Wie Regierung und Internetplattformen gegen Desinformation im Wahlkampf vorgehen

Hauptsache, die Fakten stimmen

Desinformation und Verschwörungstheorien prägten auch diesen Wahlkampf. Politik und Internetfirmen wollen das Problem bekämpfen.

Man kann den Begriff fake news kaum noch ohne ironischen Beiklang verwenden, zu sehr ist er mit dem ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump verknüpft. Doch er bezeichnet ein ernstzunehmendes Phänomen: Weil immer mehr Menschen Informationen aus dem Internet beziehen und dort selbst publizieren können, spielten in den vergangenen Jahren Falschinformationen, Propaganda und gezielte Desinformationskampagnen eine immer größere Rolle, besonders bei Wahlen. Nach Trump, »Brexit« und dem mit Propaganda und Hetze einhergehenden Aufstieg der rechten Parteien in Europa sahen viele durch Desinformation die demokratischen Prozesse grundlegend gefährdet.

Einer Studie zufolge werde »90,5 Prozent der Reichweite von Desinformationsnarrativen erst durch die Aufklärungsarbeit vertrauenswürdiger Medien erzielt«.

Auch die Bundestagswahl wurde von solchen Sorgen überschattet. Einer im Juli veröffentlichten Forsa-Studie zufolge befürchteten 82 Prozent der Befragten, dass politische Desinformationskampagnen Wahlergebnisse beeinflussen können. Seit Beginn der Covid-19-Pandemie, in der viele Menschen mehr noch als zuvor über das Internet mit der Außenwelt verbunden waren und sind, haben die sogenannten Querdenker gerade erst wieder gezeigt, wie sich Wahnvorstellungen und Falschinformationen im Internet verbreiten können.

Hinzu kommt die Sorge vor Versuchen ausländischer Staaten, Einfluss zu nehmen. Im März veröffentlichten die US-Geheimdienste ihre Einschätzung, dass auch im vergangenen US-Wahlkampf von der russischen Regierung »Einflussoperationen« ausgegangen seien, die sich gegen US-Präsident Joe Biden gerichtet und darauf gezielt hätten , »das öffentliche Vertrauen in den Wahlvorgang zu zerrütten und soziopolitische Spannungen in den USA zu verschärfen«. Auch das deutsche Innenministerium gründete bereits 2018 eine Arbeitsgruppe unter Beteiligung des Bundesnachrichtendienstes, die sich mit möglichen Cyberangriffen und Desinformationskampagnen beschäftigt. Für die anstehende Bundestagswahl wurde eine eigene »Unterarbeitsgruppe« gebildet, wie die Tagesschau im Juli berichtete.

Während autoritäre Staaten wie China oder Russland das Internet immer stärker abschotten, suchen auch westliche Demokratien nach Wegen, eine gewisse Kontrolle auszuüben. Längst geht es dabei nicht nur darum, rechtswidrige Äußerungen, Gewaltaufrufe oder sogenannte hate speech möglichst zu unterbinden. Desinformationskampagnen werden als nationales Sicherheitsrisiko definiert. Der Nationale Sicherheitsrat der USA, der sich gewöhnlich mit Militärfragen beschäftigt, hat mittlerweile auch die Aufgabe, den Kampf ­gegen »bösartige ausländische Einflussoperationen und -kampagnen zu koordinieren«.

Vor allem aber geht es um staatliche Regulierung. Die EU hat 2018 damit begonnen, die großen Internetfirmen wie Facebook, Google, Twitter, Microsoft und Bytedance mit seinem Dienst Tiktok sowie Vertreter der Internetwerbeindustrie zu einem »Code of Practice« zu bewegen, der dazu verpflichtet, politische Werbung zu kennzeichnen und Verbreitern von Desinformation die Möglichkeit zu nehmen, auf ihren Plattformen Geld zu verdienen. Das Ergebnis war eine sukzessive Verschärfung der Zensur vor allem verschwörungstheoretischer und rechtsextremer Inhalte in den vergangenen Jahren. Folgen zeigten sich besonders während der Coronapandemie: Jedem dürften die in sozialen Medien eingeblendeten Hinweise zu Informationen über das Virus von offiziellen Stellen aufgefallen sein. Zusätzlich, so die EU-Kommission, hätten die Plattformen Bericht darüber erstattet, wie sie »Inhalte mit falschen oder irreführenden Informationen« zensierten.

