Die Türkei eskaliert den Konflikt um Gasvorkommen im östlichen Mittelmeer

Krach im östlichen Mittelmeer

Im Konflikt mit Griechenland um Erdgasvorkommen testet der türkische Präsident Erdoğan die Reaktionen der EU

Verschiedene Vereine wollten am Freitag voriger Woche das Atatürk-Mausoleum in Ankara besuchen, um des Jahrestags des Abschlusses des Friedensvertrags von Lausanne 1923 zu gedenken, der als Gründungsurkunde der modernen Türkei gilt. Doch bedauerlicherweise musste das Gebäude eine halbe Stunde vorher wegen einer dringend notwendigen Desinfektion geschlossen werden. Mal war es das Infektionsrisiko, mal ein Verstoß gegen ein nicht näher bezeichnetes Gesetz – im ganzen Land mussten die Behörden leider das Gedenken an Lausanne unterbinden.

Weitaus großzügiger sah man es mit den Infektionsrisiken, als am selben Tag Tausende von Gläubigen mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan zusammenkamen, um die Hagia Sophia in eine Moschee umzuwandeln. Der Leiter der staatlichen Religionsbehörde, Ali Erbaş, hatte zur Predigt in der ehemaligen Kirche ein Schwert mitgebracht und beklagte die Unterdrückung der Muslime. Dann schimpfte er, ohne den Namen zu nennen, auf Mustafa Kemal Atatürk: »Der Eroberer, Sultan Mehmet, hat diesen Ort gestiftet, damit er bis zum Jüngsten Tag eine Moschee bleibt. Die, die diese Stiftung mit Füßen getreten haben, seien verflucht!« Das galt dem Gründer der türkischen Republik, der die Moschee in ein Museum umwandeln ließ.

An der Kanzel waren zwei osmanische Fahnen aufgehängt. Auf grünem Grund zeigten sie drei weiße Halbmonde als Symbol der Macht der Osmanen in Europa, Asien und Afrika. Die Symbolik des Vorgehens in Sachen Hagia Sophia passt zu den Vorgaben von Erdoğans Politik. Schon die Begründung, mit der das Verwaltungsgericht die Rückverwandlung des Museums in eine Moschee forderte, war ein sicherlich abgesprochener politischer Affront. Das Gericht hielt die Entscheidung des Sultans für unabänderlich, weil er ein Eroberer gewesen sei. Eine »von alters her« bestehende Entscheidung hätte man ohnehin nicht ändern dürfen. »Damit kann man auch die Republik selbst abschaffen«, meint der Journalist Merdan Yanardağ.

Seit Jahren kritisiert Erdoğan den Vertrag von Lausanne. In diesem wurde die Grenze der Türkei festlegt und die Abschaffung der religiösen Gerichtsbarkeit versprochen. Dass die Umwandlung der Hagia Sophia auf den Jahrestag des Vertragsabschlusses fiel, dürfte kein Zufall gewesen sein.

Auch Erdoğans Eingreifen in Libyen wurde in der Türkei damit gerechtfertigt, dass bereits die Osmanen dort waren. Dabei bewirken zwei militärische Faktoren Erdoğans relative Erfolge. Er hat etwa 15 000 syrische Söldner rekrutiert. Sie sind kampferfahren, ideologisch gefestigt, relativ preiswert, und wenn ein syrischer Söldner in Libyen stirbt, ist das in der Türkei nicht von Interesse. Der zweite Faktor sind die türkischen Drohnen. Sie sind billiger als eine herkömmliche Luftwaffe und logistisch weniger anspruchsvoll.

Der Leiter der staatlichen Religionsbehörde, Ali Erbaş, hatte zur Predigt in der Hagia Sophia ein Schwert mitgebracht.

Mit der von ihr militärisch abhängigen Regierung in Tripolis hat die Türkei ein Abkommen geschlossen, wonach die maritimen Wirtschaftszonen beider Länder auf halbem Wege zusammentreffen. Das richtet sich vor allem gegen Griechenland und Zypern. Es geht um beträchtliche Erdgasvorkommen im östlichen Mittelmeer; nach türkischer Auffassung begründen die dort liegenden griechischen Inseln kein Recht auf die Bodenschätze unter dem Meeresboden.

Getestet wurde die Reaktionen der EU bei der kleinen griechischen Insel Kastelorizo, unmittelbar vor der türkischen Westküste und weitab von anderen griechischen Inseln. Kriegsschiffe beider Seiten fuhren auf, türkische Jets donnerten über die Insel. Am Samstag konnte Angela Merkel noch vermitteln. Das türkische Forschungsschiff »Oruç Reis« blieb in Antalya im Hafen. Doch gelöst ist der Konflikt nicht.

Eine Sichtweise auf den Konflikt ist, dass sich die Türkei durch die Zusammenarbeit von Griechenland, Zypern, Israel und Ägypten bei der Ausbeutung der Erdgasvorkommen ausgeschlossen sieht und deshalb Druck macht. Doch das verkennt den offensiven Charakter von Erdoğans Politik mit Truppeneinsätzen in Syrien und im Irak, der Libyen-Intervention, dem rasanten Aufbau einer eigenen Rüstungsindustrie und dem langfristigen Ausbau der Marine. Dazu kommt das Bestreben, in Syrien eroberte Gebiete dauerhaft an die Türkei zu binden, etwa durch Umsiedlungen und die Einführung der türkischen Währung in Idlib.

Erdoğan laviert zwischen Russland und den USA, die ihn immer wieder gebrauchen, um die Position des anderen zu erschüttern, wobei für den türkischen Präsidenten immer etwas hängen bleibt. Es sieht auch so aus, als würden sich einige schwächere Autokraten nun hinter ihm sammeln. In den vergangenen Tagen haben Aserbaidschan, Tadschikistan und die Türkei dafür gesorgt, dass die Amtszeiten des Beauftragten für Medienfreiheit und der Beauftragten für Wahlbeobachtung bei der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) nicht verlängert wurden. Ob man sich auf neues Personal einigen kann, ist ungewiss. Während sich die Türkei und Russland über Syrien streiten, ist es plötzlich zu Grenzkämpfen zwischen Aserbaidschan und dem mit Russland verbündeten Armenien gekommen. Dass beide Vorgänge von der Türkei initiiert wurden, lässt sich nicht beweisen, würde aber ins Bild passen.

Erdoğans neoosmanische Träume sind mehr als nur eine Show zur Ablenkung von der Wirtschaftskrise. Es geht um die Ausweitung von Einfluss und langfristig auch der Grenzen. Es ist die türkische Variante von »Make America great again« oder »Die Krim ist unser«. So nostalgisch und teilweise realitätsfremd die Projekte auch sein mögen, sie haben doch auch reale Auswirkungen. Überall wird der Nationalismus aggressiver und ebenso zerfällt die pluralistische Demokratie. In diesem Sinne ist der Neoosmanismus auf der Höhe der Zeit.