Mittwoch, 29.08.2018 / 16:04 Uhr

Queerfronten

Von
Patsy l’Amour laLove Ralf Balke

Die Zusammenarbeit von LGBT- Vereinen mit Gruppen, die den Muslimbrüdern nahestehen, erklärt die Gewalt gegen Homo- und Transsexuelle zum queeren Nebenwiderspruch, wie aktuell ein Beispiel aus Berlin zeigt.

__________________________________________________________________________________

Wer bis dato noch zu jenen gehörte, die die Affinität vieler queerer Aktivist_innen zum Islam nicht wahrhaben wollen, dürfte nun durch ein besonders eindrucksvolles Beispiel in seinem Weltbild erschüttert werden – es sei denn, der Drang zur aktiven Verleugnung mit dem Ziel, bloß nicht als Rassist dazustehen, behält weiterhin die Oberhand. Denn allein die Tatsache, dass der Islam in einem problematisierenden Kontext erwähnt wird, wie etwa aktuell in dem Aufruf des kürzlich gegründeten Neuköllner Bündnisses „ehrlos statt wehrlos“, das sich gegen Homo- und Transfeindlichkeit sowie Antisemitismus in Neukölln einsetzt, reicht, um sich dem Vorwurf des Rechtspopulismus mittlerweile nolens volens auszusetzen. Aufklärung und Emanzipation scheinen als Prinzipien restlos über Bord geworfen zu sein.
Genau mit diesem politischen Druckmittel arbeiten die Schreiber_innen einer Stellungnahme gegen das Neuköllner Bündnis. Jegliche kritische Erwähnung des Islam kann demnach nichts anderes sein als Rechtspopulismus, was zwangsläufig auch die Frage aufwirft, warum diese Religion im Unterschied zu den christlichen Konfessionen quasi reflexartig und in toto in Schutz genommen wird. So wird ein Flugblatt von „ehrlos statt wehrlos“ ohne ausreichenden Bezug auf die Inhalte sofort mit PEGIDA, AfD & Co. in einen Topf geworfen. Dabei entsteht bei näherem Hinsehen eine bemerkenswerte Melange aus queerem Aktivismus und fundamentalreligiösen Ansichten.

Denn neben xart splitta e.V., einem Neuköllner Netzwerk, das auf Diskriminierung mit orthographischen Sprachänderungen zu antworten versucht, finden sich dort auch Vereine wie Inssan e.V., Nicht ohne meinen Glauben – Queere Muslime, das feministische rromani Archiv RomaniPhen sowie Berlin Muslim Feminist, GLADT e.V und last but not least die Initiative Salaam-Schalom des Armin Langer, einem 2016 vom renommierten Abraham Geiger Kolleg geschassten Rabbinerstudenten, der sich medial erfolgreich als judenkritischer Jude inszeniert.

Wo Islamkritik lauter skandalisiert wird als ein Bündnis aus Queer und konservativer Religion, ist die Regression schon weit gediehen.

Vor allem der Name Inssan e.V. aber sollte für Irritationen sorgen. Schließlich bestätigte bereits 2008 der Verfassungsschutz Berlin auf Nachfrage von Morgenpost Online, „dass es bei Inssan Anhaltspunkte für personelle und organisatorische Verbindungen zur Islamischen Gemeinschaft Deutschland (IGD) gibt.“ Die IGD wiederum ist die wichtigste Organisation der Muslimbruderschaft hierzulande. Der in Berlin Charlottenburg lebende amerikanische Journalist und Pulitzerpreisträger Ian Johnson bezeichnete in einem Interview mit der Taz Inssan daher „als eine Art Türöffner für die Muslimbruderschaft“: nach außen liberal, aber ansonsten mit knallhart islamistischer Agenda unterwegs. Nicht umsonst hat Inssan mit der Gitschiner Straße 17 in Berlin dieselbe Büroadresse wie die vermeintliche Hilfsorganisation Islamic Relief e.V., die im Verdacht steht, Teil des Finanzsystems der radikalislamistischen Hamas zu sein, weshalb der Bundesrechnungshof 2017 wegen des möglichen Zweckentfremdung von Fördergeldern bereits aktiv wurde.

Armin Langer, der in seiner Suche nach Partnern für den jüdisch-muslimischen Dialog auch nicht davor zurückschreckt, wie im März 2015 einen Vortrag vor dem deutschen Zweig der islamischen Gemeinschaft Milli Görüs zu halten oder gemeinsam mit dem Imam Ferid Heider, dem gleichfalls enge Kontakte zur Muslimbruderschaft nachgesagt werden, aufzutreten, betreibt mit der Unterstützung der Stellungnahme seine ganz persönliche Art des Pinkwashings, und zwar das von Islamisten. Alle Grundgedanken queerer Emanzipation werden so korrumpiert, entkernt und neu verpackt, damit sie nur noch den identitätspolitischen Interessen einer von Buzzwords dominierten Agenda dienen. Aber das mit offensichtlich großem Vergnügen.

