Montag, 06.08.2018 / 23:34 Uhr

Neue Antisemitismustudie: Ein Nullsummenspiel

Von
Andreas Benl

Am vergangenen Dienstag wurde in Berlin die Studie „Antisemitismus und Immigration im heutigen Westeuropa. Gibt es einen Zusammenhang?“ öffentlich vorgestellt. Initiiert und gefördert wurde die Studie von der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft (EVZ) mit Sitz in Berlin und unter der Leitung von David Feldman vom Pears Institute for the study of Antisemitism, Birkbeck,University of London durchgeführt. Der Überblicksreport von Feldman stellt die Ergebnisse aus fünf Länderberichten aus Deutschland, Großbritannien, Frankreich, Belgien und den Niederlanden zusammen.

Sinnvolle Fragen nach dem Verhältnis der verschiedenen Formen des Antisemitismus - etwa das von traditionellem und israelbezogenem, mehrheitsgesellschaftlichem und muslimischem – werden im Unklaren gelassen.

Mit „im heutigen Westeuropa“ ist in etwa das letzte halbe Jahrzehnt, die Ära der sogenannten Flüchtlingskrise gemeint. Präsentiert wurde die Studie als Antwort auf Debatten über einen vermeintlich oder wirklich ‚importierten Antisemitismus‘. Dieses Setting wurde jedoch von vorneherein als prekär bis unbeantwortbar klassifiziert, da die Datenlage, wie die Präsentatoren bekundeten, ungenügend ist. So endet etwa die Zusammenfassung des deutschen Länderberichts mit der Feststellung, es sei eine „repräsentative Studie zu Einstellungen unter MENA-Geflüchteten erforderlich“. Das hindert die Autoren allerdings nicht daran, zu behaupten:

„Weder die Untersuchung der Daten noch die im Rahmen dieses Forschungsprojektes durchgeführten Befragungen haben eindeutige Hinweise auf einen durch die aktuelle Immigration verursachten zunehmenden Antisemitismus ergeben.“ - Was auf Basis der defizitären Datenlage auch kein Wunder ist.

Mag der Fokus auf die Jahre der sogenannten Flüchtlingskrise in Deutschland noch plausibel erscheinen, ist er in Ländern wie Frankreich, die viel weniger Menschen aus Syrien, Irak und Afghanistan aufnahmen, von vorneherein zweifelhaft. Die Autoren betonen hier auch, dass der Trigger für eine sprunghafte Zunahme antisemitischer Übergriffe seit 2000 in der Bezugnahme auf Palästina/Israel (Intifada, Kriege in Gaza) läge. Anhand des gewählten Rahmens steht das Ergebnis von vorneherein fest:

„The serious antisemitic incidents of 2014 have nothing to do with the refugee crisis. They stem largely from tensions between the French Jewish and Arab Muslim communities, kindled by the Middle Eastern conflicts and sometimes by the very government policies intended to protect Jews, which appear to single them out as a privileged minority. Terrorist attacks in the name of the jihad have even less to do with refugees. Most terrorist attacks, including those of 13 November 2015, were perpetrated in France by French nationals, not by refugees.“

Die Klassifizierung des antizionistisch begründeten Antisemitismus als ‚Spannungen zwischen der jüdischen und der arabisch-islamischen Community‘ – in der Antisemitismuskritik dann als ‚Privilegierung einer Minderheit‘ erscheint - ist ein Muster, das sich durch die Texte zieht: Eine Tendenz, Antisemitismus undefiniert im Kontext von allgemeinen Diskriminierungen und im Ungefähren von diskursiven Selbst- und Fremdwahrnehmungen zu belassen.

Sinnvolle Fragen nach dem Verhältnis der verschiedenen Formen des Antisemitismus - etwa das von traditionellem und israelbezogenem, mehrheitsgesellschaftlichem und muslimischem – werden dafür im Unklaren gelassen. So wird etwa die Querfront erwähnt, aber nicht weiter problematisiert, die in Frankreich für den Antisemiten und Holocaustleugner Dieudonné marschierte:

„At the Day of Wrath demonstration on 26 January 2014, far right ‘white’ groups, Catholic fundamentalists (Civitas), youths of immigrant origin from the outskirts of Paris, Dieudonné and Soral fans all marched together.“

Das, obwohl diese Entwicklung ja gerade die immer wieder beklagte Aussage widerlegt, Antisemitismus sei ausschließliches ein Problem von Migranten. Im interkulturellen Dialog, dem sich neben der jüdischen und muslimischen dann vielleicht noch die christlich-identitäre Community beigesellen müsste, lässt sich Antisemitismus jedoch weder analysieren, noch bekämpfen.

Alle Phänomene stehen disparat nebeneinander, wie in der folgenden Passage aus dem Länderbericht Deutschland: „Es besteht wenig Zweifel, dass bei einem gewissen Prozentsatz der MENA-Migrant*innen antisemitische Einstellungen vorhanden sind, jedoch konnten keine unserer Befragten dazu verlässliche Daten liefern. Die Befragten berichteten von einzelnen antisemitischen Vorfällen oder Klassenzimmern mit einer antisemitischen Mehrheit, sie sprachen jedoch auch von Aufgeschlossenheit und der Abwesenheit von Vorurteilen unter Migrant*innen. Wie in der deutschen Mehrheitsbevölkerung fanden Studien auch unter MENA-Geflüchteten einige eingefleischte Antisemit*innen, etliche, die fragmentarische antisemitische Stereotype äußerten, aber auch säkulare Atheist*innen „ohne jede Spur von Vorurteilen“.

