Trump versucht, die Sportlerproteste gegen rassistische Polizeigewalt zu nutzen

Proteste statt Playoff

Antirassistische Proteste der US-amerikanischen Sportligen könnten Auswirkungen auf die Präsidentschaftswahl im November haben.

Überraschend, aber auch nicht unerwartet, so in etwa lässt sich die Entscheidung der Spieler der Milwaukee Bucks zusammenfassen, getroffen drei Tage, nachdem Polizisten auf den unbewaffneten Schwarzen Jacob Blake geschossen hatten. Schon am Tag zuvor hatten sich viele Stars der National Basketball Association (NBA) nach den Spielen über diesen erneuten Fall von Gewalt gegen Schwarze empört. Bei den in Toronto ansässigen, aber in der NBA spielenden Raptors wurde zu diesem Zeitpunkt darüber diskutiert, das nächste angesetzte Playoff-Spiel ausfallen zu lassen. Fred VanVleet, ein Spieler der Raptors, sagte: »Wäre das schön, wenn wir in einer perfekten Welt alle sagen würden, wir spielen nicht.«

Allgemein wurde erwartet, dass die Bucks einen Ausstand anführen würden, denn das Team stammt aus dem Bundesstaat, in dem auch die Schüsse auf Blake abgegeben wurden. Wohl auch deshalb reagierte die NBA nach der Ankündigung der Bucks-Spieler schnell und sagte alle Spiele am 26. August ab. Die Frauenbasketballliga WNBA verschob die an diesem Tag anstehenden Spiele, ebenso die Major League Baseball (MLB) und die Fußball-Liga MLS.

Die Clubbesitzer der National Football League hatten sich 2017 noch dazu entschlossen, gegen die Proteste vorzugehen. Doch die Stimmung ist heute eine andere.

Joe Biden, der Präsidentschaftskan­didat der Demokraten, begrüßte diese Entscheidungen auf Twitter: »Dieser Moment erfordert moralische Führung. Und diese Spieler antworteten, indem sie aufstehen, ihre Stimme erheben und ihre Bühne für Gutes nutzten. Jetzt ist nicht die Zeit für Stille.« Als die NBA am 1. September den Betrieb wiederaufnahm, twitterte US-Präsident Donald Trump erwartungsgemäß unsachlich: »Die Leute sind es leid, sich die hochpolitische NBA anzusehen. Die Basketballeinschaltquoten sind stark gesunken und werden nicht zurückkommen.« Ein Tweet, wie er ihn fast wortgleich 2017 schon einmal abgesetzt hatte, als Spieler der National Football League (NFL) während der Nationalhymne mit einem Kniefall gegen Rassismus protestierten. Auch damals waren die Einschaltquoten nach Meinung des auf diese fixierten ehemaligen Reality-TV-Moderators Trump schon »way down« – die veröffentlichten Zahlen betreffen allerdings nur Fernseh- und nicht Online-Zuschauer.

2017 entschlossen sich die Eigentümer der NFL-Vereine, gegen die Proteste vorzugehen. Doch die Stimmung ist heute eine andere. Nach dem Tod George Floyds ließ der NFL-Geschäftsführer Roger Goodell verlauten, damals falsch gehandelt zu haben. Das war nicht das Einzige, das sich in der NFL in den vergangenen Monaten änderte. Das Team aus Washington, D.C., ist nur noch das Washington Football Team, den seit Jahrzehnten umstrittenen Namen Redskins hat es abgelegt. Für den ersten Spieltag der neuen Saison ist vorgesehen, dass in allen Stadien in den Endzonen des Spielfeldes »It Takes All of Us« und »End Racism« stehen wird. Diese Aktion der Liga reicht vielen Spielern aber nicht, sie wollen, dass sich auch die Vereinseigentümer gegen Rassismus äußern. Geschehe dies nicht, sei auch ein Spieltagsboykott denkbar – die Football-Liga nimmt ihren Spielbetrieb am 13. September wieder auf. »Die Herausforderung liegt jetzt bei den Eigentümern«, sagte Defensivspieler Rodney McLeod von den Philadelphia Eagles. »Wir möchten, dass sie sich zu vielen dieser Probleme für ihre Spieler äußern.«

Die Sportboykotte könnten sich durchaus auf die Präsidentschaftswahlen im November auswirken. Zur Verhärtung der gesellschaftlichen Fronten trug maßgeblich bei, dass viele US-Amerikanerinnen und -Amerikaner politisch neutrale Berichterstattung mittlerweile kaum noch verfolgen, sondern lieber Sender einschalten, die sie in ihrer Meinung bestätigen. Wenn plötzlich ein erwartetes Playoff-Spiel in der NBA nicht stattfindet, werden die dafür genannten Gründe allerdings sehr wohl wahrgenommen – ob dies dazu führt, dass Wählerinnen und Wähler Trumps sich über Rassismus und Polizeigewalt informieren, sei dahingestellt.

Die ersten Reaktionen der Regierung Trump auf die Spielabsagen waren eher herablassend. Trumps Schwiegersohn Jared Kushner kommentierte im Fernsehsender CNBC: »Ich denke, die NBA-Spieler haben das große Glück, dass sie die finanzielle Situation haben, in der sie eine Nacht freinehmen können, ohne finanzielle Konsequenzen für sich selbst fürchten zu müssen.« Marc Short, der Stabschef von Vizepräsident Mike Pence, nannte die Proteste »albern« und gab sich im Fernsehsender CNN gleichgültig: »Wenn sie protestieren wollen, glaube ich nicht, dass es uns kümmert.«

Ihre demonstrative Geringschätzung des Boykotts bedeutet nicht, dass die Regierung Trump für sich keine Möglichkeiten sieht, im Wahlkampf davon zu profitieren. Man stellt die Proteste bewusst als irrelevant und zudem von einigen superreichen Sportclubbesitzern gesteuert dar. Diese hätten politisch »neutral« zu bleiben. Die Argumentation geht in dieselbe Richtung, in die man zuvor schon die »Black Lives Matter«-Bewegung umzudeuten versuchte. Nicht der Rassismus ist in Trumps Lesart das Problem, es sind die Krawalle, die von der »terroristischen Organisation Antifa« und den Demokraten gesteuert seien. Die Proteste bedrohen demnach die Sicherheit ordentlicher Vorstadtbürger und ruinieren jetzt auch noch das abendliche Freizeitvergnügen, die Playoff-Spiele im Fernsehen anzusehen. Diese Strategie könnte Trump helfen, einige swing states zu gewinnen – 2016 waren es 107 000 Stimmen in Michigan, Wisconsin und Pennsylvania, die ihm den Wahlsieg bescherten.