diesjährigen französischen Kommunalwahlen betrifft. Deren zweite Runde war wegen der Covid-19-Pandemie um mehr als ein Vierteljahr verschoben worden und fand schließlich am 28. Juni statt.

In Perpignan spielt der Rassemblement National unterschiedliche Gruppen gegeneinander aus

Die neofaschistische Partei stellte bei den vorherigen Kommunalwahlen im März 2014 insgesamt 369 Listen in Städten mit über 10 000 Einwohnerinnen und Einwohnern auf; in diesem Jahr waren es 262. Die Partei wollte eine Wiederholung dessen verhindern, was ihr während der abgelaufenen Amtsperiode in vielen Stadträten widerfahren war: Sie hatte im Lauf der sechs Jahre insgesamt 40 Prozent ihrer Mandatsträger verloren, da sie vielerorts vollkommen inkompetente Bewerber aufgestellt hatte, um ihre Listen zu füllen. In diesem Jahr konzentrierte der RN sich von vornherein eher auf Städte und Kommunen, in denen er über eine gewisse lokale Stärke verfügt. So gewann der RN diesmal insgesamt 827 Mandate in Kommunalparlamenten, vor sechs Jahren waren es noch 1 431.

Auf der anderen Seite verweist die Partei auf einige mehr oder minder spektakuläre Einzelerfolge. Vor allem im ersten Wahlgang fuhren einige der Amtsträger in den insgesamt 15 Städten, die seit sechs Jahren rechtsextrem ­regiert wurden, Wiederwahlen mit satten Mehrheiten ein, so etwa in Hénin-Beaumont, Hayange und Béziers (Erst Wahl, dann Ausgangssperre - Jungle World 12/2020).

Nach den Stichwahlen der zweiten Runde kommen die Großstadt Perpignan in Südfrankreich mit 120 000 Einwohnern, das 12 500 Einwohner zählende Städtchen Moissac – zwischen Toulouse und Bordeaux – sowie das nordostfranzösische Bruay-la-Buissière mit 22 000 Einwohnern hinzu. Auch einige Kleinstädte im südostfranzösischen Département Vaucluse mit einer Einwohnerzahl zwischen 5 000 und 8 000 haben künftig rechtsextreme Bürgermeister: Bédarrides, Mazan und Morières-lès-Avignon.

Der 50jährige Louis Aliot, der neue Bürgermeister von Perpignan, ist ein langjähriger Funktionär der extremen Rechten. Auch junge Parteimitglieder gelangten in Ämter: Der 26jährige Ludovic Pajot, der seit 2017 auch als Abgeordneter für das Département Pas-de-Calais in der Nationalversammlung sitzt, ist neuer Bürgermeister von Bruay-la-Buissière, Romain Lopez mit 31 Jahren Bürgermeister von Moissac.

Lopez kommunizierte noch vor wenigen Jahren per Twitter mit dem anti­semitischen und rechtsextremen Publizisten Alain Soral und ließ sich etwa über den Rechtsanwalt, Historiker und Nazijäger Serge Klarsfeld mit den Worten aus: »Die Apostel des Opferkomplexes wissen nicht mehr, was sie noch erfinden sollen.« Mittlerweile bezeichnet er das als Jugendsünde.

Louis Aliot ist vor allem durch seine Herkunft aus einer Familie der pieds-noirs geprägt, also früherer europäischer Algeriensiedler, von denen viele in Mittelmeernähe und insbesondere in Perpignan wohnen. Jene pieds-noirs, die in eigenen Vereinen organisiert sind, die eine ähnliche Rolle spielen wie in der Bundesrepublik früher die sogenannten Vertriebenenverbände, bilden traditionell eine Wählergruppe, die zwischen Konservativen und Rechtsextremen schwankt. Aliot verweist auch auf eine jüdische Großmutter im kolonialen Algerien. Allerdings erfährt man auf der französischsprachigen Wikipedia-Seite zu seiner Person, dass er diese in der Öffentlichkeit nicht erwähnt, ohne hinzuzufügen, er sei aber »sehr gegen Lobbys«.

