Donnerstag, 18.05.2017 / 11:04 Uhr

Ein offener Brief der kurdischen Gemeinde an die Linke

Von
Thomas von der Osten-Sacken

Die kurdische Gemeinde schrieb diesen Brief an die Partei "Die Linke":

Sehr geehrte Damen und Herren der Fraktion DIE LINKE im Deutschen Bundestag,
Sehr geehrte Damen und Herren des Bundesvorstandes der Partei DIE LINKE,

in den letzten Tagen, Wochen und Monaten können wir Kurdinnen und Kurden in Deutschland uns des Eindrucks nicht erwehren, dass einige PolitikerInnen der Linken-Fraktion im Deutschen Bundestag durchgehend versuchen aus dem Leid der Kurden politisches Kapital zu schlagen. Wir haben Zweifel daran, ob ein ernsthaftes Interesse an der Lösung der Kurdenfrage vorhanden ist. Zweifelsohne sind die Bedingungen in den einzelnen kurdischen Regionen sehr unterschiedlich und das Verhältnis der kurdischen Gruppen untereinander ist mitunter feindselig.Darunter leidet eine Gesamtlösung der kurdischen Frage und das Volk ist Leidtragender einer Uneinigkeit im Innern und einer existenziellen Bedrohung im Äußeren.

Doch muss man sich dabei fragen: Geht es der Linken dabei wirklich um die Kurden, oder nur um ihre eigene linke Ideologie?

Möglicherweise meinen Sie es auch gut mit dem kurdischen Volk, doch anstatt dass Sie sich als Mediator zwischen die zerstrittenen kurdischen Fraktionen konstruktiv einbringen und die Kurdinnen und Kurden zusammenführen, werden Sie Teil ideologischer Grabenkämpfe, die bisher weder in der Geschichte Europas noch in der Gegenwart Kurdistans zielführend gewesen sind. Sie mögen Ihre Differenzen mit der Autonomen Regierung Kurdistans haben, doch empfinden wir es als sehr verletztend, wenn Sie selbst vor den Streitkräften Kurdistans, den Peschmerga, die Tag für Tag ihr Leben an den Fronten gegen den IS riskieren, damit unschuldige Menschen ein lebenswertes Dasein führen können, respektlos äußern. Es sind doch gerade diese Peschmerga, die aus dem Volk stammen und die Sicherheit Kurdistans und Europas garantieren. Diese dann als „Helfershelfer“ eines „Terrorpaten“ zu bezeichnen, wie es die Abgeordnete Frau Sevim Dagdelen getan hat, ist nicht nur falsch, es ist eine Verhöhnung der über 2.000 gefallenen und 9.000 verwundeten kurdischen Käpferinnen und Kämpfer, die u.a. zur Befreiung der kurdischen Stadt Kobani beigetragen haben. Warum wollen Sie diesen historischen Schulterschluss der kurdischen Streitkräfte beschmutzen?

Als Kurdische Gemeinde in Deutschland möchten wir den Widerstand der Peschmerga und der YPG gleichermaßen würdigen.

Ihre Partei „Die Linke“ hat sich oft für die Kurden und gegen die unterdrückerische Politik der Türkei ausgesprochen und das verdient auch Anerkennung. Doch muss man sich dabei fragen: Geht es der Linken dabei wirklich um die Kurden, oder nur um ihre eigene linke Ideologie? Denn wenn es der Partei ernsthaft um die Sicherheit und um die Freiheit der Kurden geht, warum spricht sie sich dann nicht deutlich gegen die Arabische Sozialistische Partei der Wiedererweckung, gegen die Baath-Partei, aus? Wieso sind kurdische Leben für die Linke nur wichtig, wenn diese dem linken Spektrum nahe sind oder diesem dienen? Wieso wird eine linke kurdische Gruppe bewusst „jesidischer Widerstand“ genannt, aber die jesidischen Kurden auf der anderen Seite des politischen Spektrums nicht als „jesidischer Widerstand“ erwähnt? Nur um die emotionale Lage, die tragische Situation der Jesiden für die eigene politische Agenda auszunutzen? Interessiert die Linke sich tatsächlich für die Belange der Jesiden, der Christen, der Muslime, der Kurden allgemein? Oder sind Jesiden nur wichtig, wenn sie Linke sind, aber belanglos, wenn sie keine Linken sind?

