Samstag, 29.06.2019 / 11:32 Uhr

Friedensnobelpreisträger EU: Italienische Verhältnisse, deutsche Flüchtlingspolitik

Von
Thomas von der Osten-Sacken

Nach über zwei Wochen vor italienischen Hoheitsgewässern entscheid sich die Kapitänin der Sea Watch 3 nun "illegal" den Hafen von Lampedusa anzulaufen, weil sie es nicht mehr verantworten könne 42 Flüchtlinge, viele von ihne Opfer von Missbrauch und Folter, nicht anlanden lassen zu können.

Carola Rackete wurde daraufhin von den italienischen Behörden verhaftet:

Am Freitag hatte die italienische Staatsanwaltschaft gegen Rackete Ermittlungen eingeleitet. Vorgeworfen werden ihr laut Linardi unter anderem Beihilfe zur illegalen Einwanderung und Verletzung des Seerechts. Sea Watch-Geschäftsführer Johannes Bayer lobte Rackete: "Wir sind stolz auf unsere Kapitänin, sie hat genau richtig gehandelt. Sie hat auf dem Seerecht beharrt und die Menschen in Sicherheit gebracht", schrieb er auf Twitter.

 

 

Die italienische Nachrichtenagentur Ansa berichtete, ein italienisches Zollboot habe noch versucht, das Rettungsschiff vom Anlegen abzuhalten, es hätte dann aber ausweichen müssen. Am 12. Juni hatte die Sea Watch 3 vor der libyschen Küste 53 Menschen gerettet. 13 von ihnen wurden unter anderem aus medizinischen Gründen bereits in den vergangenen Tagen nach Lampedusa gebracht. Seit gut zwei Wochen wartet die Organisation vergeblich auf eine Erlaubnis, in einen europäischen Hafen zu fahren.

Dass ausgerechnet in Italien, dessen Bevölkerung traditionell eher recht freundlich gegenüber Flüchtlingen eingestellt war, eine so üble Figur wie Salvini überhaupt ans Ruder kommen konnte, blickt auf eine eine längere Vorgeschichte zurück, die wiederum viel mit der Auslagerung der Flüchtlingskrise an die südliche Peripherie Europas zu zu tun hat und vor allem mit einer unseligen deutschen Politik.

Salvini ist fraglos eine ganz widerliche Gestalt, ihn nun zum alleinigen Buhmann zu machen, erscheint ein wenig einfach.

Dazu habe ich schon 2017 ein paar Zeilen geschrieben. Denn an einem Punkt hat Salvini Recht: Es ist eine absolute Sauerei, Länder wie Italien und Griichenland mit den Flüchtlingen de facto alleine zu lassen und die EU als Ganzes trägt die Verantwortung für das, wofür Salvini nur die häßliche Fratze ist:

"Die erste massive Flüchtlingswelle kam ab 2014 in Italien an. Rom forderte damals bereits eine europäische Antwort und blitzte damit vor allem bei den Deutschen ab, die erklärten, Italien habe sich an die Dublin-Regeln zu halten, weswegen die Flüchtlinge auch einzig und allein Problem der italienischen Regierung seien. Derweil ließ die EU – wiederum allen voran die Bundesregierung – Erdogan hängen, während täglich Tausende von Syrern in die Türkei flohen. Dies ging so lange, bis dem Präsidenten in Ankara der Kragen platzte und er die Kontrollen an der Ägais de facto einstellen ließ, mit der Folge, dass nun Zehntausende von der Türkei nach Griechenland übersetzten. Athen, damals schon arg von der ökonomischen Krise gebeutelt, sollte sich, ähnlich wie Italien, um diese Flüchtlinge kümmern und sie sogar durchs Asylverfahren bringen, ohne dass genügend Kapazitäten oder Aufnahmeeinrichtungen vorhanden gewesen wären.

Bis in den Sommer 2015 hinein stellte sich die Bundesregierung stur. Weder bot sie den südlichen EU-Ländern nennenswerte Hilfe an noch unternahm sie irgendetwas, um in Syrien – etwa durch Einrichtung einer Flugverbotszone, wie von der syrischen Opposition seit 2012 gefordert – Menschen vor den Luftangriffen der syrischen und russischen Luftwaffe zu schützen.

Und so war spätestens im Juni 2015 jedem, der es wissen wollte, klar, dass die Lage explodieren würde. Was sie im September dann auch tat, als für einige Monate das gesamte, maßgeblich von Deutschland initiierte Fluchtabwehrsystem der vergangenen Jahrzehnte einfach kollabierte.

Die "Willkommenskultur" mit Luftballons an Bahnhöfen und dem ganzen Bohei mögen darüber hinwegtäuschen, aber in Wirklichkeit waren die Ereignisse des September 2015, die inzwischen kollektiv unter dem Label "Merkel hat die Flüchtlinge eingeladen" rezipiert und kritisiert werden, eine unmittelbare Folge der rigiden deutschen Asylpolitik, die zuvor jahrelang versucht hatte, den Südländern die Kosten der Flüchtlingskatastrophe aufzubürden."