Montag, 02.12.2019 / 08:50 Uhr

Opferpolitik zwischen Deutschland und dem Irak

Von
Philipp Thiée

Vergangenes Jahr erregte der Fall von Aschwak T.  die deutsche Öffentlichkeit, weil die irakische Jesidin ihrem Peiniger in Deutschland begegnet sein sollte. Über ein Jahr später wird erneut über sie berichtet, diesmal allerdings aus dem dem Irak.

 

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Ein Leser der Jungen Freiheit empörte sich im Sommer 2018:

"Die IS-Verbrecher aber, die hier selbst angeblich Schutz, bestimmt aber Fürsorge finden,

stellen ungestört in Deutschland ihre bereits gequälten Opfer nach. Mal schauen, was noch so kommt. Denn schlimmer geht es immer."

Die junge Freiheit selbst berichtete angesichts der dünnen Faktenlage zurückhaltender - wohl in der Annahme, dass ihre Leser eh das Richtige verstehen.

Die Achse des Guten wurde in Ihrer Instrumentalisierung des Schicksals der Jesidin Aschwak T. schon deutlicher und das Geschehene stand fest: die deutsche Regierung, "gefährdet zuvorderst diejenigen, die wie die aus Deutschland in den Irak geflohene Jesidin nur in den autoritär durchsetzbaren Grenzen der Zivilisation Zuflucht finden könnten."

Endlich könnte man mal im Namen eines Opfers, welches in Stuttgart in einem Program für durch den IS traumatisierte Frauen aufgenommen war, nach Autorität und Grenzen schreien.

Auch Russia Today freute sich, verbreiten zu können, dass der Deutsche Staat kurz vorm Zusammenbruch steht und lieber IS-Schergen gewähren lässt als Opfern zu helfen. Noch im Juni  2019 schrieb man dort:

"In Deutschland bekannt wurde der Fall der Jesidin Aschwak Hatschi Hamid Talo. Aschwak stammt aus dem Nordirak. Beim Überfall auf ihr Dorf wurde sie, damals 15 Jahre alt, vom IS verschleppt und auf einem Sklavenmarkt an einen IS-Kämpfer verkauft. Nach ihrer Befreiung flüchtete sie nach Deutschland. Hier begegnete sie einem ihrer Peiniger. Den Behörden warf sie Untätigkeit vor. Aus Angst ging sie wieder in den Irak, bis sie erneut nach Deutschland zurückkehrte."

Die Möglichkeit, dass sich ein traumatisiertes Mädchen schlicht und ergreifend eingebildet hatte, ihrem Peiniger wiederbegegnet zu sein, verschwand hinter der Freude, eine Kronzeugin für das Versagen des deutschen Staates zu haben, der mit seiner angeblich so liberalen  Asylpolitik dem Islamismus und dem Islam an sich Tür und Tor geöffnet habe. Wichtig war den Apologeten eines angeblichen Untergangs nicht das Schicksal einer Jesidin oder eines Projektes, welches realen Individuen Hilfe anbietet, sondern der Anlass, anklagend mit dem Finger auf die angeblich zu schwache Autorität zeigen zu können - die reaktionäre Revolte gegen den schwachen Vater.

Berichtet wurde 2018 über den Fall in allen Medien. Es war ein Thema, dass direkt die Befindlichkeiten Deutschlands betroffen hat.

Und dann das: Aschwak T. trat jetzt im irakischen TV auf und ihrem wirklichen Häscher gegenüber, um ihn erst zu beschuldigen und dann zu kollabieren. Vor der Kamera stürzt sie zu Boden. Das Video trägt die Insignien des irakischen Geheimdienstes. Aschwak räumt ein, dass sie in Deutschland jemanden mit dem eigentlichen Täter verwechselt hat. 

Angesichts hunderter toter Demonstranten, die gegen Staatsversagen im Sozialen und iranische Einmischung im Irak auf der Strasse waren, besteht offenbar aktuell das Bedürfnis,  zeigen zu können, dass der Staat stark und fürsorglich ist. Mit Opfern lässt sich auch hier gut Politik machen.

Auf den IS als das Böse kann sich jeder einigen. Nicht nur in Deutschland steht die eigene Befindlichkeit über dem Wohl eines geschundenen Mädchens, dessen Leid so zum zweiten Mal instrumentalisiert wurde.