Dienstag, 21.01.2020 / 16:30 Uhr

Warum die Türkei in Libyen mit Söldnern militärisch interveniert

Von
Murat Yörük

Nachdem sich Syrien für die Türkei als eine Sackgasse herausgestellt hat, beginnt Ankara neue Abenteuer in Libyen.

 

Erdogan und der Ministerpräsident der libyschen Nationalen Einheitsregierung Fajes al-Sarradsch
Erdogan und der Ministerpräsident der libyschen Nationalen Einheitsregierung Fajes al-Sarradsch (© Imago Images / Xinhua)

 

In Libyen könnte, wie in Syrien geschehen ist, ein Stellvertreterkrieg ausbrechen.Dabei sticht hervor, dass die vertrauten Akteure aus Syrien – Russland und die Türkei – auch kräftig in Libyen mitmischen.

Obwohl beide Hauptakteure zunächst verschiedene Seiten unterstützen – Russland ist auf der Seite der Libyschen Nationalarmee (LNA) um den General Chalifa Haftar, die Türkei unterstützt die Nationale Einheitssregierung (GNA) um Fajes al-Sarradsch –, wird abseits der Front an einem Waffenstillstandsabkommen getüftelt.

Schon jetzt zeichnet sich ab, was zumindest die Türkei bezweckt: Es scheint weniger um den allseits beschworenen neo-osmanischen Eroberungsdrang zu gehen, als vielmehr um den Versuch, aus der eigen verschuldeten außenpolitischen Sackgasse herauszufinden und durch die Intervention in Libyen die eigene Position im Konflikt mit den Anrainerstaaten des Mittelmeers zu stärken.

Die GNA um Sarradsch ist ein unbeliebter Partner, auf den neben Katar eben auch die Türkei setzt. Ende November 2019 trat sie offiziell als Akteur in den libyschen Bürgerkrieg ein. Das Abkommen zur „Sicherheit, militärischen Zusammenarbeit und Abgrenzung der Einflussbereiche auf See“ wurde im Dezember 2019 von einem Militärabkommen flankiert. Auf die Bitte von Sarradsch, türkische Soldaten nach Libyen zu entsenden, hat der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan reagiert und am 2. Januar hierfür vom türkischen Parlament ein Ermächtigungsgesetz erhalten.

Eine schwache Armee

Die türkischen Streitkräfte sind zu einer umfangreichen und zugleich erfolgversprechenden Operation bloß beschränkt fähig. Die Erwartungen der GNA dürften hoch gesetzt sein. So wird nicht nur erwartet, dass die Türkei den Vormarsch Haftars auf die libysche Hauptstadt Tripolis stoppt. Es wird auch gewünscht, dass Marinepatrouillen vor der libyschen Küste eingesetzt, eine Flugverbotszone im libyschen Luftraum errichtet und mit Russland ein Dialog, ähnlich dem Astana-Prozess für Syrien initiiert wird.

Zweifel sind angebracht, ob die türkischen Streitkräfte diese Wünsche vollumfänglich erfüllen können. So ist, anders als Syrien, Libyen kein Nachbarland. Dadurch wird der Nachschubweg problematisch. Libyen ist von der türkischen Küste knapp 2000 km entfernt. Metin Gürcan, ein türkischer Militärexperte und ein Ex-Offizier hat für Al-Monitor die Probleme, vor der die türkischen Streitkräfte stehen, deutlich benannt.

So habe die Türkei in Nordafrika keinen eigenen Stützpunkt. Nach Gürcans Einschätzung dürfte die Marine ohne ausreichende Luftraumüberwachung durch das luftgestützte Frühwarnsystem (AWACS) sehr leicht Angriffen ausgesetzt sein. Sie müsse mit einer Fregatte, 2-3 Kanonenbooten und 1-2 U-Booten vor Ort sein. Es fehle ihr zudem ein Flugzeugträger, der sich noch im Bau befände und nicht vor Ende 2020 fertig werden würde. Die Luftwaffe selbst – nach Gürcan der türkische Schwachpunkt – müsse mit 50 F16 Kampfjets im Einsatz sein, um dauerhaft Präsenz im libyschen Luftraum zu zeigen. Nach den Massenentlassungen der vergangenen Jahre klagten insbesondere die türkischen Luftstreitkräfte über fehlendes Personal. Es gebe mehr Kampfjets als Piloten. Ohne einen geeigneten Luftstützpunkt in Libyen könne die Luftwaffe nicht optimal operieren. Um eine dauerhafte Flugverbotszone einzurichten, seien deshalb Luftbetankungen notwendig. Denn der nächstgelegene türkische Stützpunkt sei im türkisch besetzten Nordzypern.

