Samstag, 25.05.2019 / 15:00 Uhr

BDS versus Hatari: Die Boykotteure und der Eurovisions-Contest

Von
Gastbeitrag von Manuel Störmer

(Der folgende Text ist die vom Autor überarbeitete Fassung eines Gastbeitrages, der am 23. Mai unter dem Titel „Israel-Kritik oder Antisemitismus? Der BDS und Eurovision“ auf dieser Seite publiziert wurde. Der Ursprungsbeitrag enthielt eine missverständliche Formulierung, die die Redaktion dazu veranlassten, ihn temporär zu löschen.)

 

 

Die BDS-Bewegung (Boycott, Divest and Sanction) argumentiert, dass sie sich lediglich für die legitimen Rechte von Palästinensern einsetze und ihr Ziel lediglich die Beendigung des Unrechts der israelischen Siedlungspolitik sei. Doch ein weiterer Fall demonstriert eindrücklich, warum dies keinesfalls das Ziel der Bewegung ist und sie antisemitisch handelt und auch ist.

 

Dies zeigt sich ausgerechnet anhand des Auftritts der isländischen BDSM-Band Hatari beim Eurovision Song Contest in Tel Aviv 2019, die sich als „antikapitalistische Aktionskünstler“ verstehen und im Sommer wieder erklärten, sie hätten sich der „palästinensischen Sache“ verschrieben. Damit stehen sie in Island alles andere als alleine da, 2015 etwa wollte der Stadtrat von Rejkavik einen Boykott israelischer Waren erlassen.

 

Ausgerechnet Hatari nun geriet in die Kritik des BDS Movements, obwohl sie eigentlich aus Sicht der „Palästina-Solidarität“ auf den ersten Blick doch alles richtig gemacht haben.

 

Zwei Prozent der Isländer unterschreiben

 

Die isländische Band trat bei der isländischen Vorauswahl des Eurovision Song Contest in Reykjavik an, dem sogenannten Söngvakeppnin, und gewann damit die Nominierung als Repräsentant des Landes in Israel 2019. Sie sind in ihrem Heimatland vor allem aufgrund einer Reihe von öffentlichen Satireaktionen als aktivistisch bekannt und bezeichnet sich selbst als pro-palästinensisch. Allerdings kursierte schon nach Vorauswahl in Island eine Petition, in der die Band aufgefordert wurde, den Eurovision Song Contest zu boykottieren, die immerhin von über zwei Prozent der gesamten Bevölkerung unterschrieben wurde.

 

 

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(Bild: Die isländische Band Hatari in Tel Aviv)

 

Anstatt dem Aufruf zu folgen, entschied sich die Band jedoch zu einem anderen Schritt: Sie wolle die Veranstaltung nicht boykottieren, sondern als Plattform nutzen, um vor Ort „die israelische Regierung zu kritisieren“. Ein Sprecher der Band forderte in den Wochen bis zum eigentlichen Event öffentlich dann auch den israelischen Premier Netanjahu zu einem isländischen Ringwettkampf heraus und lobte für den Sieger den "Gewinn von Land und Kolonierechten" aus. Dies verstand die Band offenbar als eine satirische Kritik an der sowohl international wie auch im Land selbst  äußerst umstrittenen Siedlungspolitik israelischer Regierungen.

 

Am Tag vor der eigentlichen Show unternahm die Band dann auch den obligatorischen Besuch mit palästinensischem Reiseführer in der Stadt Hebron und gaben danach ein Interview mit dem bekannten ESC-Blogger wiwibloggs. Darin bezeichneten sie die in Lage Hebron mit den in der Szene und BDS-Bewegung so beliebten Trigger-Worten „Apartheid“ und „Segregation“ und reihten sich damit ein in eine lange Reihe von Hebron-Besuchern. Unvergessen etwa bleibt der Besuch des damaligen SPD-Chefs Sigmar Gabriel. Aus der Formulierung der Band konnte man nicht herauslesen, ob sie Hebron als extreme Ausnahme oder wie die BDS-Bewegung als Regel und Israel damit einen „Apartheid-Staat“ sahen.

 

 

 

(Bild: Demonstrant bei einer BDS-Kundgebung in London)

 

Am folgenden Tag spielte die Band ihr auf Isländisch gesungenes Lied „Hass wird gewinnen“, das sie vor allem dem europäischen Rechtspopulismus widmeten. Dann zückte die Mitglieder vor der Kamera des Eurovision Song Contests im Green Room zwei Palästina-Schals, eine Aktion, für die sie eine Strafe durch die European Broadcasting Union, die den ESC abhält, in Kauf nehmen wird.

