Samstag, 15.09.2018 / 09:02 Uhr

Schrill! Schrill! Schrill!

Von
Patsy l’Amour laLove

Daniel Kaiser-Küblböck gehört zu den wenigen Gesichtern der ersten DSDS-Generation, die sich in die Erinnerungen der Zuschauer_innen einbrannten. Zur ersten Staffel 2002 kam er noch ohne den Nachnamen Kerstin Elisabeth Kaisers, der Frau, von der er sich als Erwachsener adoptieren ließ. Kaum jemandem entgingen damals seine schrägen, inszenierten Auftritte, der tuntige Look und die Tanzsprünge, bei denen er auf den Knien, etwas ungelenk, aber mit dem Gestus eines großen Stars, über die Bühne rutschte. Nicht zuletzt, weil die Boulevard-Blätter seitenweise seine Andersartigkeit unter immer demselben Ausruf zwanghaft ausriefen: Schrill – Schrill – Schrill!

Am vergangenen Sonntag verbreitete sich die Meldung, dass sich Kaiser-Küblböck aller Wahrscheinlichkeit nach von Bord eines Clubschiffs nahe der kanadischen Küste in den Atlantik gestürzt hatte. Die Berichterstattung zu dem mutmaßlichen Suizid reicht von wilden Spekulationen bis hin zu dem Hinweis, dass sich der Sänger und Schauspieler dort umgebracht habe, wo das Passagierschiff Titanic untergegangen ist. Immerzu wiederholen sich die Hinweise darauf, wie schrill Kaiser-Küblböck doch gewesen sei. Dieter Bohlen sprach in einem Shirt mit dem Aufdruck „Be one with the Ocean“ sein Beileid aus und betonte, dass sein ehemaliger Schützling zwar extrovertiert aber auch depressiv sein konnte.

Auch Satiriker Oliver Kalkofe betont das nervig Schrille und bringt die Reaktionen des Publikums darauf mit dem Leiden des DSDS-Stars in Verbindung: „Doch egal, ob man jemanden mochte oder nicht und ob man ihn zu Lebzeiten ernst nahm oder nicht – nach dem Tode dümmlich ausgelacht zu werden, vor allem wenn man gerade an diesem Umgang mit der eigenen Person gescheitert ist und deshalb das Leben aus Verzweiflung beendet hat, hat niemand verdient.“

Der schräge Vogel Kaiser-Küblböck wird in den Nachrufen auf seinen Tod weiterhin in eben diese Rolle festgezurrt. Man wird den Eindruck einer gewissen Frivolität nicht los, die viele der Medienberichte durchzieht und kann den Entertainern und Journalist_innen ihre Beileidsbekundungen entsprechend schwer nur abnehmen.

Auf einer Facebook-Fanseite schrieb Kaiser-Küblböck wenige Tage vor seinem Verschwinden von Mobbing am Europäischen Theaterinstitut Berlin, das er seit 2015 besuchte – während nun dessen Direktor die Vorwürfe dementiert und von Alkoholabhängig und aggressivem Verhalten seines Schülers spricht.

Hinzu kommt ein Instagram-Profil, auf dem sich der oder die Sänger_in mit dem Hashtag #transsexuelle versieht, Rosa nennt und mit Make-Up sowie Schminke präsentiert. Die Meldungen über sein mögliches Transsein wurden erst nach dem Tod publik. Kaiser-Küblböck hat sie womöglich nicht als Kampagne öffentlich präsentiert, da er oder sie die BILD-Lawinen des „Schrill-Schrill-Schrill!“ bereits in- und auswendig kannte.

Dieses selbstbewusst wirkende Trans-Outing mag so gar nicht zur Suizidalität passen.

Einerseits aber bleibt die Suizidrate unter Transidenten überdurchschnittlich hoch und von einer Instagram-Selbstinszenierung lässt sich nur schwerlich auf den psychischen Zustand einer Person schließen. Andererseits bleiben diese Überlegungen Spekulationen, die boulevardistisch aufgebauscht sind und zugleich den Sinn für die Hinterbliebenen erfüllen können, den unwirklichen Gedanken des Todes in einen erklärenden Zusammenhang zu bringen.

Was genau zu dem Suizid führte, lässt sich derweil nicht nur im diesem Falle schwer ermitteln. Selten hält ein einziger, isolierter Grund dafür her, dass sich jemand das Leben nimmt. Innere Leere, Ängste, unerträgliche Gefühlszustände und die Überzeugung von Ausweglosigkeit bestimmen häufig ein psychisches Hintergrundrauschen, zu welchem vergangene und aktuelle Erfahrungen von Ablehnung, Verlassenwerden und Entwertung treten können.

An mehreren Stellen wiederum wird mit fester Überzeugung darauf hingewiesen, dass sich Kaiser-Küblböck aufgrund der Ablehnung, die er erfahren hat, umgebracht habe.

Wie in Kalkofes Nachruf ist daran grundsätzlich richtig, dass der junge Künstler als Witzfigur inszeniert wurde – und sich zeitweise selbst öffentlich als schräge und lustig darstellte. Selbst ein Unfall mit einem Gurkenlaster 2004 wurde humoristisch ausgeschlachtet und dabei keine unlustige schwulenfeindliche Anspielung ausgelassen.

Originale Gurken aus dem Fahrzeug wurden bei eBay versteigert.

Das Witzige an Kaiser-Küblböck sollte sein flamboyant schwules Verhalten sein, das für ihn selbst jedoch zu einer zunehmend ernsthaften Angelegenheit wurde. Und eben keiner, für die er sich weiter auslachen lassen wollte. Nach einem jahrelangen Rückzug tauchte er ab 2007 wieder unregelmäßig im Fernsehen auf – mit betont männlichem Auftreten, markantem Gesicht, später Vollbart. Die Anerkennung folgte auf dem Fuß und die geheuchelte Überraschung ebenfalls, wie aus so einem nur so einer werden könne.

Der bemerkenswerte Umgang mit weiblichen Männern und tuntigem Verhalten im Jahr 2018 könnte erstaunlich sein, ginge man von einer sukzessiven Zunahme echter Toleranz seit den 1960er Jahren aus.

Auch andere Beispiele, wie der ab 2005 berühmt gewordene Bill Kaulitz von Tokio Hotel, verdeutlichen, wie wenig die Menschen unangepasst feminin auftretende Jungs und Männer auszuhalten bereit sind – ohne sie mit Spott zu überschütten. Kaulitz berichtete in einem Gespräch mit Markus Lanz 2017 entsprechend davon, dass die Schulzeit aufgrund seines selbstbewussten Andersseins für ihn die reinste Hölle gewesen sei. Zumindest musste er diejenigen, die sich eine Welt im Einheitsschritt wünschten, durch seinen frühen Karriereeinstieg nicht mehr lange auf dem Magdeburger Schulhof ertragen.

Weit entfernt von dem Gerede einer Toleranz für alle bleiben feminine Jungs und „schrille“ Männer Anlass für hämische Belustigung und Ziel der Entwertung. Keine Abschaffung von Strafparagrafen, keine Einführung der Ehe für alle, kein Abbau der Diskriminierung und auch nicht der Eintrag zum sogenannten „Dritten Geschlecht“ führten dazu, dass der rechtliche und institutionelle Fortschritt auch von den Menschen in dieser Gesellschaft übernommen worden wäre. Der Hass auf das Andere, das zeigt sich an jenen, die als Männer geboren wurden und die Bandbreite der Männlichkeit zu sehr nach ihren Bedürfnissen vergrößern wollen, hat die Liberalisierung unbeschadet überstanden.