Sonntag, 02.09.2018 / 12:08 Uhr

Grauzone und Weißwäsche

Von
Andreas Benl

Der Gegenfilm des WDR zur vor einem Jahr widerwillig gezeigten Dokumentation "Auserwählt und ausgegrenzt – der Hass auf Juden in Europa" heißt "Judenhass in Europa – Antisemitismus in Europa", und die Outline geht in etwa so: die richtigen nationalistischen Antisemiten gibt es heute noch in Polen, die richtigen islamistischen in Frankreich, weil beide Länder die Lektionen der Geschichte nicht gelernt haben. Die werden in Deutschland gepflegt und heißen interkultureller und interreligiöser Dialog, z.B. mit Armin Langer und Taha Sabri von der 'Neuköllner Begegnungsstätte'.

Dabei werden Stationen und Personen des letztjährigen Films - z.B. Sarcelles in Frankreich oder Elisabeth Badinter gezeigt, wie um zu signalisieren, dass man 'nichts verschweige', aber dabei ohne Polemik gegen den Antizionismus auskomme, die ja in 2017 bereits qua WDR 'Faktencheck' abserviert wurde. Guy Debord hätte solch ein Vorgehen als Rekuperation bezeichnet: eine verzerrende Imitation des Originals, die die ursprüngliche Aussage zum Teil in ihr Gegenteil verkehrt.

Der Film zeigt im Fall nichtmuslimischer Rechtsradikaler Personen und Organisationen, im Fall der Islamisten fehlt fast jede Konkretion (bei den linken Antisemiten genauso). Ein Vorgehen, das Seth J. Frantzman kürzlich als Weißwäscherei islamischer Rechtsradikaler bezeichnet hat. So muss man sich nicht um die Tatsache kümmern, dass auf dem Weg zu Islamismus und Djihadismus in Europa der mehrheitsgesellschaftliche Auftrag an islamische Prediger lag und liegt, Jugendliche von der Straße zu holen. Also ziemlich genau das, was als wegweisendes Modell mit Leuten wie Taha Sabri empfohlen wird (der ja auch schon durch Sigmar Gabriels Besuch nobilitiert wurde). Nur der Al-Quds-Tag wird als Ausdruck islamistischen Antisemitismus in Deutschland benannt. Dass dort Funktionäre der staatlich geförderten "Islamischen Gemeinschaft der schiitischen Gemeinden Deutschlands" (IGS) präsent sind, bleibt jedoch unerwähnt.

Abgerundet wird die Dokumentation mit der Gegenüberstellung offizieller Statistiken, nach denen über 90% der antisemitischen Straftaten in Deutschland von (nichtmuslimischen) Rechtsradikalen begangen würden, während die Juden sich überwiegend vom islamischen Antisemitismus bedroht fühlten. Diese Diskrepanz ist nicht der Ausgangspunkt kritischer Nachforschungen, sondern bleibt wie so vieles andere im luftleeren Raum stehen. Auch hier steht der WDR nicht allein, es entspricht z.B. der kürzlich in der Studie "Antisemitismus und Immigration im heutigen Westeuropa" vorgetragene Tendenz, den heute vor allem von Islamisten gewalttätig ausagierten antizionistischen Antisemitismus als "Grauzone" zu definieren, in der legitime Uneinigkeit hinsichtlich dessen bestehe, "was als antisemitisch zu betrachten ist und was nicht".