Freitag, 07.06.2019 / 10:24 Uhr

Al Quds Marsch in Berlin: Mit den Ayatollahs gegen Israel

Von
Gastbeitrag von Florian Chefai

Auch in diesem Jahr sind beim Al-Quds-Marsch hunderte Islamisten in Berlin auf die Straße gegangen, um israelfeindliche Parolen zu skandieren. Begleitet wurde die antisemitische Demonstration von lautstarken Gegenprotesten. 

 

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Es ist ein sonniger, hellblauer Samstagnachmittag am Kurfürstendamm in Berlin. Die Luft liegt schwer auf der Straße und flimmert über dem erhitzten Asphalt. Während einige Passanten Zuflucht unter den schattenspendenden Markisen der Cafés suchen, drängen sich andere durch den sommerlichen Einkaufstrubel. Hier und da bleibt jemand stehen, um das Geschehen am anderen Ende der Straße zu beobachten. Dort nähert sich ein Demonstrationszug von hunderten Personen und macht mit Sprechchören aus der Ferne auf sich aufmerksam. Es ist die wohl umstrittenste Demonstration Berlins: der israelfeindliche, teils offen antisemitische Al-Quds-Marsch.

Der Al-Quds-Tag wurde 1979 von dem ehemaligen iranischen Religionsführer Ruhollah Chomeini als politischer Kampftag zur „internationalen muslimischen Solidarität“ mit den Palästinensern eingeführt. Das erklärte Ziel: die „Befreiung“ Jerusalems (auf arabisch: al-Quds) von den Juden und die Vernichtung des Staates Israel. Pünktlich zum Ende des muslimischen Fastenmonats Ramadan finden seitdem antiisraelische Demonstrationen in vielen Ländern der Welt statt. Seit 1996 zieht der Al-Quds-Marsch auch durch die Hauptstadt.

 

Antisemitische Querfronten

An diesem Samstag haben sich knapp 1.200 Personen versammelt – weit weniger als bei der Polizei angemeldet. Gerechnet hatte man mit 2.000. Viele der Teilnehmer sprechen neben Deutsch auch Arabisch. Sie schwenken Palästina- und Iranflaggen, vereinzelt auch die deutsche Flagge, oder halten israelfeindliche Plakate in den Händen. Die meisten Frauen haben ihre Haare mit einem Kopftuch verhüllt. Auch einige kleine Mädchen tragen den islamischen Schleier.

Das Lieblingsmotiv der Fotografen an diesem Tag sind drei orthodoxe Juden in traditionellen Klüften, die den Staat Israel ablehnen und sich mit dem Al-Quds-Marsch solidarisieren. Ebenso vor Ort ist der NPD-Politiker Uwe Meenen, wie auch Mitglieder der stalinistischen Politsekte „Jugendwiderstand“. Eine seltsame Querfront also, vereint im Hass gegen den jüdischen Staat.

Inmitten der Menschenmasse schütteln mehrere Demonstranten eine riesige Palästinaflagge wie ein Bettlaken, während sie abwechselnd „Freiheit für Palästina!“ und „Kindermörder Israel!“ rufen. Angeheizt werden sie dabei von einem jungen Mann mit Palituch um den Hals, der der Menge die Parolen aus voller Brust vorbrüllt.

 

 

Unglaubwürdige Distanzierung

„In zwei Minuten geht es los“, meldet eine Stimme aus dem Lautsprecherwagen, auf dem ein großes Pappschild mit der Aufschrift „Nothing is more Antisemitism than Zionism“ befestigt ist. Doch vor dem Start des Demonstrationszuges werden zuerst noch die Auflagen verlesen: Das Verbrennen von Flaggen ist verboten, von volksverhetzenden Aussagen ist abzusehen. Das Tragen eigener Plakate ist unerwünscht, stattdessen werden vorgefertigte Schilder verteilt. Auch eigene Parolen sollen nicht gerufen werden. Was muss das für eine Demonstration sein, frage ich mich, bei der die Organisatoren schon im Vorfeld mit solchen Straftaten rechnen?

Tatsächlich gibt es für die Veranstalter allen Grund zur Klarstellung. Denn bei vorherigen Al-Quds-Märschen kam es zu zahlreichen Tabubrüchen und Eklats. 2014 sollen mehrere propalästinensische Demonstranten die Parolen „Zionisten ins Gas“ und „Israel vergasen“ skandiert haben. Sogar von „Sieg Heil!“-Rufen wurde berichtet. Immer wieder kam es zu Festnahmen durch die Polizei wegen verfassungsfeindlichen Aussagen und Symbolen.

 

"Maske runter Zionist"

Umso bemühter versuchen die Veranstalter diesmal, weitere Skandale zu verhindern und sich von Gewalt und Hass zu distanzieren. Ihre Kritik richte sich gegen Israel, nicht gegen Juden, lassen sie zu Beginn der Demonstration verkünden. Wirklich glaubwürdig ist das nicht, denn wenig später tönt es aus den Lautsprechern: „Israel ist ‘ne Schande, Israel bleibt ’ne Schande. Judenhass ist die List. Maske runter Zionist.“ Auch die selbstgebastelten Plakate, die einige Demonstranten trotz Auflage mit sich führen, bedienen antisemitische Narrative.

