Die Proteste in Serbien

Gegen das autoritäre Regime

In Serbien kam es vergangene Woche zu Protesten. Diese richteten sich nicht nur gegen geplante Maßnahmen zur Bekämpfung der Covid-19-Pandemie, sondern auch gegen die immer autoritärer agierende Regierung.

Nachdem die serbische Regierung am Dienstag voriger Woche einen strikten lockdown für das darauffolgende Wochenende verkündet hatte, demonstrierten in der Hauptstadt Belgrad Tausende. Die Polizei setzte berittene Einheiten und Tränengas ein. In den sozialen Medien verbreiteten sich Bilder brutaler Polizeigewalt. So zeigt ein Video, wie drei junge Männer friedlich auf einer Parkbank sitzen. Plötzlich läuft eine Schar Polizisten ins Bild, die die Männer mit Schlagstöcken verprügelt. Demonstrierende warfen Steine und feuerten Leuchtraketen ab. Auf den regierungsnahen staatlichen Fernsehsendern sah man am ersten Abend nichts von den Protesten. Im größten staatlichen Sender lief der Film »Police Story 2« mit Jackie Chan.

Internationale Medien interpretierten die Proteste zunächst als gegen die Pandemiemaßnahmen der serbischen Regierung gerichtet. Die New York Times bezeichnete sie als die »ersten großen Virusunruhen in Europa«. Es handelt sich aber mindestens ebenso sehr um Proteste gegen die immer ­autoritärer werdende Politik des Präsidenten Aleksandar Vučić und seiner nationalkonservativen Fortschrittspartei (SNS).

Der serbische Präsident Aleksandar Vučić behauptete, »ausländische Dienste« seien an der Organisation der Proteste beteiligt gewesen.

Die Unzufriedenheit vieler Serbinnen und Serben hat mit der Politik der vergangenen Monate zu tun. Als Sars-CoV-2 Ende Februar begann, sich in Europa auszubreiten, meinte der Arzt Branimir Nestorović in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem Präsidenten, es handle sich um »das lächerlichste Virus der Menschheitsgeschichte«. Vučić bekräftigte diese Aussage, indem er erzählte, er gönne sich jeden Tag ein Gläschen Schnaps, weil Alkohol gegen das Virus helfe.

Als die Fallzahlen in Serbien Mitte März stiegen, äußerte sich der Präsident plötzlich ganz anders. »Viele Menschen werden sterben«, sagte er den Serbinnen und Serben und verordnete einen strengen lockdown. Es wurde verboten, am Wochenende auf die Straße zu gehen, Ausnahmen gab es zunächst fast keine. Später wurde zumindest erlaubt, kurz nach draußen zu ­gehen, um ihren Hund auszuführen – wer keinen Hund hatte, durfte auch nicht raus. Das führte dazu, dass oft derselbe Hund mit verschiedenen Mitgliedern eines Haushalts Gassi gehen musste.

Die für den 26. April angesetzten Parlamentswahlen wurden verschoben. Sie fanden am 21.Juni statt. Das Wahlbündnis »Aleksandar Vučić – für unsere Kinder« erhielt über 60 Prozent der abgegebenen Stimmen. Allerdings boykottierten die wichtigsten Oppositionsparteien die Wahlen und die Wahlbeteiligung lag offiziellen Angaben zufolge bei lediglich 50 Prozent. Aufgrund von Ungereimtheiten bei der Auszählung gehen Kritiker davon aus, dass sie in Wirklichkeit niedriger lag.

Die Regierungspartei SNS hat sich im Wahlkampf als die Kraft präsentiert, die mit ihren strikten Maßnahmen das Virus besiegt hat. Vor den Wahlen wurden alle Beschränkungen zurückgenommen. Es sollte um jeden Preis der Eindruck erweckt werden, die Regierung habe das Problem gelöst. Beim Derby zwischen den Fußballmannschaften Roter Stern und Partizan Belgrad war das Stadion voll. Im ganzen Land fanden Wahlkampfveranstaltungen der SNS statt, bei denen keinerlei Schutzmaßnahmen eingehalten wurden. Bei einer Veranstaltung im südserbischen Novi Pazar ließ es sich der mit der SNS verbündete Politiker Rasim Ljajić nicht nehmen, in die Menge zu springen. Zu dieser Zeit stiegen die Fallzahlen in der Stadt bereits wieder steil an.

Am Mittwoch voriger Woche sagte Vučić den neuerlichen strikten lockdown doch noch ab. Er behauptete, »ausländische Dienste« seien an der Organisation der Proteste beteiligt ­gewesen. Bei den Demonstrierenden handele es sich um »Faschisten«. ­Diese Strategie hatte bereits Vučićs Vorbild, der russische Präsident ­Wladimir Putin, genutzt, als er die Demonstrierenden auf dem Maidan und in der gesamten Ukraine als Faschisten bezeichnete.

In Serbien ist es seit Beginn der Proteste gegen den Präsidenten Slobodan Milošević Anfang der neunziger Jahre üblich, dass verschiedene politische Strömungen gemeinsam gegen die jeweilige Regierung protestieren – auch diesmal sind Rechtsextreme und Hooligans ­dabei. Sie stellen aber nicht die Mehrheit der Demonstrierenden, die gegen das immer autoritärer werdende Vučić-Regime auf die Straße gehen. Ob die Proteste anhalten oder schnell verpuffen, ob rechte oder fortschrittliche Kräfte von ihnen profitieren werden, lässt sich derzeit noch nicht sagen.