                        

Aus propalästinensischer Sicht eigentlich alles richtig gemacht

 

Mit anderen Worten: Hatari hätte eigentlich aus propalästinensischer Sicht alles richtig gemacht: Sie kritisierte, wie zuvor angekündigt, die israelische Politik, schaffte mit ihrer Aktion vor Millionen von Zuschauern Aufmerksamkeit für das Thema, verwendete die üblichen Slogans wie „Apartheid“ und nahm für ihre Flaggenaktion auch eine kleine Strafe in Kauf. Ja, hätte die Band die Veranstaltung boykottiert, wäre dagegen jemand anderes aus Island nach Tel Aviv gereist, es hätte das ganze Spektakel nicht gegeben.

 

Doch diese Ansicht teilten Repräsentanten von BDS und „Electronic Intifada“ keineswegs. Ganz im Gegenteil: Die Mutterorganisation der 2004 gegründeten BDS-Bewegung, der Palestinian Campaign for the Academic and Cultural Boycott of Israel (PACBI), nannte den Auftritt sogar eine „Verletzung des Kampfes um Menschenrechte“, ein „Feigenblatt“ und warf ihnen „Mittäterschaft“ und „Untergrabung der Menschenrechtsbewegung“ vor.

 

Verräter und Streikbrecher

 

Warum? Nun: Eben weil Hatari in Israel auftrat und damit einer Hauptforderung von BDS nicht nachkam. Ali Abunimah, einer der Mitbegründer von „Electronic Intifada“ schäumte: Mit ihrem Auftreten in Israel hätten sie sich wie Streikbrecher verhalten, die dann mit einer Solidaritätsaktion ihre schändliches Tun „ausgleichen“ wollten. Dies sei gar „Verrat“, „antisolidarisch“ und ein Akt der Unterdrückung der Palästinenser.

 

Aber nicht nur Hatari bekam es ab. Auch die israelisch-palästinensischen Flaggen in Madonnas PR-Stunt bezeichnete er gar als „Gleichsetzung von Unterdrücker und Unterdrückten“ und damit als verwerflich und nutzlose „Feel-Good-Geste“.

 

Die einzige echte Solidarität mit Palästina sei dagegen der völlige und totale Boykott Israels.

 

Als vorbildlich bezeichnet Abunimah in seinem Artikel dann Solidaritätsaktionen des „Ireland Palestine Solidarity Campaign", einer winzigen, regionalen irisch-republikanischen Organisation mit wenig Einfluss, deren Seite aber eine Karte „ganz“ Palästinas schmückt, auf der Israel also schlicht nicht existiert.

 

Dabei müssten, nimmt man an, palästinensische Aktivisten sich eigentlich glücklich schätzen, eine Band wie Hatari zu ihren Unterstützern zählen zu können. Schließlich gaben sich auch Hatari sichtliche Mühe, einem linken israelischen Publikum zu gefallen, und verzichteten auf offen antisemitische Äußerungen. Man schloss medienwirksam ein Abonnement der linken israelischen Haaretz-Zeitung ab und ihr ganzer Auftritt wurde auch entsprechend positiv aufgenommen.

 

Ein Kommentator der Zeitung bedankte sich sogar ausdrücklich bei ihnen und Madonna für ihre Aktionen:

 

 

 

 

Doch ist es offenbar nicht im Interesse von BDS, wenn derart prominent auf die Situation in Hebron von einer erklärt „pro-palästinensischen“ Gruppe Aufmerksam gemacht wird

 

Das Ziel des Boykotts der Bewegung umschreibt Abunimah stattdessen als „raising the cost to the oppressor of violating the rights of the oppressed“, also als Bestrafung des jüdischen Staates für eine bestimmte Politik, die er pauschal als gut gegen böse und als „Freiheitskampf“ glorifiziert, der eben ganz selbstverständlich „auch gewalttätige Maßnahmen“ beinhalte. Selbstredend finden Distanzieren etwa von „suicide bombers“ dabei nicht statt.

 

Keinerlei Interesse dagegen zeigen die Sprecher der Bewegung daran, Israels und Europas demokratische Öffentlichkeit zu beeinflussen oder den Fokus auf die Situation palästinensischer Bewohner von Hebron zu richten, wie Hatari angibt, es mit seinen Aktionen getan haben zu wollen. Schlimmer noch, es wird von  „Verrat“, „Streikbruch“ und „Kollaboration“ gesprochen.

