Dienstag, 14.01.2020 / 09:48 Uhr

Iran: Wenn der staatliche Propagandazirkus nicht mehr funktioniert

Von
Thomas von der Osten-Sacken

Die neuen Demonstrationen im Iran zeigen auch, dass die junge Generation sich von jahrzehntelanger erprobter Propaganda nicht mehr beeindrucken lässt.

 

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(Proteste vor der Amir Kabir Universität, Quelle: Wikipedia)

 

Nach drei Tagen musste das iranische Regime Farbe bekennen: Man habe das ukrainische Flugzeug, in dem 167 Menschen saßen „unbeabsichtigt“ abgeschossen. Kaum war die Botschaft raus, strömten Demonstranten auf die Straßen Teherans und anderer Städte. Und das nur wenige Wochen nachdem die letzten Proteste blutigst niedergeschlagen wurden – von über 1.500 Toten ist die Rede, mehr als 7000 sollen inhaftiert worden sein. Nur scheint der Unmut im Land inzwischen so groß, dass selbst solche Repression die Menschen nicht mehr davon abhält, dem Regime ihre Abneigung zu zeigen.

Und dann kommt der Tag, an dem eine deutliche Mehrheit sich einfach verweigert

Anders als vor zwei Monaten wurde diesmal das Internet nicht sofort ausgeschaltet und so erreichten hunderte von Videos über diese Proteste das Ausland. Ob in Teheran, Mashad, Isfahan oder den Städten Kurdistans, so deutlich äußerten sich Demonstranten im Iran selten über ihre Regierung.

Von Einheit mit dem Regime keine Rede

Eine übersetzte Auswahl von Parolen, die in den letzten zwei Tagen gerufen wurden:

  • „Unsere von den Revolutionsgarden kontrollierte Regierung – Ihr seid unserer Islamischer Staat (IS).“
  • „Unser Feind ist hier (im Iran), es ist eine Lüge, wenn es (das Regime) behauptet, unser Feind ist Amerika.“
  • „Das Regime mordet und der Führer, Khamenei unterstützt das.“
  • „Soleimani ist ein Mörder, und sein Chef (Khamenei) ebenfalls.“
  • „Sepah Pasdaran („Armee der Revolutionswächter“), Schande über euch. Verlasst den Iran.“
  • „Tod dem Diktator (Ali Khamenei).“
  • „Khamenei, verlass unser Land.“
  • „Referendum, Referendum (über die Fortexistenz der Islamischen Republik).“
  • „Kanonen – Panzer – Feuercracker, das Regime der Akhunda wird (dennoch) verschwinden“
  • „Wir wollen die Armee nicht, wir wollen sie nicht.“
  • „Diese ganzen Jahre an Verbrechen – nieder mit dem islamischen Regime.“
  • „Habt keine Angst, habt keine Angst, wir alle stehen zusammen.“
  • „Wir sterben nicht, um Kompromisse zu schließen & den mörderischen Führer zu preisen.“
  • „Basiji [Freiwilligenmiliz der Revolutionsgarden] fürchtet euch, wir stehen alle zusammen.“

Deutlicher lässt sich kaum zeigen, dass es mit jener Einheit bzw. Einigkeit, die im Iran angeblich nach der gezielten Tötung des Chefs der Al-Quds-Brigaden, General Quasem Suleimani, geherrscht habe, nicht sehr weit her ist. Dass die „die Iraner [selten] so vereint wie in diesen Tagen“ gewesen sein sollen, mochten die Redakteure von ARTE ebenso hoffen wie das angeschlagene Regime, die Realität sieht anders aus.

Die Nase voll von der Propaganda

Und es ist ein kurzes Video, das mit beeindruckender Deutlichkeit zeigt, wie die Menschen im Iran inzwischen die Nase von dem ganzen Propagandazirkus voll haben, der seine Wirkung eben nicht mehr zu entfalten vermag. Wie an vielen anderen Orten im Iran auch müssen bzw. sollen Besucher der Shahid-Beheshti-Universität in Teheran über amerikanische und israelische Fahnen trampeln, um so täglich ihrem Abscheu gegenüber „großem und kleinem Satan“ Ausdruck zu verleihen. (Originell ist die Idee nicht, schon zu Saddam Husseins Zeiten mussten Besucher des Al-Rashid-Hotels ebenfalls über eine amerikanische Fahne laufen.) Vermutlich taten es viele Studenten auch über Monate, wenn nicht Jahre, nicht gerne, vielleicht war es vielen peinlich, während andere, die dem Regime die Treue hielten, Tag für Tag voller Stolz über die Fahnen liefen.

 

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So funktionierte jedenfalls iranische Propaganda, Außenstehenden mag es lächerlich erscheinen, im Inneren erfüllen solche Symbolhandlungen ihren Zweck, solange genügend Leute auch mitmachen. Und dann kommt der Tag, es war der 12. Januar, an dem eine deutliche Mehrheit sich einfach verweigert und, wie deutlich zu sehen ist, an den Fahnen einfach außen herum vorbeiläuft. Da mögen ein paar Einpeitscher sich die Seele aus dem Leib brüllen, ihr Geschrei verklingt folgenlos. Der Bann ist gebrochen, in wenigen Minuten bricht vor aller Augen das ganze Gebilde zusammen.

Präzedenzlose Krise

Dieses kurze Video ist allerdings nur ein, wenn auch besonders eindrucksvolles Beispiel, was gerade überall in der Region geschieht: Die ganzen Inszenierungen des alten Nahen Ostens, die jahrzehntelang immer wieder neu aufgeführt wurden, wollen schlicht nicht mehr funktionieren. Ob in Bagdad, Beirut oder Teheran, inzwischen ist eine neue Generation herangewachsen, die mit diesem Popanz nichts mehr anfangen kann und sich ihm in immer größerer Zahl verweigert.

Und darauf haben die Herrschenden keine Antwort, nur ahnen sie alle in ihren Regierungssitzen und -palästen, dass sie sich in einer bislang präzedenzlosen Krise befinden: Schließlich haben sie den Demonstranten nichts zu bieten, weder materiell noch ideell. Ökonomisch sind sie alle längst am Ende, das Geld aus der Ölrente reicht nicht mehr aus, Millionen irgendwie zu kooptieren und ruhig zu halten und die ganzen alten Narrative vom ewigen Kampf gegen äußere und innere Feinde haben ihre Wirkung verloren.

Sie haben die Waffen und die Macht, sie können foltern und ganze Städte in Schutt und Asche legen, sie kontrollieren große Teile der (maroden) Wirtschaft, die Medien und alle staatlichen Institutionen – aber alles das hilft ihnen auf Dauer nicht, wenn einfach große Teile der jüngeren Generation nicht mehr bereit sind den bislang gültigen Regeln zu folgen.

Natürlich können sie noch jahrelang so weiter machen, schließlich fanden die ersten großen Proteste im Iran vor nunmehr zwanzig Jahren statt, damals beschränkten sie sich allerdings noch auf Universitäten und andere Hochschulen. Aber es ist ein Weitermachen auf immer niedrigerem Niveau, ein stetiger Verfall, der sich in der Islamischen Republik relativ gut daran messen lässt, in welcher Häufigkeit inzwischen Menschen offen protestieren und immer radikalere Forderungen stellen. Und dass, obwohl jede und jeder von ihnen damit sein Leben riskiert.

 

Beitrag zuerst erschienen auf Mena-Watch