Das ähnelt Formulierungen des von Aliot verehrten FN-Parteigründers Jean-Marie Le Pen, der wiederholt in Reden Verbindungen zwischen Juden, »Lobbygruppen« und internationalem respektive »antinationalem Geist« herstellte. 1988 begleitete der damals 18jährige Aliot seine Mutter zu einer Veranstaltung von Jean-Marie Le Pen, 1990 trat er aus Bewunderung für diesen dem Front National bei. In den Reden des Parteigründers fand sich häufiger kaum verhüllter Antisemitismus; seit dieser den Vorsitz 2011 an seine Tochter Marine Le Pen abgab, sind in der Partei solche Äußerungen deutlich seltener geworden. Im Milieu der pieds-noirs spielt Antisemitismus heutzu­tage allenfalls eine sekundäre Rolle, im Mittelpunkt steht das Erbe des früheren Kolonialrassismus.

In Perpignan schafft der RN es, unterschiedliche Gruppen gegeneinander auszuspielen. Da sind zum einen die Maghrebiner. Daneben weist die Stadt einen relativ starken Bevölkerungsanteil von Gitans auf. Bei diesen handelt es sich um in Südfrankreich altansässige Sinti. Sie prägen mehrere Stadtteile Perpignans, es handelt sich um Unterschichtviertel mit typischen Problemen: Armut, Arbeitslosigkeit, Alkoholismus. Dazu zählt auch das Altstadtviertel Saint-Jacques. Dieser Stadtteil mit etwa 8 000 Einwohnerinnen und Einwohnern war bis 1493 das Judenghetto, bis zur Vertreibung der Juden aus Spanien, zu dem Perpignan damals gehörte. Danach wurde es zum sogenannten Zigeunerviertel. Sinti wohnen jedoch auch im Altbauviertel Saint-Mathieu sowie in Le Vernet.

In der Vergangenheit kam es mitunter zu Spannungen zwischen Gitans und der maghrebinischen Minderheit. Diese entluden sich 2005 nach einem Mordfall in Ausschreitungen, die Spuren in der öffentlichen Erinnerung hinterließen und die heutzutage der RN ausnutzt. Die Partei versuchte sich in diesem Jahr im Stimmenfang bei den Sinti, indem sie Geld oder Arbeit versprach. Das fand bei der Zielgruppe, die seit Jahrhunderten diskriminiert wird und mehrheitlich ausgesprochen arm ist, eher mäßigen Anklang, verschaffte dem RN jedoch einen Anschein wohlwollender Neutralität.

Hinzu kommt die allgemein schwierige soziale Lage in der Stadt. Ebenso wie der gesamte Bezirk, das Département Östliche Pyrenäen, ist dessen Hauptstadt Perpignan von wirtschaftlichem Niedergang geprägt. Hoch­technologie-Firmen und qualifizierte Arbeitsplätze konzentrieren sich vor ­allem in Nordfrankreich und in der ­Region Paris, während der Mittelmeerraum weitgehend verarmte. Auch hat der früher in großem Maßstab in der westlichen Region der französischen Mittelmeerküste angebaute Billigwein, den man etwa an die Wehrpflichtigen ausschenkte, in den vergangenen Jahrzehnten an Beliebtheit verloren. Heutzutage gibt es in der Region qualitativ höherwertigen Wein- und zudem Obstanbau, die jedoch nur relativ wenige Arbeitsplätze bieten.

Auch der RN dürfte wissen, dass die wirtschaftlichen Bedingungen keine großen Sprünge erlauben. Die Arbeitslosenquote in Perpignan bezifferte eine Website des Rathauses jüngst mit 14 Prozent, Le Monde in der vorigen Woche dagegen mit 25,4 Prozent – es kommt wohl darauf an, wie man zählt. Die extreme Rechte dürfte in der Stadt weder auf Prestigeprojekte noch auf einschneidende radikale Veränderungen bauen, sondern eher darauf, in den kommenden sechs Jahren zu beweisen, dass sie regieren kann, ohne dass es negativ auffällt.