 

Jede Kooperation mit Israel, egal aus welchen Absichten, ist für sie folglich Hochverrat und „Unterdrückung“, was, ganz im Sinne des BDS, einer vollständigen Delegitimation Israels gleichkommt. Der BDS befindet sich offenbar in einem ewigen Krieg zwischen Gut gegen Böse, Palästina gegen seine Unterdrücker. Nur ein Ende Israels als jüdischer Staat kann diesen Krieg beenden. Wer nicht total gegen Israel ist, ist folglich auch ein Verräter an der  palästinensischen Sache.

 

Passend wird in einem anderen Beitrag von  „Electronic Intifada“ eine wilde Verschwörungstheorie aufgestellt. Die drei übereinanderliegenden Sterne des Eurovision Song Contest-Logos in Israel seien angeblich eine versteckte Darstellung eines „Großisrael“ und der ESC damit mitschuldig für ein genozidales Projekt Israels, das Palästina „auslöschen“ wolle. (Auf der Seite von BDS prangt dagegen ein abgeändertes Logo von Eurovision, in dem leicht zwei SS-Runen zu erkennen sind). Die Botschaft ist jedes Mal simpel: Entweder wir oder die, entweder du hasst Israel oder du hasst Palästina.

 

 

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(Bild: Aufruf zum Boykott: Eurovisions-Logo mit SS-Runen)

 

Kein Frieden mit den Juden

 

Dies geht einher mit der in Palästina leider weit verbreiteten Vorstellung, dass es niemals Frieden mit Israel geben könne, bis nicht alle Juden das Land verlassen. Eine Einstellung, die die arabischen und einige islamische Staaten durch ihre pauschale Nichtanerkennung des israelischen Staates befeuern, weil sie durch die Delegitimierung Israels die Vorstellung nähren, dass es keine Koexistenz oder Kompromisse mit Israel geben müsse.

 

Wäre ich Palästinenser und an einer irgendwie gearteten Zweistaatenlösung interessiert, wäre mir mehr daran gelegen, die westliche, aber vor allem die israelische Öffentlichkeit zu beeinflussen, etwa durch Protestaktionen wie die von Hatari, aber auch vermittels sympathisierender Berichterstattung über die Situation in den palästinensischen Gebieten. Die Protestaktionen von Hatari haben Millionen Menschen gesehen, ihre politischen Statements konnten viele Tausende nachlesen und im Interview hören. Worauf Abuminah jedoch setzt, ist der absolute Krieg gegen den Staat Israels im Sinne eines Nullsummenspiels, wer Israel unterstütze, hasse Palästina, da Israel aus seiner Sicht ein Staat sei, der die genozidale Vernichtung der Palästinenser im Kopf habe und daher bekämpft gehöre. Dafür unterstützt er lokale BDS-Gruppen, die eine Reichweite von maximal einigen tausend Unterstützern haben, dafür aber „ideologisch rein“ sind und Israel absolut ablehnen.

 

Immer wieder betonen dagegen Anhänger der BDS-Bewegung in Europa, sie seien ja keineswegs antisemitisch, nur „israelkritisch“ und gegen sie werde der Vorwurf des Antisemitismus als „Totschlagargument“ in Stellung gebracht. Doch wenn sogar eine dermaßen propalästinensische Gruppe wie Hatari als „Verräter“ und „Unterdrücker“ dargestellt wird, nur weil es der radikalen Linie der Nichtanerkennung Israels von BDS nicht vollständig folgt, zeigt das nur, wie antisemitisch diese Bewegung eigentlich ist und dass ihr Ziel nicht darin besteht, Menschenrechtsverletzungen anzuklagen und zu korrigieren, sondern Israel zu delegitimieren und zu bekämpfen.

 

Wenn es so etwas wie Israelkritik überhaupt geben sollte, und es wird ja ständig behauptet, sie unterscheide sich grundlegend von Antisemitismus und müsse „erlaubt sein“, dann ist der Auftritt von Hatari so etwas wohl am ehesten im Sinne der Schöpfer dieses Wortes noch gewesen. Zumindest versuchte die Band offensichtlich der Szene zu gefallen, ohne dabei offen antisemitisch aufzutreten.

 

Einen ganz ungewollten Nebeneffekt  haben sie damit auf jeden Fall erreicht: Sie haben dem BDS die Möglichkeit gegeben, zu demonstrieren, dass seine Kritiker in allen Punkten Recht haben.