Zu einem kleinen Tumult kommt es am Rande der Versammlung. Ein Teilnehmer trägt ein grünes T-Shirt mit dem Logo der terroristischen Al-Qassam-Brigaden – eine militante Unterorganisation der islamistischen Hamas. Noch während er dafür den Zuspruch anderer Demonstranten erhält, wird er von einem Ordner aufgefordert, das Shirt auszuziehen. Er weigert sich – empört darüber, dass die „eigenen Leute“ ausgeschlossen werden – und verschwindet in der Menschenmenge.

Mit den Auflagen scheinen selbst die Organisatoren nicht glücklich zu sein. Kurz vor der Veranstaltung wollten sie mit einem Eilantrag vor dem Oberverwaltungsgericht noch erreichen, dass Symbole der Terrororganisation Hisbollah gezeigt werden dürfen. Ohne Erfolg: Das Gericht lehnte ab und alle Auflagen blieben bestehen.

Dass hier also nur aus strategischen Gründen auf die Flaggen und Symbole terroristischer Vereinigungen verzichtet wird, stellt auch der Veranstalter Jürgen Grassmann in seiner Eröffnungsrede klar: „Jeder weiß, was Israel ist, jeder weiß auch, welche Leute wir lieben. Aber wir können das nicht immer hier kundtun, sonst wird die Demo verboten. Also bitte, bitte haltet euch daran. Allahu Akbar.“

 

Feindselige Zustände

Nachdem sich der Demonstrationszug unter großem Polizeiaufgebot in Gang gesetzt hat, zücke ich meine Kamera und mache Fotos. Es vergehen nur wenige Minuten, bis mich ein älterer Mann von der Seite anspricht: „Bist du von der jüdischen Presse oder vom BKA?“. „Wie kommen Sie darauf?“, frage ich zurück. „Du beobachtest das Ganze hier so interessiert“, erklärt er, fest davon überzeugt, meine wahre Identität aufgedeckt zu haben.

Auch andere Demonstrationsteilnehmer scheinen sich nicht gerade über meine Anwesenheit zu freuen. Viele von ihnen verstecken sich hinter ihren Plakaten oder halten ihre Hand vor die Kamera. Die Atmosphäre ist angespannt. Einige Demonstranten stellen sich neben mich und filmen mich mit ihren Smartphones. Die Botschaft dahinter ist klar: Ich soll mich beobachtet fühlen. Vergleichbare Einschüchterungsversuche gegen die Presse kannte ich bisher nur von Neonazi-Aufmärschen.

 

Protest gegen Antisemitismus

Unweit des Al-Quds-Marsches haben sich gleich zwei Gegendemonstrationen aufgestellt, um ein Zeichen gegen Antisemitismus und Islamismus zu setzen. Die eine besteht aus einem antifaschistischen Bündnis von israelsolidarischen Linken, dem sich etwa 400 Personen angeschlossen haben. „Gegen jeden Antisemitismus und kulturellen Relativismus“, heißt es auf einem der Transparente, die neben Israel- und Regenbogenflaggen über dem Absperrgitter der Polizei hängen.

Ein paar hundert Meter weiter findet eine andere, weitaus größere Gegendemonstration statt. Dazu aufgerufen hatten jüdische und kurdische Organisationen, der Lesben- und Schwulenverband Deutschlands sowie alle Bundestagsparteien mit Ausnahme der AfD. Knapp 1.000 Menschen sind gekommen und versammeln sich in Sichtweite des Al-Quds-Marsches auf dem George-Grosz-Platz. Hier ist die Stimmung ausgelassen. Menschen tanzen und wedeln mit kleinen Israelfähnchen im Takt der Techno-Sounds, die aus großen Lautsprecherboxen über den Platz schallen.

Unter den Gegendemonstranten ist auch der Berliner Innensenator Andreas Geisel, der als Zeichen seiner Solidarität eine Kippa trägt. In einem Redebeitrag fordert er das vollständige Verbot der islamistischen Hisbollah: „Deutschland würde ein eindeutiges Zeichen setzen, dass Judenhass und Antisemitismus in unserem Land nicht geduldet werden“. Schließlich habe es auch hier in den letzten Monaten zahlreiche antisemitische Angriffe und Hetze gegeben. „Dieser Geist hat in Berlin nichts zu suchen“, betont Geisel und erntet dafür einen großen Applaus.

Es ist schön zu sehen, dass die Gegendemonstration in diesem Jahr größer ist als der Al-Quds-Marsch selbst. Aber wenn ein über 1.000 Personen starker Demonstrationszug, dessen Antisemitismus sich durch keine Auflage und keine fadenscheinigen Täuschungsmanöver verdecken lässt, durch die weltoffene Hauptstadt marschiert, ist das ein trauriger Anblick. Wenn ihnen nicht mindestens doppelte so viele Gegendemonstranten gegenüberstehen, wie es bei einem Neonaziaufmarsch in Berlin üblich wäre, ist es umso besorgniserregender. Denn egal unter welcher Flagge Antisemiten ihren Hass auf die Straße tragen, bleibt es Bürgerpflicht, sich ihnen in den Weg zu stellen.

Beitrag zuerst erschienen im Dubito-Magazin