Die vorgetragene Maxime, „Antisemitismus unter Muslimen in Deutschland [könne] nicht bekämpft werden, ohne über den Antisemitismus in der Mehrheitsbevölkerung (einschließlich des rechten Flügels) sowie den Zusammenhang zwischen Antisemitismus und Rassismus zu reflektieren“ erscheint in diesem Kontext nicht als Ausweitung der Problematik, sondern als Neutralisierung. Bevor ein Phänomen auf den Begriff gebracht wird, wird es bereits wieder mit der Floskel depotenziert, man müsse den Gesamtzusammenhang betrachten. Was unmöglich ist, wenn seine Einzelteile unscharf gehalten werden. Die Kritik des auf dem Podium anwesenden Reinhard Borgmann (Jüdisches Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus), es handele sich eher um ein politisches Statement, als um eine wissenschaftliche Studie, ist berechtigt.

Es gibt also gar keine klar definierten Antisemitismusparameter für diese Studie, die aber trotzdem Entwarnung gibt.

Bezüglich des israelbezogenen Antisemitismus wird im Gesamtüberblick der Studie vom Leiter David Feldman explizit eine „Grauzone“ konstatiert, „die zu einer legitimen Uneinigkeit hinsichtlich dessen führt, was als antisemitisch zu betrachten ist und was nicht.“

Es gibt also gar keine klar definierten Antisemitismusparameter für diese Studie, die aber trotzdem Entwarnung gibt. Unter den Empfehlungen vom Podium aus zentral war die Forderung nach jüdisch-muslimischem Dialog, als wenn es sich bei Antisemitismus um einen Streit zweier Positionen handeln würde und die Transformation desselben in einen Kulturkonflikt nicht sogar von islamistischen Antizionisten und – warum nicht – von rechten Antisemiten unterschrieben werden könnte. Ein Programm, das den Antisemitismus gerade da ausblendet, wo er heute im Zusammenspiel von Ressentiments der Minderheits- und Mehrheitsgesellschaft gegen den Zionismus als Wurzel allen Übels Brisanz gewinnt.

Zur Illustration sei hier abschließend aus Feldmans Statement zum Antisemitismus zitiert:

„Während der klassische Antisemitismus zurückgeht, ist es der israelbezogene Antisemitismus, der heute für Kontroversen sorgt und gelegentlich als zunehmend beschrieben wird. In ihrem Bericht aus dem Jahr 2017, Different Antisemitisms (Verschiedene Antisemitismen), definieren Lars Dencik und Karl Morosi den israelbezogenen Antisemitismus als Situationen, in denen Juden außerhalb von Israel verbal oder körperlich angegriffen werden, nur aufgrund der Tatsache, dass sie Juden sind, und aufgrund der Art und Weise, wie diejenigen, die sie angreifen, den Staat Israel wahrnehmen. Dies ist eine nützliche Definition, die wir auch in diesem Bericht verwenden. Dennoch muss kritisch beurteilt werden, welche Vorfälle und Äußerungen der Definition entsprechen. In jedem der in diesen Bericht einbezogenen Länder gibt es einige umstrittene und hinreichend publik gemachte Vorfälle, die zeigen, dass hinsichtlich der Frage, wo die legitime Kritik an Israel endet und Antisemitismus beginnt, keine Übereinstimmung herrscht. Im Bericht Antisemitismus in Deutschland (2017), erstellt von einem vom Deutschen Bundestag beauftragten Fachgremium, wird darauf hingewiesen, dass wir bei der Beurteilung nicht nur das berücksichtigen sollten, was jemand sagt, sondern auch zu wem er es sagt, unter welchen Umständen und mit welcher Absicht. Wir stimmen mit Antisemitismus in Deutschland dahingehend überein, dass wir in Bezug auf Kritik an Israel die Existenz einer „Grauzone“ anerkennen, die zu einer legitimen Uneinigkeit hinsichtlich dessen führt, was als antisemitisch zu betrachten ist und was nicht.“

 

 

Zitierte Texte:

David Feldman: Antisemitismus und Immigration im heutigen Westeuropa. Gibt es einen Zusammenhang?
Ergebnisse und Empfehlungen einer Studie aus fünf Ländern

https://www.stiftung-evz.de/fileadmin/user_upload/EVZ_Uploads/Handlungsfelder/Handeln_fuer_Menschenrechte/Antisemitismus_und_Antiziganismus/BBK-J5998-Pears-Institute-Reports-GERMAN-FINAL-REPORT-180410-WEB.pdf

 

Mathias Berek: Antisemitismus und Immigration im heutigen Westeuropa. Gibt es eine Verbindung? Die Situation in Deutschland

https://www.stiftung-evz.de/fileadmin/user_upload/EVZ_Uploads/Publikationen/Studien/Executive-Summary-GERMANY_deutsch.pdf

 

Elodie Druez and Nonna Mayer: Antisemitism and Immigration in Western Europe Today. Is there a connection? The case of France

http://archive.jpr.org.uk/download?id=3509

 

Sämtliche Texte der Studie können am einfachsten auf dieser Website eingesehen werden:

http://archive.jpr.org.uk/results?publisher_id=AUTH2712&mi_search_type=adv