Montag, 25.06.2018 / 12:44 Uhr

It´s a WM-World - Woche zwei

Von
Endi Endemann

Tag 4: Deutschland – Mexiko 0:1 (haha)

Sonntag Nachmittag. Harter Kater. Nie wieder Wodka. Nie wieder Island. Umso dümmer, als ich mitten in der Nacht einen Flug nach Rostov habe. Glücklicherweise steht in meinem Arbeitsvertrag, dass ich um Deutschlandspiele einen großen Bogen machen darf.

(Nicht ganz wahr, ist eher eine informelle Vereinbarung). Das Spiel sehe ich daher mit einigen alten Freunden, die auch hier sind, unter anderem mit Thomas aus Brasilien, der in Thessaloniki den Aniko FC leitet, ein Fussballprojekt mit Refugees. Später kommt noch Dario dazu, der über Fußball auf dem Balkan forscht. Auf seinem Twitter-Kanal findet sich immer interessantes über Fußball und dessen politischen Implikationen in der Gegend.

Neben uns sitzt ein Fan mit einem Shirt von Torpedo Moskau, dem kleinsten der fünf traditionellen Moskauer Vereine. „Ich bin so ein bisschen in der Hooliganszene involviert“, erzählt er. In Deutschland wäre das ein eher unüblicher Gesprächseinstieg, hier ist das gesellschaftlich nicht sonderlich verpönt. Er ist mit seiner Frau und seinem kleinen Sohn hier, deswegen er etwas kürzer treten wolle. Er ist begeistert, dass ich aus Berlin komme und es stellt sich heraus, dass er gerade vor ein paar Wochen dort war. Stadturlaub und Technoclubs. Kater Blau ist sein Favorit.

Mit dem Spiel sind alle hochzufrieden.

 

WM-Blog-Torpedo_Moskau

Torpedo Moskau

 

Tag 5: England – Tunesien 2:1

00.30, auf zum Flughafen, 03.00 Abflug. Dummerweise kann ich weder im Flugzeug noch im Auto schlafen. Also wird die 7stündige Autofahrt von Rostov nach Wolgograd die Hölle. Die Kollegen Ronan und Gael sind die russische Fahrweise gewohnt und kutschieren mich sicher. In Wolgograd treffen wir die Kolleginnen und Kollegen der Englischen Fanbotschaft. Sie haben nicht viel zu tun, es sind sehr wenige Engländer in der Stadt, vielleicht 5000 insgesamt, so wenig wie seit Ewigkeiten nicht mehr bei einem internationalen Turnier. Warum das so ist, erklärt unser Kollege Kevin Miles von der Football Supporters Federation dem Fußballmagzin Kicker.

Das Stadion liegt zwischen der Wolga und dem Mamajew-Hügel, dem riesigen Gedenkpark zur Belagerung Stalingrads. Hier treffen wir Di, glühender Fan von Norwich City, die zu den Gründerinnen des LGBT+ Fandachverbandes Pride in Football und des LGBT+ Nationalmannschaftsfanclubs 3 Lions Pride gehört. Sie wird nach Alexander Agapov von der russischen LGBT Sportföderation die zweite sein, die bei dieser WM eine Regenbogenfahne im Stadion zeigt.

Di bekommt viel positiven Zuspruch von England-Fans für ihre Fahne. Nach dem Spiel gesellt sich ein Russischer Fan zu uns. Er sei einmal ums komplette Stadion gelaufen um uns zu finden, erzählt er. Er ist schwul und freut sich, uns zu treffen. Niemals habe er es zu hoffen gewagt, einmal eine Regenbogen Fahne in einem russischen Stadion zu sehen.

 

WM-3Lions

3 Lions Pride in Aktion

 

Nach dem Spiel gehen wir in die schäbigste Sportbar der Stadt, die malerisch hinter einem verlassenen Verwaltungsgebäude unter einer Autobahnbrücke liegt.

Der Besitzer ist Fan von Rotor Wolgograd (ehemals Rotor Stalingrad), dem örtlichen Zweitligisten. Er sei damals schon dabei gewesen, als 1995 Rotor Manchester United aus dem UEFA-Cup kegelte. Die Unart der Welle war auch damals schon in Russland angekommen.

Weder er noch die meisten anderen Gäste scheinen sich sonderlich daran zu stören, als wir irgendwann Fotos mit der Fahne machen. Aber wir sind auch nur verrückte Europäer und keine Russen. Die einzigen kleineren dummen Sprüche kommen vom einem betrunkenen Mann in Englandshirt am Nebentisch, der einen Kosakenhut trägt.
Tschüss Sergey, danke, endlich Schlaf.

 

Tag 6: Russland – Ägypten 3:1

Rückfahrt nach Rostov. Heute muss ich fahren. Nach 500 m werden wir von der Polizei angehalten. Routinekontrolle, kaum zu vermeiden, Polizeikontrollen gibt es alle paar Kilometer. Sobald man tatsächlich nichts gemacht hat, Fahrzeugpapiere hat, die Fan-IDs zückt und lächelt, gibt es keine Probleme.

Die Landschaft ist karg, der Verkehr erträglich. Unterwegs entscheiden wir uns, nicht durchzufahren, sondern zwei Stunden vor Rostov zu übernachten. Zu weit, zu teuer, einen Tag vor dem Spiel Uruguay vs. Saudi Arabien. Wir entscheiden uns für Belaja Kalitwa, mitten im Nirgendwo. Wenn man den Wikipedia Eintrag der Stadt liest, ist es wie mit jedem Ort in der Gegend: Deutsches Zwangsarbeiterlager, Todesmärsche, Vernichtung. Werde ob meiner Herkunft trotzdem kein einziges Mal dumm angesprochen, wie auch schon bei meinem ersten Besuch in Wolgograd, vor einigen Wochen zum Tag des Sieges am 09. Mai. Besonders mein Wohnort, Berlin, wird meist eher mit Belustigung aufgenommen. „Wir haben ja gewonnen“ und „На Берлин!“ heißt es dann.

WM-Blog-Endi_telefon

"Halloooo? Jungle-World-Redaktion?"

 

In der einzige geöffnete Kneipe von Kalitwa kostet das Bier 50 Rubel (ca. 80 Cent). Die sportliche Dorfjugend ist geschlossen vertreten und beäugt uns leicht kritisch. Wir jubeln pflichtschuldig bei den russischen Toren. Nach dem Spiel beraten sich die Jugendlichen kurz, dann entscheiden sie sich, das Gespräch zu suchen, statt uns sofort aufs Maul zu hauen. Angesichts der Bierpreise ist es nicht schwer, sich ihr Wohlwollen zu erkaufen. Übliche Fußballfachsimpelei, der örtliche Verein spielt vor 500 Leuten in der 4. oder 5. Liga. Später will der örtliche Trunkenbold uns dann doch noch zum Kampf herausfordern, er ist allerdings schon um die 60 und hat ebenso viele Promille. Wir lehnen dankend ab, er kämpft stattdessen mit einem Stuhl. Und verliert.