Sonntag, 03.02.2019 / 16:21 Uhr

Über 'souveränen' Umgang mit deutscher Geschichte

Von
Andreas Benl

Die Mainstream-Realität der deutschen Vergangenheitspolitik lautet: Man kann mittlerweile eine Auschwitz-Gedenkveranstaltung im Bundestag durchführen und zeitgleich stolz die Installation eines Bezahlsystems für die Islamische Republik Iran verkünden, und kaum eine Prominenz aus Politik und Medien, auch nicht der vermeintliche Stimme der israelsolidarischen Restvernunft im Deutschen Bundestag, wird daran in etwas auszusetzen haben. Die hiesige Lehre aus Auschwitz heißt INSTEX.

Dieser 'souveräne' Umgang mit deutscher Geschichte in Abwehr jüdischer, israelischer und amerikanischer Einsprüche begann in den 80er Jahren, als Linksliberale anfingen, die Kritik des rechten Revisionismus mit patriotischen statt mit antifaschistischen Argumenten zu betreiben. Das vorläufige Ende vom Lied ist ein lärmender rechts-links-Streit, in dem die Lautstärke gen Null tendiert, wenn es um jene Partner Deutschlands geht, die sich als die heutigen Holocaustleugner und prospektiven Judenmörder gerieren. In die deutsch-iranische Freundschaft wollen sich weder die AfD noch die übergroße Mehrheit ihrer prominenten Gegner von Washington und Tel Aviv dreinreden lassen, besteht doch Einigkeit darüber, dass "Sanktionen ... immer die schlechteste Option für alle Beteiligten" sind (Alexander Gauland) bzw.: "Wir dürfen uns nicht unterwerfen lassen unter amerikanische Regeln“ (Sigmar Gabriel).

Es gab einmal eine Zeit, in der man Identitätspolitik an sich kritisieren konnte, anstatt sich zwischen ihren rechten und linken Varianten zu entscheiden. Wolfgang Pohrt beschrieb vor über dreißig Jahren anlässlich des ‚Historikerstreits‘ eine Konstellation, die sich heute als eine Auseinandersetzung zwischen Mehrheits- und Minderheitsnationalismus darstellt: "Noch unverfrorener als die Verharmlosung der Vergangenheit" sei "nur der Wille ... aus einer nicht verharmlosten Vergangenheit nationales Selbstbewusstsein zu schöpfen.“ Den von Habermas und anderen gegen ihre rechten Gegner vorgetragenen Motiven stehe "die Geschichtsklitterung der Nationalkonservativen" gegenüber, "die sich immerhin den Blick dafür bewahrt zu haben scheinen, dass aus der Vergangenheit, wie sie wirklich war, sich ein brauchbares nationales Selbstbewusstsein beim besten Willen nicht destillieren läßt und die deshalb zum Mittel der Retusche greifen. Wenn im Unterschied dazu Habermas es wagt, Auschwitz und nationales Selbstbewusstsein in einem Atem zu nennen, wenn er den seichten pädagogischen Imperativ »kritische Aneignung« als zweckdienliches Mittel betrachtet, die deutsche Geschichte inklusive Auschwitz als Quelle für nationales Selbstbewusstsein zu erschliessen, dann deshalb, weil die Verleugnung oder Verharmlosung von Auschwitz für ihn den Teilverlust jener nationalen Identität bedeuten würde, zu welcher er sich mit besorgniserregender Vehemenz bekennt, wenn er postuliert, was das Ausland oder der Himmel verhindern möge: »Wir müssen also zu unseren Traditionen stehen, wenn wir uns nicht selber verleugnen wollen."