Denn anders ließe sich auch nicht die Reaktion des Soziologen Georg Klauda erklären, der Homophobie unter Muslimen für eine Erfindung des rassistischen Westens hält. So kommentierte er die Tatsache, dass Inssan zu den Unterstützern der Stellungnahme zählt, auf Twitter mit den Worten: „Ja, ist doch super, wenn die ein Flugblatt gegen Homo- und Transphobie unterstützen. Thumbs up and keep up the good work!“ Mit dieser schlichten Logik ließe sich alles absegnen, was verbal irgendwie mal aus taktischen Gründen Stellung zugunsten der LGBT-Community bezog. Das würde dann übrigens auch für die AfD gelten.

Die „Stellungnahme“ führt beispielhaft alle goldenen Regeln für eine schlechte Kritik vor.

Erstens: Fakten ausblenden, keine Recherchen betreiben und stattdessen eine Kiez-Idylle konstruieren, die so nie existiert hatte, sowie wie selbstverständlich eine Verschwörung dahinter vermuten: Im Nebel stochernd scheinen GLADT & Co. nach Personen und Gruppen zu suchen, die man an den Pranger stellen kann. Doch fanden sie nichts Stichhaltiges und es musste die Fantasie eines nebulösen Umfeldes herhalten, in dem an der Rezeptur des queeren Rechtspopulismus geköchelt würde. So warf man Patsy l’Amour laLove ohne jeden Zusammenhang vor, daran beteiligt zu sein. Joey Hansom, Redakteur der SIEGESSÄULE, bekundete dafür öffentlich sein Verständnis: “it definitely smells like her, so i can understand why people make the assumption privately.“

Einen erlogenen Zusammenhang weiterzuerzählen ist demnach durchaus okay, wenn es nur der eigenen identitätspolitischen Agenda nützt. Über die Metapher des Riechens in diesem Zusammenhang muss wohl nicht viel mehr hinzugefügt werden.

Zweite Regel: Bloß nicht lesen, was kritisiert werden soll: Man muss sich wundern, wo sich die Darlegungen im Original finden lassen. Auch die Dragperformerin Olympia Bukkakis unternahm den Versuch, einer Kritik an dem Papier von Ehrlos statt wehrlos, der jedoch jeden Bezug zu dem, was er kritisiert, vermissen lässt.

Das führt unweigerlich zu der dritten und wohl wichtigsten Regel: Auf keinen Fall fundiert argumentieren, stattdessen Rechtspopulismus vorwerfen. Es geht bloß darum, wer sich vom Bündnis distanziert, wer die Feindin und wer rechts ist – Lagerdenken und Identitätspolitik vom Feinsten. Darum braucht man sich um die Auseinandersetzung mit etwaigen Inhalten nicht scheren. Schließlich müsste in dem Moment, in dem Begriffe wie Rassismus oder Rechtsextremismus auf Basis einer wissenschaftlichen Definition und nicht länger nur als Buzzwords in Stellung gebracht werden, ihre Argumentation wie ein Kartenhaus zusammenfallen. Hierzu würde ebenfalls gehören, die homophobe und transfeindliche Gewalt in Neukölln, die von Ehrlos statt wehrlos moniert wird, nicht zu relativieren, sondern als Fakt zur Kenntnis zu nehmen. Wer etwa als Tunte oder homosexuelles Paar jemals die Sonnenallee entlang spazierte und dort zwangsläufig angepöbelt wurde, dürfte der kalte Schauer den Rücken entlanglaufen angesichts der Kälte, mit der GLADT und Co. diese Gewalt als keine besonders ausgeprägte abtun. Es gilt die Formel: Keinerlei Empathie mit den Opfern und eine paternalistische Haltung gegenüber Tätern, wenn diese aus einem muslimischen Milieu stammen, die sie vor jeglicher Kritik quasi imprägniert.

Die Gewalt gegen Homo- und Transsexuelle wird so zum queeren Nebenwiderspruch reduziert. Wichtig ist einzig, wen man als islamfeindlich, rassistisch und eben rechtspopulistisch hinstellen kann. Der Vorwurf fungiert als moralische Erpressung, wie es Vojin Saša Vukadinović in der September-Ausgabe der Siegessäule festhält. Und doch ist abzusehen, dass in den queeren oder lesbischwulen Medien über die aktuelle Queerfront kein Wort zu finden sein wird. Dabei hätte kein Artikel in „Beißreflexe“ besser illustrieren können als diese Zusammenkunft, was an der queeren Rassismuskritik schiefläuft. Dafür dürfte der Rechtspopulismusvorwurf widerspruchslos aufgenommen und weitertragen werden.

Mit dem Vorwurf, dass jemand oder ein Bündnis rechtspopulistisch sei, lässt sich nämlich erschreckend einfach Stimmung machen und in den sozialen Medien Beliebtheit generieren. All das kommt einer moralischen Erpressung gleich, die als Lieblingskniff postmoderner Rhetorik ihren traurigen Siegeszug somit weiter fortsetzt. Wo Islamkritik lauter skandalisiert wird als ein Bündnis aus Queer und konservativer Religion, ist die Regression schon weit gediehen.

Es bleibt zu hoffen, dass nicht alle vor solchen Stellungnahmen einknicken und aus lauter Sorge um ihren Ruf kuschen. Nicht zuletzt aus Solidarität mit jenen, die sich von der Religion aufgrund ihrer Feindseligkeit abwandten und nun mit queeren Aktivist_innen konfrontiert sind, die patriarchale Glaubensriten für besonders schützenswert halten und gar mit Feminismus verwechseln.