Ein Demokratiedefizit sowohl in der Autonomen Region Kurdistan, als auch in der Föderation Nordsyrien „Rojava“ muss selbstverständlich auf beiden Seiten angesprochen werden.

Sie stellen sich gerne immer wieder als Fürsprecher der Kurden hin; doch erinnern wir an die Worte des Abgeordneten Jan van Akens, der behauptete, dass die Kurden sich „Kirkuk unter den Nagel reißen“ würden und dabei die Verfassung des Irak verletzen. Allerdings hat Jan van Aken dabei außer Acht gelassen, dass es ja der Irak selbst war, der die eigene Verfassung missachtet hat und seit 2007 das – von der Verfassung vorgesehene -Referendum zur Lage der Stadt nicht zulässt. Herr van Aken scheint vergessen zu haben, dass die Peschmerga erst in die Stadt eingerückt sind, als der IS kurz davor war die Stadt zu überrennen. Er scheint auch vergessen zu haben, dass die Stadt Kirkuk immer eine kurdische Stadt war und mehrheitlich immer noch von Kurden bewohnt ist, in genau diesem Gouvernement Kirkuk unzählige Menschen vom IS verbrannt, enthauptet, ermordet wurden. So wie die YPG in den kurdischen Gebieten Syriens die Menschen vor dem IS schützt, so schützen die Peschmerga in den kurdischen Gebieten des Irak die Menschen vor dem IS. Messen Sie doch bitte nicht mit zweierlei Maß. Bleiben Sie doch bitte glaubwürdig in Ihrer Solidarität mit dem gesamten kurdischen Volk. Die Kampagne Ihrer Partei gegen die Autonome Region hat einen faden Beigeschmack. Wollen Sie die Region noch weiter destabilisieren?

Ihre Abgeordnete Ulla Jelpke behauptet, dass die „Rojava Peschmerga“, kurdische Soldaten aus Syrien, die nicht dem Kommando der PYD, sondern dem der Autonomen Region Kurdistan unterstehen, von der Türkei gesteuert seien und von Deutschland an die autonome Regierung Kurdistans gelieferte Waffen gegen Jesiden einsetzen würden. Sollte dies so sein, was aber nicht zutrifft, dann muss es unsere gemeinsame Aufgabe sein, den kurdischen Bruder- und Schwesternkrieg zu beenden. Einen Stopp der Waffenlieferungen zu fordern spielt dem IS und der Türkei in die Hände, denn damit schwächen Sie die effektivste Bodenkraft gegen diese Feinde des kurdischen Volkes. Ulla Jelpke reiht sich damit bedauerlicherweise ebenfalls in die Gruppe derer ein, die den inneren Konflikt der Kurden nicht beilegen, sondern weiter anheizen.

Ein Demokratiedefizit sowohl in der Autonomen Region Kurdistan, als auch in der Föderation Nordsyrien „Rojava“ muss selbstverständlich auf beiden Seiten angesprochen werden. Unser aller Bestreben muss doch sein, die Region politisch und wirtschaftlich zu entwickeln. Nur eine pluralistische Demokratie wird den Menschen dort eine dauerhafte Perspektive geben können. Unterstützen Sie uns doch bitte dabei. Die Kurdische Gemeinde Deutschland steht jederzeit für ein Gespräch zur Verfügung.

Mit freundlichen Grüßen

Mehmet Tanriverdi
stellv. Bundesvorsitzender