Nach der Erschießung eines ­Afrokubaners durch die Polizei in Havanna wurden Demonstrationen verhindert

Tod in Havanna

Nach der Tötung eines 27jährigen Afrokubaners durch die Polizei in Havanna sollten auf Kuba Proteste gegen Rassismus und Polizeigewalt stattfinden. Das wurde jedoch unterbunden.

Am frühen Morgen des 24. Juni im Bezirk Guanabacoa in Havanna: Eine Polizeipatrouille ertappt einen jungen Mann dabei, wie er Teile einer Bushaltestelle im Ortsteil La Lima demontiert. Als er die Beamten bemerkt, flüchtet er und bewirft die Polizisten mit Steinen – so die Darstellung im Polizeibericht und in der drei Tage später veröffentlichten Pressmitteilung des Innenministeriums. Da war Hansel Ernesto Her­nández bereits tot, von mindestens einer Polizeikugel tödlich im Rücken getroffen.

Für Kuba ist das ein ungewöhnlicher Fall, denn die Polizei setzt Schusswaffen ausgesprochen selten ein. Deshalb sorgte ein Facebook-Post von Hernández’ Tante, die eine Untersuchung der Hintergründe der Tötung forderte, für immense Aufmerksamkeit in den sozialen Medien.

 »Zehn Stunden befand ich mich in Polizeigewahrsam, und so wie mir ging es rund 40 anderen.« Tania Bruguera, kubanische Künstlerin

So schrieb die kubanische Jazzmusikerin Daymé Arocena auf ihrer Facebook-Seite, dass »nichts zwei Schüsse in den Rücken rechtfertigen« könne. Diese Ansicht teilen viele auf der Insel. Am 30. Juni sollte deshalb in Havanna eine Demonstration gegen Polizeigewalt vor dem Kino Yara an der 23. Straße stattfinden, nahe dem bekannten Hotel »Habana Libre« und gleich gegenüber dem Eissalon »Copelia«. Doch kaum jemand schaffte es zu dem Kino – auch Tania Bruguera nicht.

Als die international bekannte Künstlerin am 30. Juni in den frühen Morgenstunden ihre Wohnung verließ, erwarteten sie Polizeibeamte und führten sie ab. »Zehn Stunden befand ich mich in Polizeigewahrsam, und so wie mir erging es rund 40 anderen. Sie wurden festgenommen. Weitere 40 Aktivistinnen und Aktivisten der kritischen kubanischen Zivilgesellschaft wurden am Verlassen ihrer Wohnung gehindert«, sagt die 51jährige. Zu Letzteren gehörte der Dokumentarfilmer Michel Matos. Er filmte von seinem Balkon den Polizeiwagen, der vor dem Apartmenthaus parkte.

Auch der ehemalige Redaktionsleiter des Online-Magazins El Estornudo, Abraham Jiménez Enoa, musste zu Hause bleiben und war obendrein vom Internet abgeschnitten. So erging es etlichen bekannten Aktivisten in Havanna und anderen Städten wie Santiago de Cuba. Auch dort sollte gegen Polizeigewalt demonstriert werden, auch dort gab es mehrere Festnahmen.
Seit mehreren Jahren versucht die Polizei, Demonstrationen und öffentliche Proteste mit Vorabfestnahmen und häuslichen Arresten zu unterbinden. Juristinnen und Juristen halten das für rechtlich fragwürdig. »In der kubanischen Verfassung ist das Recht zu demonstrieren festgeschrieben«, sagt Laritza Diversent von Cubalex, einer auf kubanisches Recht spezialisierten Nichtregierungsorganisation. »Für das Vorgehen der Polizei gibt es keine rechtliche Grundlage. Es ist weder definiert, ob ein Richter derartige Maßnahmen gestatten kann, noch, ob die Polizei das Recht hat, so vorzugehen – wir bewegen uns im juristischen Niemandsland.« Diversent hat mit ihrem Team vor vier Jahren die Insel verlassen und berät ihre kubanischen Mandantinnen und Mandanten mittlerweile von den USA aus.

Auch dort ist der Tod von Hernández registriert worden. Jiménez Enoa kommentierte diesen in der Washington Post. Der Tod des 27jährigen sei ein Beispiel für Polizeigewalt und Rassismus in Kuba. Obwohl 35 Prozent der Kubanerinnen und Kubaner afrokubanischer Herkunft seien, hätten nur elf Prozent ein Bankkonto; zudem seien nur 12,2 Prozent der Studentinnen und Studenten Afrokubaner. Der Anteil von Afrokubanern in den Gefängnissen des Landes sei höher als deren Bevölkerungsanteil.

Bruguera sieht das ebenso. »Fremdenfeindlichkeit und Rassismus sind Bestandteil dieser Gesellschaft und in Behörden und Ministerien weit verbreitet«, meint sie. Doch in den vergangenen Monaten habe sich das Vorgehen der Polizei verändert. Diese trete aggressiver auf, patrouilliere mehr und trage häufiger Schusswaffen als früher, als kubanische Polizisten oft unbewaffnet auf Streife gingen. »Die Coronakrise fördert die Defizite in Kuba offen zu Tage. Anders als früher machen die Leute keinen Hehl daraus, dass sie die Versorgungssituation nervt, das lange Anstehen, die Intransparenz – und das wird gepostet.

Das zeigt Wirkung«, sagt Bruguera. Aber auch Straftaten von Polizeibeamten gehören zu den Skandalen, die im Internet publik werden und manchmal auch zu spontanen Demonstrationen in der Nachbarschaft führen. Beispielsweise schlug ein knappes Dutzend Polizisten zwei Künstler zusammen, und zwei Polizisten vergewaltigten in Havanna zwei Minderjährige. Letzteres geschah Mitte April im Stadtteil Marianao; Proteste führten dazu, dass die Vergewaltiger zu acht beziehungsweise sechs Jahren Haft verurteilt wurden.

Bruguera meint, die Zivilgesellschaft in Kuba sei stärker geworden. Sie hat in Havanna das unabhängige »Institut für Kunstaktivismus Hannah Arendt« (Instar) aufgebaut. Das Institut versucht, die Zivilgesellschaft zu stärken, will mit einem Preis den investigativen Journalismus fördern und gibt unabhängigen Filmproduzenten die Gelegenheit, kritische Arbeiten vorzustellen sowie zu diskutieren. Es wird durch crowdfunding finanziert. Die politisch Verantwortlichen, die schon mehrmals politische Performance-Auftritte Brugueras unterbunden haben, betrachten das Instar als illegal. Mehrfach hat die Polizei Gäste des Zentrums davor gewarnt, an Veranstaltungen teilzunehmen. Für Bruguera ist das kein Grund, klein beizugeben. Sie engagiert sich online in Kampagnen wie der zur Aufklärung des Todes von Hernández.

Gegen die Polizisten, die an dem Einsatz gegen Hernández beteiligt waren, wurden nach Angaben der kubanischen Behörden Ermittlungen aufgenommen. Doch befremdlich ist, dass in den offiziellen Medien der ­Insel der Tod des 27jährigen keine Rolle spielt – der tödliche Schuss wird totgeschwiegen.