Mittwoch, 20.06.2018 / 15:08 Uhr

Eine Woche WM - Was bisher geschah

Von
Endi Endemann

Tag 1:
Russland – Saudi-Arabien 5:0

 

Ankunft in Moskau. Trotz der Größe des Molochs Moskau, merkt man tatsächlich, dass hier ab heute eine WM stattfindet. Der saudische Kronprinz, Mohammed bin Salman al-Saud,  hat an allen Einfallstrassen Werbebanden für sich gekauft und die U-Bahnen sind voll mit Fans. Ich habe keine Ahnung, wie viele Menschen in Peru zuhause sind, aber sie scheinen alle hier zu sein.

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Jungle-WM-Korrespondent Endemann im Einsatz

Ich beziehe erstmal das Apartment, das ich mit meinen Kollegen von Football Supporters Europe (FSE) hier in den kommenden Wochen beziehen werde. Wir koordinieren während der WM die Arbeit der Fanbotschaften. Der Vermieter hat blendende Laune, die Übergabe der Wohnung verläuft etwas anders, als man es in Deutschland gewohnt ist: "Ihr könnt hier so viele Leute mitbringen, wie ihr wollt, Lärm und Partys sind ok und wenn was kaputt geht, gar kein Problem." Ok. Wir sind zwar zum Arbeiten hier, aber ist ja gut zu wissen.

Wir treffen die Fussballhipster von COPA90, in deren "Clubhouse" alle Spiele gezeigt werden und die uns dort auch ein kleines Büro zu Verfügung stellen. Danke dafür, hier kann man gut mal rum kommen, wenn man einen Ort zum Spieleschauen in Moskau sucht.

Ab zum Stadion, die Fan-IDs abholen, was überraschend unproblematisch abläuft, obwohl es nur noch zwei Stunden bis Anpfiff sind.

Leider kein Ticket fürs Eröffnungsspiel bekommen, da geht sie hin, die Chance auf ein Selfie mit Robbie Williams. Das Spiel schaue ich wieder bei COPA90, alle sind happy, dass die Gastgeber gewinnen, ist immer gut für die Stimmung in den nächsten Wochen.

Großes Gelächter als die Achse des Bösen (Mohammed bin-Salman, Gianni Infantino, Wladimir Putin) auf der VIP-Tribüne eingeblendet wird. Gerhard Schröder sitzt ein paar Reihen darunter und fragt sich offensichtlich, warum er nicht bei seinen Freunden sitzen darf. Kurz nach Abpfiff bekomme ich eine Nachricht meiner Kollegen Ronan, Robert und Elena. Es ist ein Selfie. Mit Mireille Matheiu.

 

Tag 2:
Iran – Marokko 1:0

Nach dem Spiel ist im Clubhouse noch Party mit lokalen Trap-Djs, danach fix auf den Nachtzug nach St.Petersburg. Das 30er Abteil ist eine Sauna, aber die Stimmung ist gut, der iranische Student neben mir spielt die halbe Nacht Schach mit einem Kirgisen, der kein Wort Englisch spricht.

In St.Petersburg treffe ich Sara und Maryam. Beide sind Aktivistinnen der Open Stadiums Kampagne, die seit einigen Jahren für das Recht Iranischer Frauen kämpft, im Iran Fussballspiele zu besuchen. Iran ist das letzte Land der Erde, in dem Frauen nicht ins Stadium dürfen. Und das seit 1980, kurz nach der „Iranischen Revolution“. Sara kommt aus Theheran, ist lebenslanger Fan eines der beiden grossen Theheraner Teams, Esteghlal, und hat ihr Team noch nie im Stadion spielen sehen. Die Jungle World hatte vor einigen Monaten bereits über die Situation berichtet. Vor einigen Jahren gelang es Sara, sich einmal sich in Stadion zu schmuggeln, in Begleitung weiblicher Südkorea-Fans, die beim Qualifikationsspiel im Iran zugelassen waren. Mit uns in der Reisegruppe ist James Montague, einer der besten Sportjournalisten weltweit, der über den heutigen Tag für die New York Times berichtet. So viel zur Exklusivität.