Keine Unterstützung durch Tunesien

Darum sind am 25. Dezember 2019 Recep Tayyip Erdoğan, Verteidigungsminister Hulusi Akar, Geheimdienstchef Hakan Fidan und einige Generäle unangekündigt nach Tunesien aufgebrochen. Vermutlich erhoffte man sich vom neu gewählten tunesischen Präsidenten Kais Saied Unterstützung. Denn ohne eine tunesische Unterstützung wird die Intervention in Libyen für die Türkei schwierig.

Man braucht nicht nur den Zugang zum tunesischen Luftraum, sondern auch zu einem Luftwaffenstützpunkt vor Ort, um zum Beispiel die türkischen Jets betanken zu können. Saied ließ sich allerdings in die türkischen Pläne nicht einbinden und erklärte, dass er unparteiisch bleiben wolle.

Türkische Söldner im Einsatz

Seitdem beschränkt sich die türkische Seite auf die Operationsplanung am Boden. Nach Gürcan müsse die türkische Armee mit einer kampferprobten Einheit in Brigadegröße – 3000 Soldaten – präsent sein. Gürcan bezweifelt jedoch, dass die türkische Armee selbst – in diesem Umfang wie von der GNA erhofft – in Libyen eingreifen werde. Bislang konzentriere sich die Militärpräsenz darum auf die Einrichtung eines Operationszentrums, um die Bodenpräsenz vorzubereiten. Spannend sei deshalb, so Gürcan, ob und wenn ja in welchem Maße der türkische Präsident den Konflikt mit seinen Generälen wagen würde, die sich des Einsatzrisikos in Libyen bewusst seien. Deshalb überrasche nicht, dass inzwischen Söldner aus Syrien nach Libyen eingeflogen werden würden, um sie an der Front einzusetzen.

In einem Fernsehinterview vom 5. Januar pochte Erdoğan auf den Einsatz von solchen „nichtmilitärischen“ Kräften in Libyen. Nach einer Meldung der syrischen Nachrichtenseite Zaman al-Wasl hätte sich bereits am 22. Dezember 2019 der türkische Geheimdienst mit Führern der Syrian National Army getroffen, um Vereinbarungen zwecks Rekrutierungen zu treffen. So soll die türkische Seite Monatsgehälter von 2000 – 3000 Dollar für diejenigen versprochen haben, die für mindestens drei Monate nach Libyen gehen wollen. Bislang sollen Hunderte der Faylaq al-Sham, Suqour al-Sham, der Sultan-Murad-Division und der Mutassim-Brigade das türkische Angebot angenommen haben. Dies deckt sich mit einem Bericht der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte, wonach über 1000 Söldner, bezahlt von der Türkei in Libyen seien. Etwa 1700 Rekruten würden derzeit in Lagern in der Türkei ausgebildet werden.

Hinter solchen Maßnahmen steckt die Angst vor toten türkischen Soldaten. Das türkische Regime müsste sich, wenn eigene Soldaten fallen, vor der Öffentlichkeit rechtfertigen, die den Einsatz in Libyen, anders als vom Regime erhofft, nicht besonders begrüßt. Laut einer jüngsten Umfrage befürworten nur 34 Prozent der türkischen Bevölkerung einen Militäreinsatz in Libyen. Fraglich ist darum, ob Erdoğan das politisch riskante Unterfangen in Libyen zur Gänze in Kauf nehmen will. Unter seinen eigenen Wählern liegt die Unterstützung für den Militäreinsatz bei 56 Prozent.

Beitrag zuerst erschienen auf Mena-Watch