Donnerstag, 18.10.2018 / 07:08 Uhr

Dialektik oder Lokalpatriotismus?

Von
Rosa Pudel
Rosa Pudel

Ob Linke bald auch so aussehen? Rosa Pudel sagt: "Nein, danke!"

Eine Antwort auf die Königlich Bayerische Antifa

 

Bayernfahnen wehten auf beide Seiten der Hamburger Gitter. Die einen skandieren: „Antifa is not welcome here!“, die anderen: „Es gibt kein Recht auf Nazipropaganda!“

Die surreale Szene auf eine Regensburger Kundgebung gegen die AfD war ein Auftritt der Königlich Bayrische Antifa, kurz KBA. Es war weder der erste noch der letzte dort.

Angefangen als ein unkonventionelles Satireprojekt, wurde die KBA immer skurriler. Während Rosa anfing, sich zu fragen, wie ernst es ihnen mit der Heimat ist, sammelte das Projekt im Laufe der Zeit eine fragwürdige Anhängerschaft.

Die KBA konstruiert die Identität der Angehörigen eines progressiven Bayerns. Dabei vergisst sie gerne, dass dieses Bayern seit ziemlich genau 100 Jahren nicht mehr gibt.

Wegen zehn Minuten Münchner Räterepublik den gesamten Rest der Geschichte zu verdrängen, ist nicht humorvoll, sondern falsch.
Bayern samt ihren Lokalpatriotismus, welches laut der Gruppe das „Potenzial zu einem guten Patriotismus“ habe, war und ist brandgefährlich für Genoss_innen, Rassifizierte, und alle, die anders sind oder als solche betrachtet werden.

Vielleicht verwischt das Bier die Klassenunterschiede, aber nur im gleichen Maßen wie der Alkohol die Sicht der Betrachterin auf die Verhältnisse es tut.

Die Revolution von 1918 wurde brutal niedergeschlagen. München war die „Hauptstadt der Bewegung“.

Der erste uns bekannte Tat des NSU fand in Nürnberg statt, in keinem anderen Bundesland ermordete die Gruppe mehr Menschen. In Regensburg wurde vor Kurzem auf AfD-Gegner_innen geschossen. Dass sie nicht verletzt wurden, war Glück und nicht, weil der bayrische Lokalpatriotismus - selbstverständlich in Abgrenzung zu anderen Nationalismen – harmloser oder sich bewusst sei, „dass er ein Witz ist.“

Der Versuch, eine bayerische Heimat positiv zu besetzen, verharmlost das Leid. Das bayerische „Leben und Leben lassen“, worauf die Königlichen sich beziehen, galt und gilt nicht für sie, nicht für uns.

Die Vorstellung von einem Fehler aus bürgerlicher Naivität widerspricht die erklärte Taktik der selbsternannten Anarchist_innen und Antifas, denen „gegen den Faschismus allen Mitteln probat sind“. Durch die Assimilation an die für Bayern typischen Traditionalismus soll das Label Antifa für die Masse salonfähig gemacht werden.

Ihr folkloristisches Auftreten zieht wie ein Magnet neben Rechten auch Mitglieder der „Bayernpartei“ und Strukturen sowie Einzelpersonen an, die als regressive Linken bezeichnet werden können.

Die Regensburger Lokalgruppe zum Beispiel schrieb ihre Selbstbeschreibung auf Deutsch, was vermutlich der Versuch darstellt, ernsthaft zu wirken. Anstatt die bayerische Kultur und Tradition ad absurdum zu führen , wird eine Ode an eben diese gesungen, die man doch bitte weiter ausleben können soll - mit all der Misogynie, dem Rassismus und den Festkleidern des Bundes Deutscher Mädel aka Dirndl. Das Teilen unterdrückerischer Traditionen wird als progressiv betrachtet.

Statt in einem bürgerlichen Spektrum eine fundamentale Kritik zu verbreiten, entradikalisiert sich die KBA selbst, um die zum Produkt gemachte Identität „Antifa“ bei einer „Masse“ zu verscherbeln, die eher potenzielle Mobs als Revolutionär_innen gleicht.

Sie affirmieren ein Bundesland, das in puncto autoritärer Gesetzesverschärfungen Vorreiter ist und war.

Statt Konsequenzen aus der „Eskalation“ zu ziehen, arbeitet die Hauptgruppe sowohl mit den Lokalgruppen, als auch in der Kampagne „Widerständiges Bayern“ weiter zusammen, die, frei von jedem Augenzwinkern, sich eine längst vergangene gesellschaftliche Formation herbeihalluzinieren.

Unabhängig davon, ob der Königlich Bayerische Antifa nur das Kokettieren mit der Abfuhr an die Verhältnisse und der Anti-Ästhetik reizt, oder ob sie mit einer vernünftigen Kritik agieren, wird hier ein falsches Bild von Radikalität gezeichnet. Das muss ein satirisches Projekt gar nicht leisten, aber eine sich als linksradikal bezeichnende politische Organisation mit Untergliederungen und Bündnissen? Entgegen dem Bauchgefühl muss frau Satire ausnahmsweise ernst nehmen.

Es wirkt so, als hätten die Erfinder die Kontrolle über ihr Projekt verloren. Unterstützern werden in den Glauben des konformen Nonkonformismus gewiegt.

Die fundamentale Infragestellung des Bestehenden und das Bewahren ideologischer Versatzstücke samt Gewohnheiten verhält sich nicht dialektisch zueinander, sondern schließt sich einander aus. Keinem Versuch einer Synthese von „Kritik, Selbstkritik, Repeat“ und „Mia san mia“ wird Ersterem gerecht.

Vielleicht verwischt das Bier die Klassenunterschiede, aber nur im gleichen Maßen wie der Alkohol die Sicht der Betrachterin auf die Verhältnisse es tut.

Rosa plädiert für eine offensiv vorgetragene Kritik, sonst bleibt es beim sinnlosen sich gegenseitig Aushalten.

Das behindert progressive Projekte auf dem ersten Blick zwar nicht, aber in der Form der Organisierung wird dadurch eine sinnvolle Auseinandersetzung mit den Verhältnissen bei Menschen verhindert, die am Anfang ihrer Politisierung stehen.

Die Frage lautet also: Ist das Satire oder kann es weg? Denn wenn es keine Satire (mehr) ist, enttarnt sich das Schwingen der Bayernfahne gegen Rechts als etwas, das dem Projekt der befreiten Gesellschaft gewiss nicht fördert: Lokalpatriotismus.

 

 

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