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Let them in

Sara ist nervös, sie möchte nicht, dass bekannt wird, dass sie Teil der Kampagne ist, im Iran könnte sie dafür grosse Probleme bekommen. Trotzdem ist sie heute in St.Petersburg, um vor und im Stadion zu protestieren. Maryam hat es einfacher, sie lebt seit vielen Jahren in den USA und macht sich keine Gedanken, dass sie auf Fotos zu erkennen ist. Etwa eine Stunde vor Spielbeginn packen die beiden Frauen ihr Banner mit der Aufschrift "Support Iranian women to attend stadiums" aus und platzieren sich vor dem Stadion. Die etwa 100 m entfernt stehenden Riotpolice Einheiten schauen herüber, scheinen aber nicht weiter interessiert zu sein.

Maryam und Sara bekommen viel Zuspruch, viele iranische Fans recken den Daumen und machen Fotos von dem Plakat. Diverse (meist männliche) Fans nehmen das Banner und lassen sich damit fotografieren. Wir gehen ins Stadion, das Banner kommt mit, die beiden haben es im Vorfeld angemeldet.

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Das Spiel ist sehr bescheiden, die Stimmung schlecht. Leider haben die Iraner die Vuvuzuela wiederentdeckt, man kann keine Gesänge hören, sondern nur infernalischen Trötenlärm. Nach fünf Minuten fühle ich mich taub. Die Versuche der vom Verband bezahlten "Leader" die Stimmung zu koordinieren, scheitert kläglich. Faszinierend ist die Gruppe iranischer Fans, direkt neben dem Capo, die Regenbogen-Perücken tragen. Solidarität mit der russischen LGBT-Community?

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Das Eigentor in der letzten Sekunde lässt das Stadion erbeben. Es sind erstaunlich viele iranische Fans hier, ein Grossteil aus dem Exil, einige aber auch direkt aus dem Iran. Nach dem Spiel findet eine große Iranische Party statt, und als ob die Vuvuzuela nicht langt, wird auch noch das Isländische "Hu" adaptiert. Egal,  Sara und Maryam sind happy über den Sieg und ich darüber, dass sie sie happy sind. Wir gehen in ein fantastisches Lokal, verbringen einen Abend und ich hoffe, die beiden bei einem der nächsten Spiele wieder zu treffen.

 

Tag 3:
Argentinien – Island 1:1

Direkt nachts wieder in den Zug, die nächste Sauna. Diesmal im 4er-Abteil mit einem Russischen MMA-Fighter, einer alten Babushka und einem Fan aus El Salvador, der in vier Tagen vier Spiele sieht und dann wieder nach Hause fliegt. Kurz duschen, dann die Kollegen der Koordinationsstelle Fanprojekte besucht, welche die Deutsche Fanbotschaft leiten. Dabei ist auch Ingo Petz von Fankurve Ost. Wer sich für Fussball in Russland, der Ukraine und Weißrussland (auch jenseits der WM) interessiert, sollte ihren Newsletter bestellen, der immer viele interessante Informationen und Analysen enthält.

Weiter ins Spartak Stadion zu Argentinien-Island. Wir beobachten die Einlasskontrollen, alles ist hier ziemlich gut organisiert. In der Halbzeit treffen wir unsere Mitglieder von TOLFAN, dem isländischen Nationalmannschaftsfanclub. Wir stehen die zweite Halbzeit bei ihnen im Block, und es wird eines der aufregendsten Spiele, das ich in den letzten Jahren im Stadion gesehen habe. Die Isländer drehen beim von Hannes Thór Halldórsson perfekt gehaltenen Messi-Elfmeter völlig durch und das Team spielt um sein Leben.

WM-Blog-Island

Island drums. No to racism

Beeindruckende Teamleistung, zu keiner Zeit in Panik verfallen, den eigenen Stiefel herunter gespielt und verdient den Punkt mitgenommen.

Da kein Mensch auf der Welt irgendetwas gegen Isländer zu haben scheint, kommen auch viele Argentinier und gratulieren. Wir werden zur Isländischen Aftershow Party eingeladen. Da die meisten TOLFAN Mitglieder nur zu den Spielen anreisen und mitten in der Nacht zurückfliegen, haben sie in allen Städten in denen Island spielt Bars gemietet. Ein isländisches DJane Duo legt auf, alle tanzen und die Flasche Wodka kostet 12 Euro. Ich treffe Ex-Bundesliga Profi Eyjólfur Sverrisson (Hertha, VFB Stuttgart) , der mit den Fans feiert und erzähle ihm was ich von seinen Ex-Klubs halte. Es sei verraten: Nicht viel. Sorry, Eyjólfur, bist ein netter Kerl, war nicht so gemeint. Es wird noch eine lange Nacht.