Derzeit arbeitet die EU an einer Anpassung und Verschärfung des »Code of Practice«, der auch in das geplante EU-Gesetz über digitale Dienste einfließen soll. Die Betreiber der sozialen ­Medien stellt das vor ein Problem: Sie wollen staatliche Regulierung ihres Geschäftsmodells möglichst vermeiden. Deshalb betonen sie, wie sie bereits jetzt gegen Desinformation vorgehen. Facebook schaltete zum Beispiel in der vergangenen Woche allein in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zwei ganzseitige Anzeigen, in denen der Konzern schilderte, wie er die deutsche Bundestagswahl vor »Unwahrheiten«, »Wahlbeeinflussung« und »Desinformationskampagnen« auf seinen Plattformen schützt. In den USA, wo die Auseinandersetzung über die Funktion und Kontrolle der Plattformen viel öffentlicher stattfindet, mussten im März dieses Jahres die CEOs von Facebook, Twitter und Google zwei von Demokraten geführten Senatskomitees öffentlich Rede und Antwort stehen, wie sie das Problem von Falsch- und Desinformation in den Griff zu kriegen gedenken.

Am 14. Juli warnte Innenminister Horst Seehofer (CSU) vor möglichen Bedrohungen der Bundestagswahl. Er betonte auch: »Die Vorbereitung der Wahl und die Durchführung der Wahl sind sicher.« Erneut wies jedoch der Bundesverfassungsschutz auf Hacking-Versuche hin, bei denen ein »nachrichtendienstlicher Hintergrund« vermutet werde. Wie zuvor ARD und BR berichteten, seien im Frühjahr Phishing-Mails an zahlreiche Politiker und Staatsbeamte gesendet worden. Als Drahtzieher vermuteten die deutschen Sicherheitsbehörden den russische Auslandsgeheimdienst. Wie der Tagesspiegel im Juni unter Berufung auf interne Papiere des Innenministeriums berichtete, befürchtete die deutsche Regierung eine russische »Propagandakampagne«, insbesondere  gegen die Spitzenkandidatin der Grünen, Annalena Baerbock. Tatsächlich wurde sie immer wieder Ziel von Angriffen des russischen Staatssenders für Deutschland, RT DE.

Überhaupt seien am häufigsten die Grünen in diesem Wahlkampf zur Zielscheibe von »Desinformationsnarrativen« geworden, wie eine Untersuchung der Medienanalysefirmen News Guard und Pressrelations in Zusammenarbeit mit dem Fraunhofer-Institut für Kommunikation und Informationsverarbeitung zeigte. Die Studie untersuchte die Verbreitung von Inhalten der wichtigsten als nicht vertrauenswürdig eingestuften Online-Medien. RT DE sei demnach das wichtigste Medium, gefolgt von zahlreichen Seiten aus dem rechten, rechtsextremen oder verschwörungstheoretischen Milieu. Die Studie kam jedoch noch zu einer anderen Schlussfolgerung: »90,5 Prozent der Reichweite von Desinformationsnarrativen wird erst durch die Aufklärungsarbeit vertrauenswürdiger Medi­en erzielt.« Tatsächlich handelt es sich bei der Desinformation meist um Behauptungen, die die Ressentiments und Wahnvorstellungen rechtsextremer und verschwörungsgläubiger Menschen ansprechen und dementsprechend vor allem in diesem Milieu verbreitet werden, das bekanntlich kaum von »Faktenchecks« durch Mainstream-Medien zu beeindrucken ist. Das Ergebnis der Studie wirft die Frage auf, inwieweit der Begriff »Desinformation« den wahnhaften Denkweisen der Menschen, die derartige Inhalte glauben und verbreiten, überhaupt gerecht werden kann – denn von Information sind sie nicht mehr zu erreichen.