Freitag, 15.06.2018 / 14:33 Uhr

Die Stimme des Anstandes

Von
Ewgeniy Kasakow

„Wir sollten eigene Kinder gebären“ – Eine Duma-Abgeordnete warnt vor "Rassenmischung" während der Fußballweltmeisterschaft.

 

Das erstes Spiel der WM war noch nicht angepfiffen, schon gab es den ersten kleinen WM-Skandal. Tamara Wasiljewna Pletnjewa, Mitglied der Duma-Fraktion der Kommunistischen Partei der Russländischen Föderation (KPRF) und Vorsitzende des Parlamentsausschusses für Famlien-, Frauen- und Kinderangelegenheit rief Frauen Russlands keine „intimen Verhältnisse“ mit den ausländischen WM-Besuchern einzugehen. In einem am 13. Juni an den Radiosender Goworit Moskwa gegebenen Interview sagte die Abgeordnete, die sexuelle Kontakte zu den Ausländern führt dazu, dass Kinder in „unvollständigen“ Familien aufwachsen wurden. So habe laut Pletnjewa die Moskauer Olympiade von 1980 zu rasanten Anstieg der Anzahl von alleinerziehenden Müttern in der Sowjetunion geführt, deren Kinder später gelitten hätten. „Noch gut, wenn es eine Rasse ist, und wenn es eine andere Rasse – dann ist es noch heftiger. Wir sollten unsere eigene Kinder gebären. Ich bin keine Nationalistin, aber dennoch.“

Pletnjewa schlug dagegen vor, die russische Staatsbürgerinnen sollten „russische Staatsbürger aus Liebe heiraten, gute Familie aufbauen, in Frieden leben, Kinder gebären und erziehen.“ Sie erzählte, dass sie durch ihre Arbeit im Dumaauschuss häufig mit Fällen von Frauen konfrontiert werden, deren Ehemänner nach der Trennung gemeinsame Kinder ins Ausland entführen oder umgekehrt, Frauen, die nach den Wegen suchen von ihren Ehemännern aus dem Ausland nach Russland zurück zu fliehen.

Das Zitat ging schnell durch alle Netzkanäle. Der letzte Skandal rund um Äußerungen von Pletnjewa legt gerade mal paar Monate zurück. Im März nahm sie den Abgeordneten der Liberaldemokratischen Partei Russlands (LDPR) Leonid Sluzki in Schutz, gegen dem drei Journalistinnen Vorwürfe der sexuellen Belästigung erhoben. „Ich möchte sagen, dass diese Mädchen, die Journalistinnen, sollten sich anständiger Kleiden und nicht mit nackten Bauchnabeln  laufen, es ist schließlich eine staatliche Institution“ sagte Pletnjewa, sich hinter Slutzki und dem Duma-Vorsitzenden Wjatscheslaw Wolodin, der die Journalistinnen des Parlaments verweisen wollte, stellend. Spätestens seit dem Zeitpunkt dient die von ihrem Habitus an „Marija Iwanowna“ die sowjetische Klischeelehrerin aus den Pennälerwitzen erinnernde Pletnjowa als Zielscheibe des beißenden Spots in oppositionellen Medien.

Tamara Pletnjewas Werte kommen aus dem späten Sowjetunion und darauf ist sie trotz allen Attacken stolz. Auch ihr Bild von der Geschlechterrollen ist eine aus der sowjetischen Geschichte.

Es wäre nicht fair, die politische Arbeit von Pletnjewa auf Skandale rund um Sexismus- und Rassismusvorwürfe zu reduzieren. Tamara Wilhelmowna, wie ihr Name vor der Russifizierung lautete, ist 1947 in einem Dorf bei Nowosibirsk, wohin ihre deutsche Eltern von der Wolga deportiert wurden, geboren.

Nach der Pädagogikstudium arbeitete sie ihr ganzes Leben in einer Landschule im Tambow-Gebiet. In der Duma sitzt sie seit 1993 und gehört damit zu den dienstältersten unter den Abgeordneten. Seit zehn Jahren ist Pletnjewa Mitglied des Zentralkomittee der KPRF, außerdem war sie in Satellitenorgaisationen wie die Gesamtrussische Frauenunion und die Volkspatriotische Union Russlands aktiv. Sie galt als Stimme der anständigen, aber zunehmend verarmenden Lehrer aus der Provinz, denen einerseits die Wichtigkeit ihres Berufes bestätigt wurde, aber für deren Entlohnung das Geld immer fehlte.

Pletnjewas Interventionen um die Debatten über die „ethnische Konflikte“ fielen ambivalenter aus, als ihre letzte Äußerungen es vermuten lassen. So griff sie 2013 in die Debatte um den Fall des usbekischen Straßenfegers Bachot Churamow ein. Der illegale Gastarbeiter wurde beschuldigt, in Moskau einem elfjährigen Jungen mit einem Spaten den Kiefer gebrochen zu haben. Wie zu erwarten war, wurde die Debatte schnell rassistisch aufgeladen, radikale Nationalisten wollten den Fall zur Mobilisierung gegen die Gastarbeiter nutzen. Die früh aufgetauchten Hinweise darauf, dass die Heranwachsenden, zu denen der Schüler gehörte, Churamow regelmäßig gemobbt haben sollen, wurden als „antirussische Hetze“ abgetan.

Auf dem Höhepunkt der Debatte verteidigte Tamara Pletnjewa in einem Talkshow den Angeklagten, warnte vor Rassismus in der russischen Gesellschaft und verwies auf die  elenden Wohnverhältnisse der Migranten. Von ihrer Partei hört man solche Töne eher selten. Bald darauf wurde die Anzeige zurückgezogen, da ansonsten die Ermittlungen gegen die Jugendlichen, beziehungsweise deren Eltern, sich anbahnten. Churamow wurde frei gelassen.

Tamara Pletnjewas Werte stammen aus dem späten Sowjetunion und darauf ist sie trotz allen Attacken aus den unterschiedlichen politischen Lager stolz. Auch ihr Bild von der Geschlechterrollen ist eine aus der sowjetischen Geschichte. Nicht umsonst ist in „Soviet studies“ die These über die besondere Rolle der weiblichen „Obschestwinitzi“ („Öffentlichkeitsaktivistinnen“) in der UdSSR verbreitet, die ihre Aufgabe darin sahen, als ermahnende Stimme die Gesellschaft vor "deviantem Verhalten", vor allem von Jugendlichen und Männern zu warnen und schützen. Für die Landschule bei Tambow war eine Lehrerin wie Tamara Pletnjewa sicherlich nicht das Schlechteste, was passieren könnte.

Doch beim Versuch, die Familienpolitik des Landes mitzubestimmen, in dem sich Vieles, auch die Rollenbilder, stark veränderte, waren Eklats vorprogrammiert.

Bereits am Tag nach der umstrittenen Äußerungen distanzierte sich Dmitri Peskow, der Pressesprecher von Präsident Wladimir Putin, von den Äußerungen der KPRF-Politikerin. „Russische Frauen werden die Frage, mit wem sie intime Kontakte eingehen, wohl selber klären können“, kommentierte Peskow lapidar und verwies auf den Slogan „No Racism“, der auf den Fanpässen für die WM-Gäste steht.